Ein beschaulicher Ausklang des Wochenendes. Allein Stühle füllen den kreisrunden Innenraum des Berliner Tempodroms am Abend des 22. Julis. Die Bühnendekoration bietet außer dem mittig positionierten polierten Steinway & Sons Flügel keine außergewöhnlichen Highlights. Und als um Punkt 21 Uhr, dem Opener „Only Son“ folgend, Regina Spektor das Stück „Ain’t No Cover“ als Auftakt singt, erfolgt dies ganz ohne Band. Nur sie a capella, die schwarzen Lackschuhe zueinander gedreht, vor dem fast ausverkauftem, aber trotzdem recht stillen Venue.
Schon auf dem Cover ihres sechsten Studioalbums „What We Saw From The Cheap Seats“ zeigt sich die 32-jährige New Yorkerin als verhuschtes Wesen mit unschuldigem Augenaufschlag. Texte wie in dem 2. Song „Oh Marcello“, wo es heißt „I’m just a soul whose intentions are good, oh lord please don’t let me be misunderstood“, unterstützen diesen Eindruck nur umso mehr. Auch bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert und zugleich letztem auf der Tournee übt sie sich in Zurückhaltung. Die meiste Zeit des 100 Minuten andauernden Ohrenschmauses verbringt die in Moskau geborene Spektor seitlich zum Publikum am Flügel sitzend und außer einem höflichen „Dankeschön“ und dem Zusatz, dass sie sich für den heutigen Tage extra die Haare gewaschen hätte, redet sie nur wenig.
Doch bei der Leidenschaft, welche „Patron Saint“, „How“ oder auch dem fröhlich klingenden Stück mit dem wohl traurigsten Text „Don’t Leave Me (Ne Me Quitte Pas)“ dem Saal entgegenschwappt, kann von der anfänglichen Skepsis eines allzu ruhigen Abends nicht die Rede sein. Zu einer Band angewachsen verbreitet Regina Spektor eine ganz besondere Magie, die sich wie Feenstaub auch auf den hintersten Plätzen auszubreiten vermag. Spätestens als Only Son-Jack Dishel, Angetrauter der guten Dame, die Bühne für ein Duett betritt, kann man deutlich reihum ein verzaubertes Lächeln auf den Gesichtern erkennen. In der ersten Reihe gebart sich gar ein Gast auf, beginnt geschmeidig zu tanzen, die Arme gen Bühne zu heben. Seitens der Security wird er dann aber gebeten, es den anderen Sitzenden gleich zu tun.
„You taste like birthday, you look like New Years“. („The Party“)
Zwar legt die Virtuosin auf ihrem neuen Album stärker als je zuvor den Fokus auf ihre Solo-Pianokompositionen, welche ein wenig an Tori Amos erinnern, aber durch ihre einmalige Art und Weise des Singens rückt Regina Spektor immer wieder ihr Image als schrullige Eigenbrötlerin mit dem speziellen Sinn für Humor gerade. So flüstert sie nach einer Weile vorsichtig ins Mikrofon, dass sie leider nicht viele ältere Songs spiele, da sie sich gerade mal so die neueren merken könne und außerdem wolle sie sich auch nicht noch einmal die Haare waschen. Es fühle sich an als würden ihr kleine Spinnen ins Gesicht krabbeln. Kehliges Lachen und wildes Getöse erfüllt den Saal und zeigt, dass es sich das Publikum trotz der vielen ruhigen Piano-Klänge und Sitzplätze nicht zum Dösen gemütlich gemacht hat. Und als Spektor dann auch noch, die lockigen Haare um die Finger wickelnd, in der Zugabe Perlen wie „Hotel Song“ und „Us“ zum Besten gibt, achtet keiner mehr auf die bösen Blicke der 2-Meter-Männer in schwarzen Anzügen. Man drängt sich eng an die Bühne ohne Graben und bewegt die Hüften wie Lippen zu den gut bekannten Hits.
Beim Verlassen der Halle sind die Wangen überrot, das Herz droht überzulaufen und die Gedanken zentrieren sich allein um die passionierte Frau in der so herrlich silber-glitzernden Abendrobe, die ein so gar nicht typischen Sonntagabend lieferte und damit wahrscheinlich die lange Sommer-Regenperiode beendet hat. Denn Regina Spektor, da darf man sich sicher sein, hat magische Kräfte.
Fotos und Artikel: Hella Wittenberg