Pom Pom Squad im Interview: „Was man nicht sieht, kann man auch nicht sein“

Es gibt einen kurzen Moment während meiner Unterhaltung mit Mia Berrin, in dem ich mich frage, ob ich ihr irgendwie zu nah getreten bin. Ich sage ihr, wie wohl durchdacht und künstlerisch überzeugend ich das Konzept finde, das hinter ihrer Band Pom Pom Squad steht. Ich habe gelesen dass sie diejenige ist, die die volle künstlerische Kontrolle hält, alle Songs schreibt und verantwortlich für das visuelle Konzept ist, sie führt auch bei den Videos mindestens die Co-Regie. Offensichtlich ist sie eine Frau mit einer sehr starken künstlerischen Vision, die weiß was sie will und wie sie es umsetzt. Aber als ich ihr das sage, verzieht sie kurz das Gesicht, und ich weiß einen Moment lang nicht, wie ich das deuten soll. Sie spürt meine Verwirrung und setzt sofort zur Erklärung an. „Warum ich so geguckt habe… ernsthaft, die meisten Leute stellen infrage, dass ich diejenige bin, die alles macht. Ich werde grundsätzlich so behandelt, als könnte das gar nicht sein, als wäre ich gar nicht in der Lage, all diese Dinge zu machen, als könnte ich niemals der kreative Kopf hinter all dem sein. Ich bin da auf jeden Fall unsicher und kämpfe ständig dagegen an, das immer wieder beweisen zu müssen. Ich weiß es wirklich sehr zu schätzen, dass du das gesagt hast. Ich glaube, du bist die erste Person, die das jemals in einem Interview zu mir gesagt hat: ‚ich sehe, dass das alles du bist‘.“

Aus meiner persönliche Sicht heraus bin ich natürlich schockiert und traurig, das zu hören. Schließlich feiere und verteidige ich ständig die unglaubliche kreative Energie, die Frauen in der Musikbranche an den Tag legen. Aber wenn ich die Situation objektiv betrachte, bin ich auch nicht überrascht. Es ist ein weit verbreitetes Phänomen, dass Frauen-Bands gerne so behandelt werden, als wären sie reine Darstellerinnen, als müsste es da noch jemanden im Hintergrund geben, der die Fäden zieht und sie zum Erfolg führt – in der Regel natürlich ein Mann, der alles überwacht. Oder wie Mia es ausdrückt: „Ich kriege ständig Kommentare wie: ‚Sie ist doch ein Industrie-Produkt.‘ Weil es ja unmöglich ist, dass ich einfach gut bin in dem was ich tue, ohne dass ich jemanden habe, der heimlich hinter den Kulissen alles für mich macht.“

Mia Berrin ist noch jung, aber sie hat offensichtlich zur Genüge die Erfahrung gemacht was es bedeutet eine Frau, besonders eine schwarze Frau, in der Musikindustrie zu sein. Auf dem College hat sie Musikgeschichte studiert, entsprechend weiß sie, woher diese strukturellen Probleme rühren, und sie hat eine klare Meinung dazu. „Im Prinzip ist in Amerika alle Popmusik auf dem Rücken schwarzer Künstler*innen entstanden, ihnen wurden sämtliche Rechte genommen,“ sagt sie. „Wenn ich an Rock denke, dann denke ich an Chuck Berry und Little Richard. Sister Rosetta Tharpe, die eigentliche Mutter des Gitarrenrock – ich habe ihren Namen zum ersten Mal gehört, als ich 19 war! Eine schwarze, queere Frau war die Pionierin der Rockgitarre. Während ich schief angeguckt wurde, weil ich in meiner Heimatstadt zu jeder Indie, Alternative und Punk Show gegangen bin. Dann kommt noch dazu, dass junge, schwarze Frauen in der Popgeschichte eigentlich wie Puppen behandelt wurden. Für mich ist Ronnie Spektor der Ursprung des Bad Girl!“ Sie lacht, was sie während unserer Unterhaltung über Zoom zum Glück oft tut. Wir quatschen viel länger als geplant und sind uns am Ende einig, dass sie vielleicht eine Zweitkarriere als Stand-Up Comedian anstreben sollte. 

Wer Pom Pom Squad noch nicht kennt, sollte das definitiv ändern. Sie gehören zu den Bands, die eine Bewegung wiederbeleben und neu gestalten, die mich schon begeistert hat, als ich gerade meine Teenager-Jahre hinter mir hatte (ja, das ist lange her). Bei meinem ersten Kontakt mit der Riot Grrrl Bewegung war ich gleichermaßen irritiert und begeistert. Solang ich denken kann, schon als kleines Kind, hatte ich immer ein Faible für Frauen, die Musik machen. Ich bin mit einer großen Liebe zum Pop aufgewachsen, habe Madonna, Cyndi Lauper und Whitney Houston verehrt, aber auch viele vielleicht nicht ganz so legendäre Acts wie Gloria Estefan, Swing Out Sisters, Taylor Dane, Paula Abdul, Debbie Gibson – erinnert sich noch jemand an Tiffany? Mann, fand ich ihre Haare toll. Aber dann wurde ich älter, habe mich mehr für Indie, Rock, Grunge und Punk interessiert, und plötzlich gab es die Riot Grrrl Bewegung, die für mich die perfekte Symbiose darstellte aus allem, worauf ich stand. Außerdem waren diese Frauen irgendwie anders. Sie waren sexy, dabei aber ein bisschen aggressiv, sie setzten ihre körperlichen Reize mehr für sich selbst ein, ohne sich dabei von Bestätigung abhängig zu machen – schon gar nicht von der von Männern. Das hat mich extrem angesprochen. The Breeders mit 18 auf einem Festival zu sehen und dabei meine Frustration über einen akuten Liebeskummer herauszuschreien, eine Frau vor der Tür mit einem Kuss zu bestechen, damit sie mich als ihr plus eins mit in das ausverkaufte Le Tigre Konzert nimmt – für mich waren das einschneidende Erlebnisse. 

