The Human League – Vampire State Human

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Phil Oakey pest wie ein manipulierter Duracell-Panther kreuz und quer durch den Käfig, der heute Abend in Hamburg seine Bühne ist. 600 sentimentale Zoobesucher streicheln ihn mit feuchten Augen, und gleichzeitig eine Adoleszenz, die sie lange verklimpert haben, wie Deutschmark und Pfennige. Mit den männlichen Exemplaren der Spezies unten im Graben teilt Oakey nur die allmorgendliche Schädelrasur. Denn wenn er gütig und listig in die Menge funkelt, sieht er in 10.000 großäugige, naseweise Teenager-Gesichter, süchtig nach POP!, den Lady Gaga (bekennender HL Fan) ihnen nicht geben kann.

Susan Ann Sulley, ganz Twiggys tödliche Tochter, reckt die dünnen Ärmchen kreisend zum Himmel, lüftet lustvoll ihre alle halbe Stunde wechselnde Glam-Garderobe, und umtanzt dabei selbstverloren eine gedachte Handtasche, die gefüllt ist mit dem obligatorischen Lady-Kit aus Make Up, Visitenkarten globaler Low- und High Street-Boutiquen und einer warmen Pistole. Den weiblichen Vertreterinnen im Gehege liefert sie das unerreichbare It Girl-Ideal. Eine immergrüne, proto-feministische Pop-Madonna mit dem gewissen Emm-A-Peel.

Ihre Schulfreundin Joanne Catherall setzt die Schritte heute abend etwas schwer und blickt wie abwesend an der Meute vorbei. Gefangen in eineranderen Stunde des Tages mögen ihr noch Fragender Band-Buchhaltung, eine vielversprechende Chlorophyl-Diät, oder die aktuelle Gerhard Richter-Ausstellung durch den Kopf gehen. Gedanken, die in den nächsten 90 Minuten keine Rolle spielen bei den kichernden älteren Mädchen zu ihren Füßen, die teilweise in den Grüppchen erschienen sind, die schon auf dem Schulhof die smarten Jungs untereinander aufteilten.

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Die Kammer, in der sich dieses Spektakel abspielt, ist aufgemacht wie ein begehbares Macbook im Maßstab 100:1. Alle Synthesizer, Keytars und E-Drums, der Teppichboden, die Mikrophone, Ständer … tutto completto bianco. TRON: The League-acy. Alle drei festen-freien Bediener hinter ihren Konsolen ganz in schwarz. Davor und dazwischen gibt Oakey abwechselnd den Matrix-Mönch, oder Armani-Agenten. An der rückseitigen Wand pixeln beiläufige Bildschirmschoner und flimmern abgeschmeckte Screenshot-Meta-Motive aus Film, Foto-Blog und Fernsehen. Phil Oakey bekennt: „Mir wäre natürlich lieb, wenn wir das Budget von Madonna zur Verfügung hätten. So ist das alles nur ein großer Bluff.“

Ihr Programm besteht zu 100% aus bewiesenen („Human“ und „Don’t you Want Me“) und behaupteten Welthits: von „Empire State Human“ über „Love Action“ und „Mirror Man“ zu “Tell Me When“ – on top drei neue Songs aus dem aktuellen Bündel „Credo“, ihrer konstantesten 3/4stunde seit „Dare“. Alles Nightlife-Nationalhymnen, die größer sind als die an sie geknüpften Erinnerungen/Erwartungen, und die tatsächlich im Hier und Jetzt existieren, egal aus welchen Kontexten von Raum und Zeit sie entspringen. Wie auch auch Martyn Ware, Gründer von The Human League und danach B.E.F./Heaven 17-Abspalter, weiß: „Das wunderbare am heutigen Konsum von Musik ist doch die Gleichzeitigkeit der Quellen und die Dekontextualisierung der Beiträge während der Rezeption via iPod.“

Phil Oakey erkennt und liebt eine gute, nervige Synth-Hookline, wenn er sie hört. Er mag Sidney Sampsons „Riverside“, Kei$ha und Black Eyed Peas. Die tolle brandneue HL-Single „Sky“ und dasnicht minder monumentale, im Detail Prince und die Beach Boys durchschimmern lassende „Into The Night“ knüpfen dort an, wo ihre sentimentalen pre-techno torch songs „Louise“ und „Life On Your Own“ gültige Standards gesetzt haben für weise, mitfühlende, gänzlich unpathetische POP! tunes. Während offensichtliche 80er-Epigonen wie Hurts, LaRoux, Little Boots oder Mirrors Eintrittskarten für ihren Back To The Future-Ride verkaufen, stürzt sich die lichtscheue Liga höchstselbst seit gut dreißig Jahren unaufhörlich kopfüber in die flackernde Stroboskopstrahlung des idealen Nachtclubs und findet dort Liebe. Sie sind für immer die Vorbeter der Kirche des künstlichen Lichts. Zugleich ihre eifrigsten Pilger.

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„Darling bohemians, witless chameleons, too chic to dare to disagree. Empty rebellions from charming hellions. Delicious fate no guarantee.“ (Into The Night)

Also Achtung, liebe Night People, der Club Credo ist kein Ort, wo die blanke Pose oder das einfache Erscheinen zur automatischen Befreiung führen. Zwar mindestens einPortal zur ganz und gar unkatholischen Erlösung („A boy for you – a girl form me. A beautiful philosophy.“), aber natürlich nicht das stumpfe Flachland, das der ewige verbohrte Widersacher – die Rock-Inquisition – noch heute als Generalvorwurf herbeizetert, wenn über POP!, Disco und ihre gemeinsamen Ableger der Stab des Bob Dylan gebrochen wird. Vermeintlich die leichteste Beute: unsere drei Kandidaten, die sich tolldreist der Frührente verweigern, verboten gute Jetzt!-Musik machen … eben einfach nicht verschwinden wollen.

Es könnte alles so einfach sein, aber The Human League haben nie die Seiten gewechselt, und sind nicht zu Kreuze gekrochen. Susan, Joanne und Phil widerstehen dem breitbeinigen Pathos mit stilvollem Starrsinn: Keine Abbitte, bitte. So sind die neuen Songs auf „Credo“ einmal mehr das große zeit- und klassenlose, universell gültige POP!-Versprechen einer aufregenden Reise an das Ende einer täglich aufs neue heranbrechenden, berauschenden Nacht.

„It’s been a lovely day, don’t throw the night away. That’s when the stars start to shine.“

André Luth

Anm.: Am 25. Juli erschien die neue Single „Sky“ und gleichzeitig die Doppel-Vinyl-Edition des Album „Credo“