Als ich das letzte Mal die Barr Brothers zum Interview getroffen habe, wäre ich auf dem Weg dorthin beinah von einem Krankenwagen überfahren worden. Damit mir derartige Unfälle nicht noch einmal passieren, habe ich mich entschieden, die Mission dieses Mal nicht alleine anzutreten. Der Weg zum Tempodrom, wo die Barr Brothers an diesem Abend im Vorprogramm von The War on Drugs spielen werden, gestaltet sich zum Glück ohne Zwischenfälle. Letztes Mal hatte ich das Vergnügen mit Andrew Barr und der Harfenistin Sarah Parker, dieses Mal heißt Brad Barr uns in seiner winzigen Garderobe willkommen. Das Gespräch wird nicht weniger unterhaltsam. Außerdem bin ich großer Fan des neuen Albums „Queen Of The Breakers“ und kann nur sagen: ihr solltet euch die Barr Brothers auf jeden Fall ansehen, wenn sie im Januar noch einmal für ein paar Shows nach Deutschland kommen.
Vor ein paar Tagen habt ihr mit The War on Drugs in Paris im Bataclan gespielt. Das muss doch ein besonderes Gefühl sein dort zu spielen, oder?
Ja, das wird sich wahrscheinlich auch nie ändern. Jedem dort steckt immer noch der Schreck in den Knochen. Der Ort ist wie ein Schrein für über 100 Menschen, die dort gestorben sind, vor ziemlich genau zwei Jahren. Es war zum Glück ein ruhiger, friedlicher Abend, den wir dort hatten. Seit drei Wochen sind wir jetzt mit The War on Drugs unterwegs, was eine gute Möglichkeit ist, uns an das neue Material zu gewöhnen. Aber wir freuen uns auch schon darauf, wieder unsere eigenen, langen Shows zu spielen. Und ich kann es kaum erwarten, wieder etwas mehr Platz auf der Bühne zu haben (lacht). Zwischen den Monitoren und dem Schlagzeug kann ich mich kaum bewegen.
Und dann noch die Harfe dazwischen…
Ich staune wirklich jeden Abend, wie wir das alles auf die Bühne kriegen.
Hasst einen nicht jeder, wenn man als Support Act mit einer Harfe ankommt?
Es wirkt ein bisschen kühn, ja. Ihr werdet es sehen, wenn ihr die Bühne seht. Es sieht aus, als wären all die Instrumente kurz davor, dem Publikum auf den Kopf zu fallen.
Auf jeden Fall ist es schön, dass ihr im Januar schon wieder zu uns kommt. Es ist ja für viele kanadische oder auch amerikanische Bands gar nicht so leicht, regelmäßig den Sprung nach Europa zu schaffen.
Wir hatten ja eigentlich jetzt schon geplant hier zu sein. Dann hatten wir die Möglichkeit mit War on Drugs zu spielen und wir sind sehr froh, dass alle an einem Strang gezogen haben und es möglich war, unsere Solo Shows in den Januar zu legen. Das ist auch nicht selbstverständlich. Aber mit einer Band wie The War on Drugs zu spielen eröffnet neue Möglichkeiten und promotet natürlich unsere Solo Shows. Ich hoffe nur, dass die Leute, die für den November Tickets gekauft haben auch im Januar kommen können. Die meisten Shows mit The War on Drugs sind ausverkauft, weshalb vielleicht nicht jeder die Möglichkeit hatte, jetzt zu kommen und uns zu sehen.
Ich habe den Eindruck, dass die kanadische Musikszene stark vernetzt ist und alle sich untereinander sehr unterstützen.
Das ist das Bild, das wir gerne nach außen vermitteln. In Wirklichkeit reden wir nur schlecht übereinander und stechen uns gegenseitig hinterrücks ab (Gelächter). Nein, es ist schon wirklich eine eng zusammenarbeitende Szene. Zumindest in den letzten zehn Jahren wüsste ich nicht, wo ich mich besser aufgenommen gefühlt haben könnte. Patrick Watson, Basia Bulat, die ganze Secret City Family… Montreal ist was das angeht sehr eng gestrickt. Wir teilen uns Studios, arbeiten miteinander. Richard Reed Parry von Arcade Fire hat ein paar sehr nette Sachen über uns gesagt, das hat uns sehr geholfen. Und kennt ihr Laurel von Little Scream?
