Self Esteem: „Ich möchte, dass wir alle unsere Geschichten erzählen können, so lang wie wir wollen“

Rebecca Taylor, bekannt als Self Esteem, nimmt sich während einer Pause von den Proben für die Live-Show ihres kommenden dritten Albums „A Complicated Woman“ Zeit für unser Interview. Ich sage ihr, dass sie eine der am härtesten arbeitenden Künstlerinnen in der Branche sein muss, und sie lacht. „Frühstück um 7 Uhr morgens, dann Proben, mittags Promo und abends nochmal Promo! Aber es ist alles gut. Noch vor nicht allzu langer Zeit hat sich niemand für mein neues Album interessiert!“

Es heißt, dass es Jahre harter Arbeit braucht, um über Nacht erfolgreich zu werden. Genau so war es bei Rebecca Taylor. Ihr zweites Self Esteem Album, „Prioritise Pleasure“ von 2021, führte die Album des Jahres-Listen an und wurde für in Großbritannien für eine Reihe von Auszeichnungen nominiert. Aber schon davor war Taylor zehn Jahre lang Teil des Indie-Duos Slow Club, gewann treue Fans und erntete ordentliche Kritiken, erreichte jedoch nie den großen Durchbruch. Desillusioniert von der Indie-Szene veröffentlichte sie 2019 ihr erstes Soloalbum „Compliments Please“. Auch dieses brachte ihr lobende Kritiken und noch mehr Fans, jedoch erneut keinen Mainstream-Erfolg.

„Prioritise Pleasure“, und der herausragende Song „I Do This All the Time“ katapultierten Self Esteem in die Höhen, von denen Rebecca Taylor immer geträumt hatte. Anscheinend über Nacht wurde über sie gesprochen, ihre Musik in Heavy Rotation gespielt. Ihre fesselnden Texte, bekenntnishaft, roh, aber durchzogen von britischem Humor, fanden besonders bei weiblichen Musikfans Anklang. Seitdem hatte Taylor kaum Zeit zum atmen, sie trat bei einer Reihe von Festivals auf, darunter ein ikonisches Set beim Glastonbury 2022, erschien in zahlreichen TV-Panelsendungen und zierte die Titelseiten von Magazinen. Irgendwie fand sie dann auch noch Zeit, ihrer Liebe zum Theater nachzugehen, indem sie den Soundtrack für das West-End-Stück „Prima Facie“ mit Jodie Comer komponierte und eine monatelang als Sally Bowles in der legendären Londoner Inszenierung von „Cabaret“ auf der Bühne stand. Und dann hat sie noch ganz nebenbei ein drittes Soloalbum geschrieben, aufgenommen und produziert.

Rebecca Taylor aka Self Esteem und ich sprechen via Zoo, über die Herausforderungen, auf ein enorm erfolgreiches Album aufzubauen, wie das Theater sie inspiriert und warum die ultimative Botschaft, die Frauen 2025 brauchen die ist, dass es in Ordnung ist, einfach nur in Ordnung zu sein. Wir reden weit über unsere vereinbarte Zeit hinaus. „Die Probe beginnt gleich wieder, aber ich habe noch ein paar Minuten“, lacht Taylor und schaut über ihre Schulter. „Wir können weiter plaudern. Gib mir mehr Fragen!“ Es ist typisch für sie: sie ist großzügig, sucht die Verbindung, hat immer noch etwas mehr zu sagen.

Angesichts all dessen, was du in den letzten Jahren gemacht hast, ist es unglaublich, dass du überhaupt Zeit hattest, ein Album zu machen. Geschweige denn eines, das so gut ist!

