The Barr Brothers im Interview

Auf dem Weg zu meinem Interview mit der kanadischen Band The Barr Brothers werde ich beinahe überfahren – von einem Krankenwagen! Ich bin einfach so damit beschäftigt, mir auf meinem iPod noch einmal das neue Album „Sleeping Operator“ anzuhören, dass ich das rote Ungetüm tatsächlich erst wahrnehme, als ich ihm buchstäblich auf der Motorhaube hänge. Nicht schön. Aber auch irgendwie absurd sinnig. Ein Krankenwagen ist schließlich nicht die schlechteste Wahl, wenn man sich schon überfahren lassen muss. Und die Vorstellung, als letztes vor dem Aufprall The Barr Brothers gehört zu haben, ist auch irgendwie nicht die Schlechteste. Sarah Page und Andrew Barr (er und sein Bruder Brad Barr zeichnen übrigens für den überaus realistischen Bandnamen verantwortlich) finden das aber gar nicht so lustig. Sie kümmern sich erst einmal rührend um mich mit Obst und Getränken. Und vielleicht liegt es auch daran, dass unser Interview immer mehr zu einem metaphorischen Gespräch über den Film unseres Lebens wird. Daran und natürlich an den unglaublichen Geschichten, die Sarah und Andrew zu erzählen haben. Aber lest selbst.

Ihr habt euch als Band in Montreal gegründet. Du, Sarah, kommst aus Montreal, richtig?

Sarah: Ja, ich bin dort geboren und aufgewachsen.

Und dein Bruder und du, Andrew? Wo kommt ihr her?

Andrew: Wir kommen aus Providence, Rhode Island. Sogar in den USA denken viele Leute, dass Rhode Island zu New York gehört, aber es ist ein kleiner Staat zwischen New York und Boston, direkt am Meer. Kulturell ist da ganz schön was los, es gibt die Rhode Island School of Design, die Talking Heads haben sich dort gegründet. Deer Tick und The Low Anthem kommen zum Beispiel von dort. Für so eine kleine Stadt ist der kreative Output ziemlich hoch. Aber, wie das Leben so spielt, habe ich ein Mädchen in Montreal kennengelernt… mehr war auch nicht nötig, um mich in die Richtung zu bewegen. Mein Bruder und ich mochten die Stadt vorher schon sehr. Es war ein einfacher Schritt, den wir nie bereut haben.

Es soll ja auch andere kanadische Bands geben, die sich auf diese Weise gegründet haben, einer verliebt sich in ein Mädchen aus Montreal, er zieht zu ihr, sein Bruder folgt ihm…

Andrew: (grinst) Ja, wir waren nicht die ersten. Aber auch bestimmt nicht die letzten.

In eurem Wikipedia Eintrag kann man lesen, dass dein Bruder und du damals mit eurer früheren Band eine Show in Montreal gespielt habt und dass während dieser ein Feuer ausgebrochen ist. Welche Rolle genau spielte das Feuer?

Andrew: Das war so: Wir waren zum ersten mal in Kanada auf Tour und spielten eine Show in Montreal. Während der Show habe ich diese Kellnerin gesehen und es war einer dieser Momente im Leben… ich wusste in den ersten Sekunden, dass mein Herz in ihren Händen liegt. Ich wusste ich muss mit ihr reden aber, ich saß hinter einem Schlagzeug! Wie sollte ich es anstellen? Zum Glück brach irgendwann hinten im Club ein Feuer aus und alle mussten raus auf die Straße. Ich habe die Gelegenheit genutzt und ihr ganz Gentleman like meinen Mantel angeboten. Keine Ahnung, wie sehr sie das beeindruckt hat, aber immerhin hat sie mir ihre Adresse gegeben und ich konnte anfangen ihr Briefe zu schreiben.