Ja, ich habe sie einmal zum Interview getroffen.
Sie hat diesen tollen Song, „Love As A Weapon“. Ich spiele darauf Gitarre.
Dieses herrliche Riff? Toll.
Sie hat auch schon Vocals für uns eingesungen. So funktioniert es in Montreal. Man braucht jemanden, der einem hilft etwas einzuspielen oder zu singen, also ruft man Laurel an, ob sie zufällig am Nachmittag Zeit hat. Leif Vollebekk teilt sich ein Studio mit uns, die Hälfte seiner Keyboards sind so auf unserem Album gelandet und die Hälfte meiner Verstärker auf seinem. Wir pflegen einen sehr vertrauensvollen Umgang miteinander. Nach dem Motto: die Türen sind offen, nimm dir was du brauchst.
Wie lange lebst du schon in Montreal?
Es sind jetzt zwölf Jahre.
Was denkst du über die derzeitige politische Situation in den USA? Bist du froh, in Kanada zu sein?
Ich bin immer noch US-Bürger und fühle mich auch wie einer. Ich fühle die Verantwortung zumindest soweit informiert zu bleiben, wie es mir möglich ist. Petitionen zu unterschreiben, Geld zu spenden wo es mir möglich ist. Ich bin nach Kanada gezogen als George Bush Präsident war. Zu dieser Zeit gab es auch viele Spannungen. Die meisten dachten damals, dass ich deswegen nach Kanada gezogen bin. Es fiel aber mehr zufällig zusammen, dass er wiedergewählt wurde. Mein Umzug war nie wirklich politisch motiviert. Außer man kann die Suche nach einem Ort, an dem man Kunst kreieren kann, als etwas Politisches bezeichnen. Ich denke aber, dass bald etwas passieren muss. Ich glaube nicht, dass wir auf die große Tragödie zusteuern vor der so viele sich fürchten, aber ich hoffe, dass die Situation viele Menschen dazu anspornt, wieder mehr individuelle Verantwortung zu übernehmen. Alles war irgendwie leichter als Obama Präsident war, wir haben uns so repräsentiert gefühlt wie wir es uns gewünscht haben und konnten uns zurück lehnen. Auch wenn es unter ihm in vielen Bereichen auch schreckliche Zustände gab. Man hat sie nur weniger in Frage gestellt, weil er so ein sympathischer Mensch ist, den man leicht gern hat. Jetzt müssen die Menschen erkennen, dass sie zu Veränderungen ihren Teil beitragen können. Ich denke, jemand wie Trump macht ihnen wieder bewusst, dass sie selbst ein Auge auf die Dinge haben müssen. Das ist meine Meinung. Ich müsste aber erst einmal zumindest einen Trump Unterstützer in meinem Leben treffen und mich ausgiebig mit ihm unterhalten. Bis jetzt ist mir noch keiner begegnet.
Lass uns über eure Musik reden. Ich hau es mal direkt raus, ich bin ein großer Fan von eurem neuen Album.
Wirklich? Das ist toll.
Ja, erstaunt dich das?
Ich weiß nicht… ich bin immer noch etwas unsicher. Also, ich liebe es, aber ich weiß nicht, ob es anderen auch so geht. Wobei ich seine Integrität an sich nicht in Frage stelle. Ich weiß, wodurch wir hindurch mussten, um es so hinzukriegen. Es war sehr viel Arbeit. Als wir damit fertig waren, war ich zum ersten Mal in meinem Leben völlig unbeeindruckt davon, was andere dazu sagen würden. Weil ich so unglaublich zufrieden war. Jetzt ist es seit ein paar Monaten draußen und ich fange an mich zu fragen, in wieweit es wohl die Menschen anspricht. Von daher bin ich froh, dass du das sagst.
Ich finde es euer bestes Album bisher.
Ja?
Es ist unglaublich rund, man kann ganz wunderbar darin abtauchen. Und alle Songs sind so ziemlich gleich stark.