Ganz ehrlich, es war hart. Ich habe schon so viele Alben gemacht. Und dann kam „Prioritise Pleasure“, und es war einfach verrückt. Es gab eine Phase von etwa sechs Wochen, in der sich mein ganzes Leben veränderte. Menschen, die dir im Internet folgen, diese lächerlich netten Rezensionen, dann Nominierungen für Dinge, die ich mir immer gewünscht hatte. Es war einfach so viel, und es war natürlich großartig, aber es war auch so, als wäre ich nicht wirklich da. Es geschah alles einfach mit mir. Und es stellt sich heraus, dass das nicht der kreativste Ort ist, an dem man sein kann!

Es war beängstigend – ich hatte nichts. Es war nichts in meinem Kopf, einfach nichts. Idealerweise hätte ich fünf Jahre Auszeit nehmen, unter Mönchen leben und zur Marina Abramovic-Schule gehen sollen, solche Dinge. Aber offensichtlich hat man dafür einfach nicht die Zeit. Und meine Karriere bisher war dieses mühsame Ding von wegen: „Bitte, kann ich da irgendwie Fortschritte machen, oder muss ich aufhören?“ Ich wusste, ich muss weitermachen.

„Frauen brauchen keine toxisch positiven Slogans darüber, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen. Ich finde, das ist genauso schlimm wie wenn wir die ganze Scheiße ignorieren, die Frauen durchmachen müssen.“

Also habe ich mich mit mir selbst auseinandergesetzt. Ich weiß nicht, ob es funktioniert hat. Ich dachte: Du wirst das, was passiert ist, nie wiederholen können. Also mach einfach das, was in deinem Herzen ist. Und leider ist aus diesen komplizierten Gefühlen das Album entstanden, das ich gemacht habe. Es war kein wirklich angenehmer Prozess. Es live zu spielen wird mich, denke ich, heilen, aber es zu machen war wirklich, wirklich hart. Und jetzt, wenn die Rezensionen eintreffen, denke ich: „7/10 – Scheiße! Das ist furchtbar!“ Ich versuche mir zu sagen, nein, das ist es verdammt nochmal nicht! Du musst einfach im Kontext von „Prioritise Pleasure“ sehen! Ich versuche, Rezensionen zu abstrahieren, aber wenn es dann eine gute gibt, denke ich „JA!!“. Aber das Album kommt langsam wieder zu mir zurück. Es fühlt sich an, als ginge es wieder um mich und als wäre es für niemand anderen als meine Fans.

Frauen lieben dich. Das klingt vielleicht schlüpfrig, aber ich habe wirklich das Gefühl, dass Frauen dich brauchen. Besonders jetzt mit dem ganzen Wahnsinn in der Welt. Ich habe gehört, dass deine Shows mit einem Gottesdienst verglichen werden, und ich verstehe das. So viele Frauen singen mit. Ich finde deine Shows wirklich emotional.

Ich denke, wenn eine Underground-Künstlerin wie ich einen großen Hit hat, schlägt das eine Schneise für andere. Entweder verwässerst du das und näherst dich dem Mainstream an. Oder du wirst einfach noch schräger als je zuvor! Plattenfirmen sind so: „Oh, das ist Female Empowerment! Lass uns verdammte Lizzo-Songs machen, riesig werden, global, nach Amerika gehen!” Offensichtlich kann ich das nicht tun, aber ich habe immer noch eine große Liebe zur Popmusik, und ich möchte als Songschreiberin großzügig sein. Ich wollte einfach das fortsetzen, was ich angefangen hatte. Meine geschäftstüchtige Seite dachte: „Mach einfach irgendeine Art von Dove-Werbemusik, kassier ab und verpiss dich.” Aber ich kann das einfach nicht. Ich bin mit richtigen Pop-Songwritern an die Arbeit für dieses Album gegangen. Aber dann dachte ich verdammt, ich kann das nicht.