Sarah: Und vergessen sie zu unterschreiben…

Andrew: Ja, oh Gott! Ich habe ihr eine sehr poetische Postkarte geschrieben und nachdem ich sie eingeworfen hatte, fiel mir ein, dass ich vergessen habe sie zu unterschreiben! Später habe ich noch ihre Adresse verloren. Es hat ein Jahr gedauert, bis ich sie wieder ausfindig gemacht hatte. Da wusste ich okay, jetzt muss etwas passieren. Das war eine Zeit, in der sich viele entscheidende Veränderungen in unser aller Leben ergeben haben. Brad hat Sarah getroffen, ich weiß nicht, ob du die Geschichte kennst…

Nein, das wäre meine nächste Frage gewesen. Ich weiß nur, dass ihr Nachbarn wart.

Sarah: Als Brad Andrew nach Montreal gefolgt ist, ist er zufällig nebenan bei mir eingezogen. Es gab eine gemeinsame Wand, auf der einen Seite in meiner Wohnung war das Zimmer, in dem ich Harfe geübt habe, auf der anderen sein Schlafzimmer. Er hat mich den ganzen Tag spielen gehört und die Melodien haben wohl sein Songwriting in Gang gesetzt. Eines Tages habe ich stundenlang an ein und demselben Teil eines Stücks gearbeitet. Und irgendwann hat er seine Gitarre genommen und angefangen, mich zu begleiten.

Das ist nicht wahr!

Sarah: Doch. Später am Abend kam er zu mir rüber und meinte: Ich habe dich spielen hören und etwas dazu geschrieben. Vielleicht können wir es ja einmal gemeinsam spielen? Etwas war durch die Wand passiert und ich hatte nichts davon gemerkt. So haben wir angefangen, gemeinsam Musik zu machen.

Können wir bitte aus all diesen Geschichten einen Film machen?

Andrew: Ehrlich gesagt hat das schon jemand gemacht.

Wirklich?

Sarah: Ja, aber nur aus dem Teil der Geschichte.

Andrew: Ein Filmstudent hat für sein Studium einen Film daraus gemacht.

Sarah: Das war sehr, sehr seltsam. Der Student, der ihn gemacht hat, hat uns kontaktiert und gefragt, ob er einen unserer Songs für seinen Film verwenden dürfen. Das klang erst wie eine von diesen klassischen Anfragen. Wir wussten nicht, worum es in dem Film gehen würde, das haben wir erst später erfahren. Die Geschichte ist auch nicht völlig identisch. Die Figur, für die Brad stand, war ein abgehalfterter Rockstar mit einem Alkoholproblem, meine ein zugeknöpfter, klassischer Harfenroboter (Gelächter).

Nun aber zu eurer Musik. Was sagt ihr denn dazu, dass sie oft als „Experimental Folk“ bezeichnet wird? Mich persönlich schreckt die Bezeichnung „experimentell“ ja immer ein wenig ab, von daher frage ich mich, wie passend ihr das seht.

Andrew: Genau, klingt ein bisschen nach eine Mann, der ein Huhn im Rhythmus drückt, während er davon erzählt, dass seine Mutter ihm keine Sneaker gekauft hat, als er zehn Jahre alt war (Gelächter). „Experimentell“ ist schon eine ziemlich vage Bezeichnung, wir selber nutzen sie eigentlich nicht. Es ist höchstens ein Zusatz, um den Begriff „Folk“ ein bisschen zu erweitern.

Ehrlich gesagt bin ich mir noch nicht einmal sicher, ob Folk es wirklich trifft.

Sarah: Das stimmt. Auf einen Teil unserer Songs trifft es zu, aber eben nur auf einen Teil. Wir werden oft gefragt, ob wir eine Akustik Session spielen wollen und merken dann immer wieder, wie schwer uns das fällt. Jeder von uns kommt irgendwann an den Punkt, wo er das Bedürfnis hat, sein Instrument irgendwie zu verfremden oder zu verstärken. Wir loten unsere Instrumente gerne in alle möglichen Richtungen aus, vielleicht kommt daher der Begriff „experimentell“. Aber ich denke auch nicht, dass wir eine Folkband sind.