Soundtechnisch haben wir versucht mehr auf Volumen zu setzen. Unsere früheren Alben wirken dagegen regelrecht verhuscht. Ein bisschen mehr Kopfhörer-Sound. Wir haben uns dieses Mal vorgenommen etwas zu machen, das weniger so wirkt, als könne man es in einem Museum aufhängen sondern eher etwas, wozu man an einem Freitag Abend schwitzen kann. Angefangen haben wir damit herauszufinden, wie jeder für sich sein Instrument spielen will. Eine kleine Selbstentdeckungsreise. Was macht die Harfe, was macht die Gitarren glücklich? Aus dieser Erfahrung heraus haben wir angefangen, Songs zu schreiben.
Ich weiß, ich hänge mich schon wieder an der Harfe auf, aber ich finde wirklich, dass sie immer mehr ihren organischen Platz in eurer Musik findet.
Vielen Dank. Das hat wirklich viel Zeit und Arbeit erfordert. Und wir arbeiten immer noch daran. Wir würden sie aber auch nicht seit acht Jahren mit uns herumtragen wenn sie nur etwas wäre, das schön anzuschauen ist (lacht). Sarah hat auf dieser Platte einen großen Sprung nach vorne gemacht mit ihrem Sound und den Möglichkeiten, die er ihr eröffnet. Die Natur der Harfe ist, dass ihr Klang schnell verpufft, wenn man sie verstärken muss. Sarah hat ihr eigenes System entwickelt, sie so zu verstärken, dass die Noten Bestand haben. Sie behandelt sie fast mehr wie einen Synthesizer oder eine Gitarre. Das gibt auch Andrew und mir die Möglichkeit, lauter und härter zu spielen, ohne dass wir ständig mit der Sorge im Rücken leben müssen, sie zu übertönen. Ich denke auch, unser Songwriting ist etwas weniger reserviert geworden. Auf diesem Album gibt es viele Referenzen an unsere Teenage-Zeit und die Musik, die mich damals beeinflusst hat. Das kommt viel stärker heraus als früher. Es ist auch eine Hommage an die Freunde aus dieser Zeit, die ich heute noch oft vermisse. Die Menschen, mit denen man seine Zeit verbringt wenn man 15, 16 ist, die prägen einen genauso stark wie die eigenen Eltern oder die Schule. Ich würde heute nicht hier in Berlin sitzen, mit euch reden und abends für die Leute da draußen Musik spielen, wenn ich diese Freunde damals nicht gehabt hätte.
Dein Bruder und Sara haben mir beim letzten Interview unglaubliche Geschichten erzählt. Über ein Feuer, das in einem Venue ausbricht und den Beginn einer großen Liebe auslöst. Über Nachbarn, die durch die Wand miteinander musizieren. Jetzt bist du dran. Eine unglaubliche Geschichte zum Abschluss.
Ich kann euch von dem einen mal erzählen, als ich auf den Boden eines Polizeiautos gepinkelt habe.
Oh ja, bitte.
Es wird Zeit, dass die Welt es erfährt (lacht). 1999 sind Andrew und ich mit unserer alten Band in Utah in eine Polizeikontrolle geraten. Sie haben unser Auto drei Stunden lang durchsucht. Wir haben unseren Auftritt verpasst, sie haben jedes Instrument einzeln untersucht, das Auto mit Hunden durchsucht, haben aber nichts gefunden. Bis auf ein kleines Fläschchen mit einer medizinischen Tinktur, die Alkohol enthielt, weshalb sie uns wegen Alkoholbesitz anzeigen wollten. Diese Sorte Cops. Weil ich der Fahrer war, musste ich auf dem Beifahrersitz ihres Streifenwagens warten. Nach zwei Stunden, die wir ihnen dabei zugesehen haben, wie sie unser Auto auseinander genommen haben, habe ich einfach vor den Sitz auf den Boden gepinkelt. Und es war sehr befriedigend mir vorzustellen, wie ihr Streifenwagen in ein paar Stunden riechen wird. Ein sehr stolzer Moment in meinem Leben.
The Barr Brothers live:
22.01.2018 Berlin, Lido
23.01.2018 Köln, Stadtgarten
Interview: Gabi Rudolph & Kate Rock
Foto: Richmond Lam