Aber ich dachte, sich um 180 Grad zu drehen und eine völlig andere Richtung einzuschlagen, ist auch ein bisschen feige. Ich habe das Schwierigste getan, was ich [auf diesem Album] hätte tun können, mit unterschiedlichem Erfolg, aber ich liebe, dass es kompliziert ist. Frauen brauchen keine toxisch positiven Slogans darüber, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen. Ich finde, das ist genauso schlimm wie wenn wir die ganze Scheiße ignorieren, die Frauen durchmachen müssen. Dieses Album sagt: Manchmal wirst du dich gut fühlen, manchmal nicht, also lass uns einfach auf die Mitte zielen. Einer meiner Mitwirkenden sagte zu mir: „Weißt du, es wird wirklich schwer sein, ‘OK’ zu verkaufen!”Ich werde wahrscheinlich keine Markenverträge damit bekommen! Aber ich habe das Gefühl, dass ich “OK” für mich selbst verkaufen muss. Und ich hoffe, dass das weiterhin anderen Frauen und Menschen hilft, die sich am Rande der Dinge fühlen oder von der Welt erschöpft sind.

Ich finde, es sollte für Frauen in Ordnung sein, einfach in Ordnung zu sein. Ich habe sehr über diese Zeile [im Eröffnungstrack „I Do and I Don’t Care“] gelacht: “We’re not chasing happiness any more girls, we’re chasing nothing. The deep blue OK.” Das letzte Jahr drehte sich ganz um Charli xcx und „Brat“. Und ich liebe dieses Album, aber Brat zu sein, fühlt sich für mich immer noch wie Arbeit an. Man muss sich schick machen, in den Club gehen und die beste Zeit haben…

Und der Kater! Ich bräuchte vier Tage um mich zu erholen, wenn ich so feiern würde!

Oder?! Ich finde, es ist ziemlich ermächtigend, Frauen zu sagen: Ihr könnt einfach sein. Ihr müsst nicht ständig nach etwas streben!

Haha, ja!

Deine Live-Shows waren schon immer ziemlich theatral. Aber selbst das Hören dieses Albums fühlt sich an wie in einem feministischen Musical, allein die vielen Frauenchöre. Wie sehr hat deine Theaterarbeit das Album beeinflusst?

Ich war schon immer sehr vom Theater beeinflusst. Ich habe immer versucht, meine Touren wie eine Peter Gabriel-Tour oder eine David Byrne-Show zu gestalten. Männer sind schon seit Jahren theatral, aber bei Künstlerinnen hat man das Gefühl, dass man wenn dann ein Drama auf Gaga-Niveau liefern muss. Mein Ziel ist es, einfach mittendrin zu sein.

Gott, ich habe die Zeit bei „Cabaret“ geliebt! Aber wahrscheinlich aus ziemlich langweiligen Gründen. Es war so inspirierend, weil ich einfach machen konnte und niemand mich danach in Bildern markiert hat. Es war so befreiend. Ich habe keinen einzigen Moment darüber nachgedacht. Jeden Tag hatte ich jemanden, der sicherstellte, dass die Perücke auf meinem Kopf war und meine Kleidung da war, dass ich gut nach Hause kam. Mein Job war es, Sally zu sein und das war’s. Ich fand es so reinigend, mich einfach auf meine Performance konzentrieren zu können. Die Musikindustrie ist so, wie sie ist. Und meine Karriere ist so, wie sie ist. Alles, was du jemals von Self Esteem gesehen hast – ich musste selbst herausfinden, wie ich es erreichen kann und wie ich dafür bezahlen werde. Ich hatte fast ein Jahrzehnt lang keinen einzigen Moment frei in meinem Kopf. Es war also die Infrastruktur des Theaters, die mich mehr als alles andere inspiriert hat. 

Aber ich gehe mit der neuen Live-Show ein großes Risiko ein. Ich hätte viel mehr Geld verdienen können, wenn ich das nicht gemacht hätte, aber es fühlt sich wichtig an, dass die Musik und die Live-Performance aufeinandertreffen. Beide Disziplinen brauchen einander. Und ich bin immer noch so verletzt von den Jahren in einer Indie-Band, wo man so tun muss, als wolle man nicht so gut sein wie man eigentlich sein will. Ich liebe es, mit Theaterleuten zu arbeiten, denn sie wollen verdammt gut sein, jeden Tag, den ganzen Tag! Ich genieße es sehr, in dieser Umgebung zu sein.Wir sprechen ein wenig über Taylors früheres Indie-Duo Slow Club und die Fans, die sie seit diesen Tagen begleiten.

