Dass man von den Einstürzenden Neubauten nicht unbedingt leichte Kost erwarten kann, ist bekannt. Man ist Experimentelles und Avantgardistisches gewohnt. Post-industrielle Klänge, die oft durch die Nutzung von Alltagsgegenständen und nicht von herkömmlichen Instrumenten erzeugt wurden, durchziehen die musikalische Historie der Neubauten. Doch das neue Werk ist wieder eine Überraschung in einer abstrakt musikalischen Umsetzung eines ungewohnten Themas: Der 1. Weltkrieg.
Dem Ausbruch vor 100 Jahren wird mit „Lament“ ein musikalisches Mahnmahl gesetzt. Das Album bezeichnet die Band als eine Rekonstruktion der Live-Performance, die den primären Ursprung des Werkes darstellt.
Die Kompositionen beinhalten unter anderem Material von Kriegsgefangenen aus Archiven und Museen, aus den Jahren 1914-1916, das in kleinteiliger Nachforschung ausgegraben wurde. „Lament“ ist in diesem Fall auch als Klagelied zu verstehen.
Die gigantischen Instrumente und die anderen Gegenstände, die N.U. Unruh nutzt, um Geräusche und Lärm zu erzeugen, rufen ein Klangerlebnis hervor, das den Schrecken und Terror des Krieges deutlich macht. Dies kommt in den Live Aufführungen erst richtig zur Geltung, wie die Band selbst auf Ihrer Hompage beschreibt. Doch auch auf dem Album macht sich Bedrückung und Beklemmung durch die vielfältigen, an den Krieg angelehnten Sound-Sphären breit.
So setzen sich die Stücke zum Beispiel aus verschiedenen Hymnen zusammen und klingen wie eine ganz neu geschaffene Nationalhymne oder enthalten eine Telegraphie-Korrespondenz zwischen Friedrich Wilhelm Victor Albert von Preußen und Nikolaj Alexandrowisch Romanow. Die Geräuschkulisse wird meist untermalt von Geigern und Cello.
Um das Konzept zu vervollständigen, wird beispielsweise der Song „Kriegsmaschinerie“ mit einer handgemalten Grafik der Militärausgaben zwischen 1905 und 1913 unterlegt. Das Percussion-Stück „Der 1. Weltkrieg“, das nur mit wenigen Wortbeiträgen auskommt, wird durch Kunststoff-Röhren instrumentiert, die die verschiedenen Kolonialmächte und deren Verhältnisse untereinander darstellen, sowie die zeitliche Abfolge des Eintritts in den Krieg bis zur Beendigung des Militärengagements. Auch das wird im Booklet in einer ausführlichen Grafik dargestellt. Das wohl berühmteste Kriegslied „Sag mir wo die Blumen sind“ von Marlene Dietrich findet durch Blixa Bargeld eine anklagende Neuinterpretation und wirkt zwischen den anderen Stücken fast romantisch.
Letztendlich vertritt „Lament“ Bargelds These, dass der Erste Weltkrieg nie endete – die Zwischenkriegs- und Nachkriegszeiten sind nur Perioden, um zu pausieren und den Atem anzuhalten, denn die großen Militärmächte tragen ihre ständigen Konflikte immer irgendwo aus – in fernen Kriege, die von Stellvertretern geführt werden.
VÖ: Bereits erschienen
Gehört von: Kate Rock