Smoke Fairies im Interview

Das Fenster des Interviewraumes ist weit offen. Es sind Mensch- und Vogeldialoge zu hören. Und die Feuerwehr. Den Smoke Fairies scheint die Sonne in den Rücken, mir ins Gesicht. Während ich in den nächsten 30 Minuten viel zwinkere, halten die Freundinnen Katherine Blamire und Jessica Davies jedem Blick stand.

Fast wäre unser heutiges Treffen nicht möglich gewesen. Stelle man sich nur vor ihr hättet Smoke Fairies für beendet erklärt wie es zunächst euer Wunsch war – niemand würde nun euer neues, selbstbetiteltes Album hören können. Genauso wenig wie ich euch hätte kennenlernen dürfen. 

Jessica Davies: Jetzt klingt der Gedanke alles Hinwerfen zu wollen auch für uns ziemlich verrückt. Aber wir kamen an einen Punkt, an dem wir alles in Frage gestellt haben. Wieso machen wir Musik? Auch wenn Musik ein dominanter Faktor in unserem Leben ist, so ist es oft auch sehr ernüchternd. Wir stecken alles in diese Sache und dennoch mussten wir uns fragen, ob wir das wirklich noch einmal für ein weiteres Album machen könnten. Zunächst entschieden für uns gegen die Musik, wollten einen anderen Weg gehen. Nur um dann festzustellen, dass die Passion zur Musik etwas ist, das man nicht einfach beenden kann.

Katherine Blamire: Wir haben herausgefunden, dass ein Großteil des Drucks, der uns tagtäglich so sehr belastet, von uns selbst ausgeht. Als wir das erkannt hatten, konnten wir mit einem Mal viel besser los lassen und freier an die Sachen herangehen. Wenn ich nur daran zurückdenke wie sehr uns die Gedanken daran beeinflusst haben, ob wir erfolgreich genug sind und ob wir nicht irgendetwas völlig falsch angegangen sind… Wir haben erst mit der Zeit realisiert wie viele gute Erfahrungen wir auch in der Vergangenheit sammeln konnten. Ich glaube, dass wir erst alles in Frage stellen mussten, um die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, wirklich wertschätzen zu können.

Jessica: Mit diesem Album fühlt sich alles nach einer größeren Herausforderung an. Wir haben versucht auf dem Albun viele unterschiedliche Instrumente zu spielen und uns mehr auf unsere Stimme und weniger auf Harmonien zu stützen. Wir haben ständig über neue Möglichkeiten nachgedacht und das ließ mich mich lebendiger denn je fühlen. Auch wenn alles ein bisschen unsicherer als vorher war.

Euer Album wirkt trotz der vielen Selbstzweifel sehr sicher und direkt.

Katherine: Ja, mit der Zeit haben wir gelernt, uns auf die Basis eines Songs zu konzentrieren. Wir haben versucht die Stücke reduziert zu halten, anstelle sie zu überladen. Auch in unseren Texten wollten wir klarer und direkter werden. Auf unserem ersten Album haben wir eine Menge Natur- und Licht- bzw. Dunkelheit-Metaphern benutzt. Jetzt wollten wir auf komplizierte Umschreibungen verzichten, so wie auch auf irgendwelche Genre-Bezeichnungen. Wir haben eine Menge experimentiert und geschaut, wonach wir uns gerade fühlen. Aber von Verschnörkelungen hatten wir genug. Auch wenn wir manche Fans damit verschrecken sollten: für uns ist das Alte nur noch langweilig und um Weitermachen zu können, suchten wir nach neuen Wegen um uns bei Laune zu halten.

Jessica: Wir verstehen uns nun besser darauf jedem Instrument auch seinen Raum zu geben und nicht alles zusammenzukleben. Ein gutes Beispiel für diesen Lernprozess ist „The Very Last Time“. Bei den ersten Aufnahmen war der Song sehr schnell, laut und einfach mitten ins Gesicht. Als wir uns das Ganze eine Woche später wieder anhörten, mussten wir erkennen, dass das Stück nicht wirklich gut klang. Also begannen wir nach und nach die Tracks zu reduzieren und das funktionierte so gut, wie wir uns das vorher niemals erträumt hätten.

Habt ihr darüber nachgedacht wie eure Freundschaft ohne die Band aussehen würde?