Es gibt eine unglaubliche Art von Schwesternschaft und Verbundenheit unter diesen Fans. Es ist so lustig, wie viele Frauen in einem ähnlichen Alter wie ich denselben verdammten Weg gegangen sind. Sie haben Slow Club wahrscheinlich mit ihrem Freund gesehen, wahrscheinlich haben sie versucht, sich auf eine bestimmte Weise zu kleiden und auf eine bestimmte coole Art dazuzugehören. Und sie hatten zur gleichen Zeit die gleiche verdammte Erkenntnis wie ich. Als ich es endlich laut ausgesprochen habe, sind sie mit mir gekommen. Und ich denke, meine Kunst wird weiter genau so sein.

Ständig wird darüber gesprochen, dass ich zu alt bin, um ein Popstar zu sein. Ich denke, das wird meine Karriere sein: ich werde immer wieder auftauchen, mit zwölf bis vierzehn Songs, die ich darüber geschrieben habe, wie verdammt nochmal ich mich dabei fühle, durchs Leben zu kommen. Ich möchte noch Alben machen, wenn ich im Sterben liege, was wahrscheinlich mit 55 Jahren sein wird, wenn ich in diesem Tempo weitermache! Die Slow Club Fans zeigen mir, dass es Sinn macht, in meinem Tagebuch über diese Reise zu schreiben. Das wird nicht aus der Mode kommen oder uncool werden. Ich möchte, dass wir alle unsere Geschichten erzählen können, so lang wie wir wollen.

Es ist ein wirklich kollaboratives Album – nicht nur der weibliche Chorgesang auf mehreren Tracks, sondern auch „In Plain Sight“ mit Moonchild Sanelly und „Lies“ mit Nadine Shah. Hast du dir vorgenommen, das Album so kollaborativ wie möglich zu gestalten?

Ja, ich denke, das kann man auf allen Self Esteem Alben verfolgen. Bei Slow Club hat damals niemand geglaubt, dass ich irgendetwas selbst geschrieben habe. Die Leute gehen immer davon aus, dass das hübsche Mädchen das singt, was der Typ mit der Gitarre geschrieben hat. Das verfolgt mich bis heute. Ich habe immer noch verdammte Ego-Probleme, wie: „Ihr müsst alle wissen, dass ich das gemacht habe!“ Das hat es schwer gemacht, die Kontrolle loszulassen. Auf [dem ersten Self Esteem-Album] „Compliments Please“ bin der Mittelpunkt ich, wie ich heiß aussehe. Jetzt finde ich das zutiefst peinlich. Das bin ich nicht wirklich!

„Wenn wir uns auf der Bühne umarmen, möchte ich, dass Frauen daran erinnert werden: Vergesst nicht, euch gegenseitig in den Arm zu nehmen. Wir wollen doch eigentlich zusammenhalten. Und nur weil wir gesagt bekommen, dass dem nicht so ist, haben wir uns diesbezüglich immer noch nicht weiter entwickelt.“

Und schließlich dachte ich, es macht keinen Sinn, wenn ich nicht dort oben stehe und die Hände meiner Schwestern halte. Musikalisch genauso. Es ist immer noch schwer, diejenige zu sein, die alles denkt und alles macht und gleichzeitig andere mit in den Raum zu lassen. Ich werde immer noch defensiv, wenn die Leute irgendwelche Mutmaßungen über mich anstellen. Ich habe dann immer noch das Bedürfnis zu sagen: „Ich coproduziere verdammt nochmal all meine Musik!“Sobald irgendwo ein Mann beteiligt ist, nehmen die Leute an, dass er alles gemacht hat. Die Leute wollen immer noch, dass Frauen gegeneinander kämpfen, also wandert dein Gehirn bei der kleinsten Gelegenheit an diesen eifersüchtigen und zickigen Ort. Wenn wir uns auf der Bühne umarmen, möchte ich, dass Frauen daran erinnert werden: „Vergesst nicht, euch gegenseitig in den Arm zu nehmen.“ Wir wollen doch eigentlich zusammenhalten. Und die Vorstellung, dass es nicht so ist, ist der Grund, warum wir uns diesbezüglich immer noch nicht weiter entwickelt haben.

