Vor etwas mehr als 30 Jahren war ich mit meinen Eltern in Los Angeles im Disneyland, und ich würde behaupten, zum damaligen Zeitpunkt war das die Party meines Lebens. Ich war kaum wieder raus zu kriegen und wollte am nächsten Tag direkt noch einmal hin. Seitdem hat sich meine Definition von Party ein klein wenig verändert und ich glaube, seit jenem schicksalhaften Tag war ich tatsächlich nie mehr in einem Freizeitpark. Auch meine Begeisterungen für Achterbahn- und Karussellfahrten hat merklich nachgelassen. Wenn ich so richtig die Sau raus lassen möchte gehe ich, wie der regelmäßige Leser inzwischen wissen dürfte, lieber auf Konzerte.
Allerdings ist das Team des Konzertveranstalters FKP Scorpio dieses Jahr auf eine ziemlich pfiffige Idee gekommen, nämlich ein Indoor Festival mit einem ganz superben Indie Line Up im Ambiente des Europa-Parks zu veranstalten. Und das klang doch nach der absolut perfekten Gelegenheit, mein 13-jähriges und mein heutiges Party-Ich ein Wochenende lang zu vereinen!
Das Rolling Stone Park Festival ging am vergangenen Wochenende erstmals als kleine Schwester des Rolling Stone Weekenders an den Start, der bereits seit neun Jahren immer im November am Weißenhäuser Strand stattfindet. Als Location diente das Confertainment Center vor den Toren des Europa Parks in Rust. Der Park selbst war an diesem Wochenende geschlossen, Festival Besucher hatten aber die Gelegenheit, zwei der Fahrgeschäfte exklusiv zu nutzen. Wenn man wie wir in einem der zum Europa Park gehörigen Hotels untergebracht war, führte der Weg zum Festival Gelände mithilfe des Europa Express einmal quer durch den Park, so konnte man auf dem Hin- und Rückweg auch ein bisschen Parkluft schnuppern. Es mag vielleicht an meinem fortgeschrittenen Alter liegen, aber so ein geschlossener Freizeitpark erscheint mir tatsächlich noch reizvoller.
Das ganze Ambiente verleiht dem Festival eine amüsant skurrile Atmosphäre. Seien es die Themen Hotels, die in unterschiedlich folkloristischem Gewand gestaltet sind, wie das Hotel Colosseo in dem wir untergebracht waren, im alt-italienischen Stil mit Wellnessbereich, da Vinci Zitaten über dem Bett und einem Hinterhof, ganz authentisch geschmückt mit von Fenster zu Fenster gespannten Wäscheleinen. Der amüsierwillige Parkbesucher hat aber auch die Möglichkeit, in einem Leuchtturm zu übernachten oder im Kloster Hotel, dessen Lobby neben einem überdimensionalen Christbaum ein alter Beichtstuhl schmückt. Richtig verrückt fühlt sich das Ganze an, wenn in Einklang mit dem Festival die Fahrstuhl Musik im Hotel von den Flaming Lips, The Breeders und Element of Crime stammt.
Ein lustiger Welten Clash, der offensichtlich nicht nur uns, sondern auch viele der auftretenden Künstler zum Schmunzeln brachte. Wayne Coyne von den Flaming Lips fragte sich zum Beispiel, ob sie tatsächlich in einem Freizeitpark gelandet wären oder vielleicht doch bei einem ominösen Kult. Nada Surf Frontmann Matthew Caws hielt eine entzückende Rede über die in seinen Augen perfekte Version Europas, die der Park darstellt und wie ihn als halb Engländer, halb Amerikaner die Vorstellung schmerzt, England könnte die Europäische Union verlassen. Father John Misty kratzte sich in der für ihn typisch lakonischen Art etwas ratlos am Kopf. Insgesamt schien man sich einig, dass wir alle an einem lustigen Ort zusammen gekommen waren, um entspannt miteinander eine Party zu feiern.