Jessica: Ja, das war ein komisches Gefühl. Unsere ganze Freundschaft dreht sich nun mal um die Band. Sobald wir Freunde wurden, im Alter von 11 Jahren, machten wir zusammen Musik. Es war sehr schwer über ein Leben ohne Musik nachzudenken. Zwar wohnen wir zusammen und somit würden wir uns sicherlich immer noch genauso viel sehen. Aber wir haben auch viele andere Freunde durch die Musik kennengelernt – was wäre mit denen? Musik ist einfach die Basis von allem. Deswegen konnten wir wohl auch nicht aufhören…

Katherine: Aber ich komme mir schon manchmal zurückgelassen vor, wenn ich mir all die Leute um mich herum anschaue, die einen sichereren Weg gewählt haben und sich nun ein Erwachsenenleben mit einem Auto, einer Familie und einem geregelten Einkommen aufgebaut haben. Es gibt so viele Dinge, die ich nicht tun und haben kann. Aber ich frage mich genauso oft, ob ich überhaupt all das will, was die anderen Menschen haben? Auf dem letzten Song von Nick Caves Album „Push The Sky Away“ singt er so etwas in der Art wie: „Du denkst, dass du es wie die anderen machen solltest, aber du musst einfach weitermachen.“ Und am Ende zeigt doch genau das, wer man ist. Man ergibt Sinn. Alles andere würde wahrscheinlich zu einem traurigen und leeren Leben führen. Meiner Meinung nach ist das Leben eine Aneinanderreihung von Entscheidungen und es ist nicht so leicht die richtigen zu treffen und den am wenigsten leeren Weg zu wählen. Schließlich kann man auch ständig getäuscht werden oder sich fühlen als würde man mit seiner Entscheidung allein da stehen und verrückt sein. Auf unserem Album heißt der letzte Song „Are You Crazy?“. Das fragen wir uns ständig!

Jessica: Mit der Platte versuchen wir auch ein bisschen diese Frage zu erörtern. Sind wir nun verrückt, weil wir mit der Musik weiter machen oder nicht? Finanziell gesehen scheint es eine total dumme Entscheidung von uns zu sein. Die meisten unserer Freunde sind schon so gesetzt und im Leben angekommen und wir jagen immer noch unserem Traum hinterher.

Katherine: Wenn ich auf einer Feier neue Leute kennenlerne und sie mich fragen, was ich beruflich mache, möchte ich am liebsten sagen: „Ich bin eine Computeranalystin.“ Denn mit der Antwort, dass man in einer Band ist, fühlt man sich sofort wieder wie ein 10-jähriges Kind. Man hat das Gefühl albern und blöd zu sein. Aber wahrscheinlich deute ich mehr in solche Situationen hinein als es nötig ist. Und letztlich haben wir auch gelernt mehr auf uns zu hören und weniger auf die anderen Stimmen.

Glücklicherweise seid ihr zu zweit und könnt euch auch immer gegenseitig in den Entscheidungen unterstützen.

Jessica: Das heißt aber auch, wenn sich die eine nicht gut fühlt, unterstützt sie die andere in ihrem Unwohlsein und nennt noch weitere Gründe, die das schlechte Gefühl bestärken. Man kann dadurch in ein tiefes Loch fallen, aus dem man schwer wieder herauskommt. Ich glaube, genau das ist uns passiert bevor wir dieses Album aufnahmen. Wir haben uns gegenseitig fertig gemacht und keiner hat uns aus dem Loch herausgeholt. Das mussten wir irgendwie selbst schaffen. Und so sagten wir uns irgendwann: lass uns nur zum Spaß ein Album machen. Alles drum herum ist nicht wichtig. Es ist egal, ob es jemand hören wird oder nicht. Wir haben versucht der Musik den Rang als Top-Priorität zu nehmen.