Können wir über „69“ sprechen? Ich denke, deine Lieder über sexuelle Lust sind so wichtig. Wir leben in einer Welt, in der Sex allgegenwärtig ist. Aber über weibliche Lust wird viel zu wenig gesprochen gesprochen.

Ich wollte schon immer eine neue Version von Christina Aguileras „Dirrty“ machen! Als ich elf Jahre alt war, bin ich immer auf die Tanzfläche gerannt, als das lief! „69“ ist auch eine Fortsetzung von „Prioritise Pleasure“ auf dem letzten Album. Ich höre immer wieder, wie Frauen nicht zum Orgasmus kommen und wir den Orgasmus vortäuschen. Das habe ich seit Jahrzehnten nicht mehr gemacht! Ich mache das seit so langer Zeit absolut nicht mehr. Aber ich weiß, dass viele Frauen es immer noch tun. Ich habe herausgefunden, dass wenn man so schnell wie möglich sagt, was man wirklich meint, man viel Mist vermeiden kann. Aus dieser Idee ist der Song entstanden. Quasi als würde ich sagen: „Bevor wir ficken: das mag ich, das mag ich nicht. Mach damit, was du willst!“

Das Albumcover ist auch wirklich interessant. Es erinnert mich an „The Handmaid’s Tale“.

Ich habe sehr viel Vorbereitung und Recherche hineingesteckt. Ich habe mir Artwork von „Hexenjagd“ und „The Handmaid’s Tale“ angesehen. Diese Zeit ist politisch und sozial wieder ganz aktuell. Wir sind plötzlich wieder an einem Punkt der Geschichte, an dem die Rolle der Frauen darin bestand, Kinder großzuziehen und so weiter. Ich bin selbst kein „witchy girl“, aber ich habe eine Dokumentation namens „Witches“ auf MUBI gesehen, die die postpartale Psychose einer Frau mit der Behandlung von Hexen in der Vergangenheit verbindet. Damals wurden Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt für das, was wahrscheinlich hormonell bedingtes Verhalten war. Das hat mich über den ständigen Stress, eine Frau zu sein, nachdenken lassen: hormonelle Schwankungen, die ständigen Ängste um die eigene Sicherheit, all die Dinge, die einen verrückt machen. Eine Frau zu sein hat mich verrückt gemacht. Und ich wäre als Hexe verbrannt worden, ich wäre lobotomiert worden! Das Cover soll sagen, dass wir immer noch da sind. So sehr wir denken, dass wir ermächtigt und freier sind, sind wir nur einen Schritt davon entfernt, wieder in dieser Zeit zurückzufallen. Das auf meinem Kopf ist übrigens ein Hemdkragen. Auf der Bühne kleide ich mich ziemlich maskulin, das ist quasi Teil meiner Rüstung.

Du hast gesagt, du möchtest, dass es dein Stadionmoment ist, wenn du diesen Sommer live spielst. Ich liebe das, denn die meisten Medien sind sich darüber einig, dass dieser der Sommer der Oasis-Reunion wird. Und ich hasse Oasis! Mir ist das zu Bro-mäßig. Ich finde, du verdienst deinen Stadionmoment!