Entspannt ist dann auch tatsächlich genau der richtige Ausdruck. Das lag zum einen natürlich daran, dass das Festival in seinem ersten Jahr mit rund 2200 Besuchern noch weit von der maximalen Auslastung entfernt war. Beim Traumpalast, einem altmodischen Spiegelzelt im Foyer des Confertainment Centers, kam es manchmal zum Einlass-Stop, ansonsten konnte man in den Sälen, vor allem an der Hauptbühne in der sogenannten Arena, stets entspannt bis zu den ersten Reihen durchlaufen. Trotzdem wirkte die Atmosphäre selten bis nie unangenehm leer, das Publikum war begeisterungsfähig, ohne sich dabei gegenseitig auf die Füße zu treten. Auf diese Weise hatte Wayne Coyne sogar genug Platz, um auf seinem leuchtenden Einhorn einmal quer durch die Menge zu reiten. Das war zum Teil ganz schön perfekt.
Womit wir auch beim musikalischen Angebot des Wochenendes wären, bei dem man das Rolling Stone Park sich nicht lumpen ließ. Wie bereits erwähnt gaben sich am Freitag Abend The Flaming Lips und Father John Misty die Ehre, aber auch Anna Calvi, die ihre düster-erotische Rockshow bei Rotlicht im mit Teppichboden ausgelegten Ballsaal Berlin unter einer Wandgalerie mit Politiker Portraits zum Besten gab. Dieses superbe musikalische Triple war am zweiten Tag kaum mehr zu toppen – wenn die Flaming Lips erst einmal sämtlichen Inhalt ihrer Konfettikanonen verballert haben, der Father die Hüften geschwungen und die zierliche Anna wie ein Berserker die Saiten ihrer Gitarre traktiert hat, fühlt sich alles weitere ein bisschen wie Nachtisch an.
Das heißt natürlich nicht, dass der Samstag nicht auch seine Highlights hatte. The Breeders zum Beispiel holten das Ultimo aus ihrem leicht undankbaren Bühnen-Eröffnungs-Slot am Nachmittag raus und bewiesen, dass sie 30 Jahre nach ihrer Gründung und einem bewegten Bandleben voller Höhen und Tiefen immer noch verdammt viel Spielfreude an den Tag legen können. Und selten schien älter werden so charmant wie in dem Moment, als Kelley Deal sich die Lesebrille aufsetzen musste, um ein Stück vom Blatt zu spielen.
Die Könige der Herzen waren am zweiten Tag aber Laura Gibson und Dan Mangan. Die US-Amerikanerin und der Kanadier sind zur Zeit gemeinsam auf Tour und brachten den Traumpalast mit ihren gefühlvollen Shows zum Bersten. Selten ein Publikum erlebt, das so schön Hintergrund Harmonien singen konnte wie bei Dan Mangan! Und ein erneuter Beweis dafür, dass die leisen Töne manchmal einfach die schönsten sind. Zu späterer Stunde ereilte einen dann das Gefühl, dass es vielleicht ein richtiger Glücksfall war, dass Ryan Adams seinen ursprünglich geplanten Auftritt wieder abgesagt hat. Während er Zuhause seine Katzen kraulte, durften wir uns von Element of Crime auf deren unvergleichliche Art bewegen und mitreißen lassen.
Die erste Ausgabe des Rolling Stone Park dürfte auf jeden Fall als die entspannteste Festival Premiere die ich je erlebt habe in meine persönliche Geschichte eingehen. Dazu hat sowohl die bequeme Infrastruktur des Europa Parks ihren Teil beigetragen als auch die Tatsache, dass ein erfahrener Veranstalter wie FKP Scorpio offensichtlich das Know-How mitbringt, einen derartigen Versuch auf die Beine zu stellen und dabei nicht im Chaos zu versinken. Fürs nächste Jahr haben wir nur einen einzigen Verbesserungsvorschlag: wir möchten unbedingt eine Runde mit dem antiken Karussell fahren! Ansonsten kann es ruhig genau so weitergehen, damit in Zukunft noch mehr Leute dieses lustige und zugleich gemütliche Festival entdecken können.
Die zweite Ausgabe des Rolling Stone Park wird am 8. und 9. November 2019 stattfinden, der Vorverkauf ist bereits gestartet. Tickets und weitere Infos findet hier hier.
Bericht: Gabi Rudolph
Fotos: Kate Rock