Katherine: Zumindest versuchen wir uns das immer noch einzureden. (lacht) Denn eigentlich können wir Musik nicht halbherzig machen. Nicht mal unsere Musikvideos. Die Arbeit an unserem Video zu „We’ve Seen Birds“ war lächerlich! Wir brauchten drei Tage um diesen riesigen Vogel zu konstruieren. Am Ende haben wir es hinbekommen, das sich die Flügel und der Schwanz unabhängig von einander bewegen können. Mit dem Vogel sind wir dann dahin gefahren, wo wir auf aufgewachsen sind und liefen dort mit dem großen Ding für eine ganze Weile den Berg rauf und runter, um auch wirklich alles festhalten zu können. Das war so anstrengend! Danach hatte ich mit einer schweren Erkältung zu kämpfen und mein Körper tat mir überall dort so wahnsinnig weh, wo der Vogel reingedrückt hatte. Muskelkater gab es obendrauf auch noch. Ja, so sind wir! Bei uns muss alles bis ins Extreme gemacht werden. Und die Musik an einen besser zu managenden Ort in unserem Leben packen? Das ist eigentlich nicht machbar. Wenn wir schon bei so einem Video komplett die Kontrolle über uns verlieren…

Wobei könnt ihr noch die Kontrolle über euch verlieren?

Katherine: Wir haben für dieses Album viel am Keyboard geschrieben und das war auch sehr einnehmend, weil wir damit ganz neue Resultate bekamen. Außerdem habe ich mir während der Arbeit am Album jeden nur möglichen Popsong angehört. Ich habe mich gefragt, was den Song voran bringt, warum das so einprägsam ist und wieso wir alle Popsongs so gerne mögen? Wenn man genau hinschaut, dann unterscheiden wir uns gar nicht so von einander. Zwar haben wir diese Idee von uns als Individuen und das wir alle unser eigenes Ding machen. Aber eigentlich gibt es doch nur eine gewisse Anzahl an Gefühlen und wir alle haben sie schon gefühlt. Wenn man also einen Song schreibt, dann schreibt man höchstwahrscheinlich über etwas, das auch schon andere Menschen so gefühlt oder erlebt haben. Ist das nicht total komisch?

Jessica: Naja, niemand möchte doch denken, das man allein mit seinen Gefühlen ist. Das wäre ja schrecklich!

Wodurch habt ihr zuletzt Karma-Punkte gesammelt?

Katherine: Mir passieren oft komische Dinge…

Jessica: Das stimmt. Du triffst ständig auf Leute, die Hilfe brauchen. Ich weiß nur nicht wieso das immer nur dir passiert. Hast du nicht vor einer Weile einer verwirrten Frau geholfen?

Katherine: Soll ich wirklich davon erzählen? Na gut… Also es ist schon eine Weile her, da war ich mit einem Freund mit dem Auto unterwegs. Wir kamen gerade an einem Krankenhaus vorbei und es war eine Menge Verkehr. Plötzlich stand da eine Frau mitten auf der Straße. Sie war ziemlich groß und von der Taille aufwärts nackt. Sie hatte eine Krankenhaushose an und überall liefen Kabel entlang, die an ihrem Körper befestigt waren. Sie schien völlig benommen zu sein und lief immer weiter in den Verkehr hinein. Also bremsten wir unser Auto und ich ging auf sie zu. Aber sie schrie mich an, wollte dass ich weg gehe. Daraufhin habe ich versucht den Verkehr zu stoppen. Ich machte so Zeichen, als wäre ich eine Verkehrspolizistin. Ich schaffte es wirklich den Verkehr zum Erliegen zu bekommen. Auch die Frau blieb mit einem Mal stehen. Und dann kam endlich wie aus dem Nichts die Polizei. Ich war so erleichtert! Was hätte ich auch als Nächstes tun können? Vielleicht habe ich ja damit Karma-Punkte gesammelt? Ich weiß nicht… Kennst du das, wenn du dich plötzlich in einer Situation befindest, in der du dich fragt was du da eigentlich gerade machst? So geht es mir ziemlich oft. Diese Situation fühlte sich verkehrt an. Und auch jetzt erscheint es mir sehr komisch so über mich zu reden. Ist das nicht sehr egoistisch? Ich komme extra nach Deutschland, um über mich zu erzählen. Auch die Songs sind doch ein Indiz dafür, dass man viel Zeit darauf verwendet tiefgründig über sich selbst nachzudenken. Dabei halte ich uns im normalen Leben nicht für selbstsüchtige Menschen. Obwohl ich auch glaube, dass wir mit diesem Album selbstsicherer in Hinblick darauf geworden sind, dass es für uns ok ist so zu sein. Wir haben schließlich dem Ganzen unser Leben gewidmet, weißt du?

Album-VÖ: 11. April 2014

Interview und Fotos: Hella Wittenberg