Haha, im Laufe der Jahre, immer wenn ich mit männlichen Bands gespielt habe, habe ich so oft gedacht: warum bekomme ich nicht die Reaktionen, die sie bekommen? Und am Ende von „Prioritise Pleasure“ war mein Publikum plötzlich wie eine verdammte Fußballmenge. Ich habe viel darüber nachgedacht, wie Männer dieses Gefühl der Befreiung durch Fußball und Kämpfen erreichen. Und was ist unsere Version davon? Als weibliche Künstlerinnen werden wir immer noch eingeschränkt und visuell auf den männlichen Blick reduziert. Was ist unsere Version? Das ist es, was ich erkunden möchte.

„Alles und jeder macht mir Angst. Aber in einem Song kann ich mehrdeutig genug sein um zu sagen, was ich meine.“

Auf welchen der Songs auf dem Album bist du am meisten stolz?

Das ist schwierig. Wenn ich live spiele, sehe ich die Songs in einem neuen Licht. Ich bin sehr stolz auf „The Curse“. Ich wollte über das Trinken schreiben – dieses Ding, das wir alle verdammt gut kennen – aber es nicht binär machen. Es ist gleichzeitig großartig und schrecklich, auf der Reise bin ich immer noch. Den Song finde ich so interessant. Einige Leute werden denken, verdammte Scheiße, ich fühle mich genau so. Einige Leute werden es überspringen, weil sie sich nicht mit ihrem Laster, den schnellen Lösungen, konfrontieren wollen. Man muss in einer Phase seines Lebens sein, in der man bereit ist, sie zu hinterfragen. Ich bin stolz darauf, wie kompliziert dieses Lied ist. Und es ist irgendwie lustig, dass das vielleicht der am meisten Oasis-mäßige, „Lad-Rock-Moment“ auf dem Album ist! Ich finde es perfekt.

Gibt es jemals etwas, über das du keinen Song schreiben würdest? Oder bist du da allem offen gegenüber?

(lacht) Ja! Ich fühle mich beim Musikmachen sehr sicher. Mir ist aufgefallen, dass ich dermaßen konfrontativ bin, es ist verrückt. Und es wird tatsächlich schlimmer! Alles und jeder macht mir Angst. Aber in einem Song kann ich mehrdeutig genug sein um zu sagen, was ich meine. Deswegen schreibe ich so viel, und letztendlich ist es einfach. Es ist der einzige Ort, an dem ich frei sagen kann, was ich verdammt nochmal meine. Im wahren Leben mache ich das nicht. Mein Ziel ist es, auch im wahren Leben mehr das sagen zu können, was ich denke!

Ich denke, das ist der Grund, warum deine Musik Frauen so sehr ansprichst – du sagst, was wir nicht immer klar artikulieren können. Und wir hören zu und denken: „Gott, genau so fühle ich mich!“ Wie diese Zeile [in „I Do This All the Time“]: “Getting married isn’t the biggest day of your life. All the days you get to have are big.”

Danke, ja. Es gibt all diese Vorstellungen davon, was wir als Frauen sein sollen, und wir können sie alle hinterfragen. Aber es ist schwer, denn wenn ich einmal in einer Beziehung bin, in der ich heiraten oder ein Kind haben möchte, würde ich dann die Leute enttäuschen? Das ist der Grund, warum ich das Album „A Complicated Woman“ nenne. Ich sage: Alles ist möglich. Kulturell wird man als Frau in eine Schublade gesteckt, als müsste alles, was du sagst, vollkommen Sinn machen und auch für immer so bleiben. Ich stehe nicht zu allem, was ich letzte Woche gesagt habe! Wir müssen das Recht haben, zu reifen, uns zu verändern und zu wachsen – das ist es, worum es mir geht. Obwohl ich tatsächlich zu dieser Zeile über die Ehe stehe. In dem Fall bin ich binär und stehe dazu! Vielleicht war das mein weisester Moment…

Das neue Self Esteem Album „A Complicated Woman“ erscheint am 25. April 2025 und kann hier vorbestellt werden.

Das Interview ist ursprünglich auf Englisch erschienen und wurde ins Deutsche übersetzt. Das Original lest ihr hier.

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