Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg zum Propheten gehen. Oder wie in meinem Fall: Wenn Archive bei ihrer Tour nicht in Berlin vorbeikommen, dann fahre ich eben nach Leipzig um sie zu sehen. Soviel länger als eine Fahre quer durch Berlin ist das auch nicht. Die Schaubühne ist ein altes Kino, relativ klein (verglichen zum Berliner Huxley’s, wo ich Archive zuletzt live gesehen habe) und der Saal in seiner Heruntergekommenheit wunderschön. Irgendwie passt er zu Archive – nicht das Archive’s Musik oder die Band selbst heruntergekommen wäre. Es ist schwer, ihre Musik zu kategorisieren. Sie machen eine Mischung Trip Hop, Rock, Elektro, Pop, Shoegaze und erschaffen Soundlandschaften mit ihrer Musik.
Es war das vierte Mal, dass ich das Archive Collective live gesehen habe – jedes Mal war es anders und nie wusste ich vorher, wer genau von den Sängern/Rapper da sein wird. Diesmal waren sie alle da – Maria Q (Sängerin), Rosko John (Rapper), Pollard Berrier und Dave Pen (beides Sänger). Letzerer hatte bei diesem Auftritt ein Doppelkonzert, da er auch Sänger bei der Supportband Birdpen ist.
Birdpen bestanden bei diesem als akustisch angekündigten Auftritt zunächst aus Mike Bird und Dave Pen. Sie machen Pop, sehr elektronischen Pop mit genialen Texten. Die beiden kamen vom Publikum unbemerkt auf die Bühne. Zumindest hoffe ich, dass das der Grund war, warum es nicht einmal Höflichkeitsapplaus gab – abgesehen von zwei Leuten, die jedoch sehr irritiert waren, dass keiner applaudierte und deswegen sehr schnell sehr ruhig wurden. Mike Bird nahm für die ersten zwei wunderschönen Balladen hinter dem Piano Platz. Dave Pen sang und spielte Gitarre. Beim dritten Song „Off“, ihrer aktuellen Single, wechselte Mike zur Gitarre, Dave zu einem Tambourine und zusätzlich kam Smiley, der Schlagzeuger von Archive, zur Unterstützung auf die Bühne. Zuletzt spielten sie noch den Titelsong ihrer voraussichtlich Ende März erscheinenden „Only The Name Changed“ EP. So beigeistert wie ich von der Band war und bin, so wenig begeistert schien das Leipziger Publikum, und das zu kurze Set von Birdpen kam ihm wohl gerade recht.
Nach einer kurzen Umbauphase und sehr merkwürdiger, meditativen Pausenmusik betrat Darius Keeler als erster die Bühne. Er bereitete an seinem Piano den Soundteppich, in den alle anderen nacheinander mit einstiegen. Darius Keeler und Danny Griffiths gehören zu den wenigen Musikern, die nicht zum Publikum gedreht spielen, sondern links und rechts der Bühne sitzen, sich gegenseitig angucken und alle anderen Musiker auf der Bühne zwischen sich haben. Alle Bandmitglieder wirkten im ersten Moment sehr konzentriert und auf sich fokussiert. Es war die reinste Freude, sie dabei zu beobachten.
Archive sind keine Band, die viel mit dem Publikum interagiert. Der Dresscode der Band ist schwarz, und die Themen ihrer Songs sind nicht unbedingt spaßig. Dennoch ist es mitunter sehr amüsant sie anzusehen. Zum Beispiel wenn man mal an allen, die sich vorne auf der Bühne tummeln, vorbeischaut und Smiley im Hintergrund beobachtet. Nicht nur dass er fast immer lächelt, er macht auch immer Spaß mit den Technikern an der Seite oder mit Darius. Darius selbst wirkt immer ein wenig wie ein Dirigent, der alles von der Seite managed, während Danny in seiner Konzentration etwas von einem Tier hat. Ein etwas böse drein guckendes Tier. Ich könnte seitenweise all diese faszinierenden Details aufschreiben, aber das sollte man sich einfach selber mal ansehen. Ebenso wie die Projektionen im Hintergrund, die einige der Songs unterstützen.
Die Setlist für diese Tour beinhaltete Songs von den aktuellen Alben „Controlling Crowds Part I-IV“, auch des Fans liebste Songs wie „You make me Feel“, „Sane“, „Lights“ und „Pulse“. Neben den Begeisterungsstürmen jedes Mal, wenn Maria Q oder Rosko John die Bühne betraten, gab es den größten Sturm bei dem von Dave Pen gesungenem Song „Fuck You“. Es ist wohl der bekannteste Song dieser Band und verführte sogar das Leipziger Publikum zum mitsingen. Mein persönliches Highlight war „Lights“. Für den letzten Song vor der Zugabe verlies die gesamte Band außer Darius die Bühne. Dieser Song ist über 18 Minuten lang und baut sich nach und nach auf – es wird eine unglaublich schöne Soundlandschaft geschaffen. Nach und nach kamen die Mitglieder zurück auf die Bühne um mit einzusteigen, was schließlich im Gesang von Pollard Berrier gipfelte.
Das einzige winzige Manko an diesem Konzert war, dass man die Stimmen der wunderbaren Sänger im ersten Song nicht verstehen konnte. Das wurde während des Konzertes schnell behoben und der Grund war wohl einfach der viel zu kurze Soundcheck – ein paar der Bandmitglieder haben sich in Leipzig verlaufen und sind etwas zu spät wieder aufgetaucht.
Um das Konzert mit drei Worten zusammenzufassen: Beeindruckend, intensiv, genial.
Und damit man sich alle Archive Mitglieder mal angucken kann, hier ein aktuelles Video aus ihrem Blog (inkl. gesamten Tourstaff):
Fotos (c) Dörte Heilewelt