Annie Clark ist ein echter Popstar. Zumindest weiß sie sich als solcher zu inszenieren. Als St. Vincent hat sie sich eine Künstleridentität geschaffen, die es ihr erlaubt alles zu tun. Vor allem sich selbst zu erhöhen und mehr Performance als Mensch zu sein.
Ganz ohne Supportact und Band stellt sich die US-amerikanische Multiinstrumentalistin auf die große Bühne des Berliner Huxleys. Anfangs nur mit einem einzigen Lichtspot so angestrahlt, dass ihre Haut so weiß erscheint, als sei sie die „Corpse Bride“ von Tim Burton höchstpersönlich. Ihre Stimme klar, der Raum still, ihr Song „Marry Me“ wiegt mit einem Mal doppelt so viel und schwer.
Doch nach der Reduktion ist vor dem Exzess: Die Lichter werden nach dem Opener greller, die Videoinstallationen rotieren mit Bewegtbildern von ihr in David-La-Chapelle-Chic durch, schon bald wechselt sie vom pinken Lack zum futuristischen Minidress. Erst zum Schluss sollen wieder ruhigere Töne angeschlagen werden. Davor knallt einem Annie Clark „Los Ageless“, „Pills“ und auch „Digital Witness“ vor. Als Popstar weiß sie eben, wie man die Massen für sich einnimmt.
Aber trotz des ganzes Aufwands treffen sich Clarks Vorstellungen nur auf dem halben Weg mit denen des Publikums. St. Vincent stehen keine kreischenden und weinenden Massen gegenüber – lediglich milde in sich hineinlächelnde Menschen, die so aussehen, als hätten sie gerade unverhofft noch einen gratis Nachtisch bekommen und als seien sie nach dem Vertilgen etwas müde. Doch ausflippen? Exaltiert tanzen? Fehlanzeige. Das ist wohl die Achillesferse der Perfektion: So richtig zum Ausrasten lädt sie nicht ein.