Andrew: Wir sind auch keine Band, die mit einem Stapel CDs im Arm ins Studio geht und sagt: So wollen wir klingen. Ein paar Monate bevor wir anfangen aufzunehmen, legen wir sogar alle unsere iPods bewusst zur Seite. Wir versuchen, für jeden Song eine eigene Welt zu kreieren. Wir arbeiten auch viel mit verschiedenen Dynamiken. Die Songs können sehr leise und zurückgenommen klingen oder auch laut und riesengroß. Live sind wir jetzt auch keine Partyband, die einen Tanzkracher nach dem anderen raus haut.

Sarah: Auch mit den Instrumenten, die wir nutzen, schränken wir uns so wenig wie möglich ein. Wichtig ist, dass die Message des Songs so direkt wie möglich rüber kommt, dafür suchen wir nach den entsprechenden Mitteln.

Andrew: Was das live spielen manchmal ganz schön schwierig macht, es ist die Hölle, mit wie vielen Instrumenten wir zum Teil reisen (lacht).

Passiert es euch auch, dass ihr einen Song aufnehmt und danach keine Ahnung habt, wie ihr ihn live umsetzen sollt?

Andrew: Oh ja. Das kann eine ziemliche Herausforderung sein. Man muss die Songs auf ihre Essenz reduzieren und sehen, was man dann mit ihnen macht.

Sarah: Ich wünschte manchmal, wir könnten uns selber multiplizieren. Oder ich könnte acht Hände haben. Dann könnte ich auf der Bühne all die Sounds kreieren, die wir auf dem Album gebastelt haben. Aber das ist nun mal keine Möglichkeit für uns und außerdem denke ich, eigentlich wäre es langweilig. Limitierungen können ein großes Geschenk für einen Künstler sein. Und die Zufälle, die das Leben mit sich bringt. Ein Gitarrist zieht neben einer Harfenistin ein, ein Feuer bricht aus… In den Momenten, in denen man nicht alles unter Kontrolle hat, öffnet man sich und lässt andere Dinge zu. Das sind die wirklich magischen Momente im Leben.

Wir haben also viel Material für einen guten Film.

Andrew: Oh ja.

Die Geschichte mit der Wand, die mit dem Feuer und der Kellnerin… sie sollte auch unbedingt eine Kellnerin bleiben, das ist einfach zu perfekt.

Andrew: Heute ist sie übrigens unsere Managerin.

Wirklich?

Sarah: Ja. Sie ist der Grund warum wir das alles heute tun können. Es gibt also viel romantischen Stoff für diesen Film.

Und was wird mit den Barr Brothers im wahren Leben passieren?

Sarah: Wir sind so viel getourt beim letzten Album und ich glaube, das wird auch erst einmal so bleiben. Aber es wird ein Happy End geben. Wir werden miteinander glücklich sein und Musik machen. Vielleicht implodiert die Welt auch am Ende. Aber bis dahin… wir sind schon so weit gekommen und haben trotzdem das Gefühl: Endlich haben wir es an den Anfang geschafft! Andrew, hast du noch große Pläne, von denen ich nichts weiß? Ein Comicbuch!

Andrew: Ja, ehrlich gesagt haben wir schon öfter über ein Graphic Novel gesprochen. Das wäre ein Spaß. Der Film könnte auch ein Animé sein! Dann möchte ich aber Flügel haben.

Sarah: Die Flügel möchte ich haben.

Andrew: Okay, dann nehme ich Hörner. Und eine große Glocke um meinen Hals, wenn ich die läute steht die Welt still und ich bin der einzige, der sich bewegen kann.

Sarah: Das wäre cool.

Andrew: Das ist eigentlich alles. Mehr erwarte ich nicht vom Leben.

Interview: Gabi Rudolph

www.thebarrbrothers.com