All das spielt also mit rein, wenn ich heute einer Band wie Pom Pom Squad begegne. Die Art wie Mia und ihre Bandkolleginnen die Freiheit zelebrieren die die Riot Grrrl Bewegung uns gebracht hat, wie sie sich in einer Musikrichtung ausdrücken, die Jahrzehnte lang als unweiblich galt, macht mich ein wenig nostalgisch. Aber sie stimmt mich auch positiv für die Zukunft, wenn Frauen irgendwann vielleicht endlich nicht mehr beweisen müssen, dass sie das Genre genauso beherrschen wie Männer. Während ich mich darüber ereifere, wie wichtig die Riot Grrrl Bewebung für mich war und es heute noch ist, weist Mia mich auf einen Punkt hin, den ich in meiner Begeisterung fast übersehen hätte, wofür ich mich ehrlich gesagt ein bisschen schäme – sie war damals alles andere als inklusiv. „Riot Grrrl war das, was mich zur Musik gebracht hat,“ sagt sie. „Ich hatte nie zuvor Frauen in Bands gesehen. Ich hatte nie Bands gesehen, die nur aus Frauen bestanden. Und das andere was mich gepusht hat war, dass es überhaupt keine schwarzen Frauen in der Riot Grrrl Bewegung gab. In dem Sinn hat Riot Grrrl mich im Stich gelassen. Es hat mir ehrlich gesagt das Herz gebrochen. Dann kam mir der Gedanke: Ich muss eine Band gründen. Ich muss die Band gründen, die ich gerne sehen würde.“

Schwarze Frauen sind auch heute noch in der Rockmusik schrecklich unterrepräsentiert, bis quasi gar nicht sichtbar. Eine der wenigen Bands an die ich sofort denke sind Nova Twins, mit denen ich auch gesprochen habe und die mir ebenfalls erzählt haben, dass sie keinerlei Vorbilder hatten als sie angefangen haben, selbst Rockmusik zu machen. Mia betont sehr leidenschaftlich, wie wichtig diese Art von Vorbildern sind. „So jemanden wie Nova Twins hätte ich gebraucht, als ich Teenager war! Es hätte meine Entwicklung verändert, meine Wahrnehmung zu was ich fähig bin. Ich hätte wahrscheinlich früher angefangen ein Instrument zu lernen. Ich hätte früher angefangen auf der Bühne zu stehen. Ich hätte Vorbilder gehabt. Punkt. Was man nicht sieht, kann man auch nicht sein.“ Immer noch ein bisschen verschämt muss ich mal wieder feststellen, wie privilegiert ich doch bin. Ich kenne das Gefühl einsam zu sein, eine Außenseiterin, ich weiß wie es sich anfühlt, wenn man nirgendwo richtig rein passt und die Erwartungen seiner Umwelt nicht erfüllt. Und trotzdem habe ich keine Ahnung wie es sich anfühlen muss, wenn man sich nicht dadurch ausgeschlossen fühlt wie man denkt, wie man sich kleidet oder wofür man sich interessiert, sondern ganz grundsätzlich als die Person, als die man zufällig geboren wurde. 

Mia weiß offensichtlich zu gut, wie sich das anfühlt. Sie wirkt so selbstbewusst auf mich, und ich hoffe sie vergibt mir wenn ich das so offen sage, sie sieht wirklich verdammt gut aus. Aber sie spricht auch sehr offen darüber wie es war, in ihrer Jugend eine Außenseiterin zu sein. „Ich bin aufgewachsen und habe gedacht, dass ich einfach schrecklich hässlich bin,“ gesteht sie mir, und es bricht mir fast das Herz, wie sie das sagt. „Ich glaube der Grund dafür war, dass es zu meiner High School Zeit keine Schönheitsideale gab, die mein Aussehen miteingeschlossen hätten. Also dachte ich einfach, ich bin hässlich. Dann, verrückter Weise, kamen die Kardashians, und plötzlich war es angesagt dicke Augenbrauen zu haben, dunkle Haare und dunkle Haut zu haben und kurvig zu sein. Ich habe gedacht, wenn ich als hübsch gelte, dann werden die Leute mir vielleicht mehr Aufmerksamkeit schenken. Tatsächlich sind sie aber nur noch härter mit mir geworden. Denn dann hieß es plötzlich: ‚Sie kann unmöglich hübsch und talentiert sein.‘ Man muss sich schon für eins entscheiden! Offensichtlich kann ich nur für eins von beiden geschätzt werden.“ 

Der Bandname verrät es bereits, im Kampf gegen Ausgrenzung und durch die Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen und der Unmöglichkeit diese zu erfüllen, wurde das Bild der Cheerleaderin und das soziale Konstrukt für das sie steht zu einem zentralen Punkt bei Pom Pom Squad. „Ich habe mich sehr für dieses Bild interessiert, weil ich es so gerne erfüllen wollte, aber immer das Gefühl hatte, ich kann es nicht,“ erklärt Mia. Also zog sie ein Cheerleader Kostüm an und untersuchte, was das mit ihr macht, wie es den Blick der Leute auf sie verändert. Das Ergebnis hat wieder einmal einen bitteren Nachgeschmack. „Als ich angefangen habe in New York Shows zu spielen in einem Cheerleader Kostüm, sind hinterher so viele Leute zu mir gekommen und haben gesagt: ‚Ich habe wirklich gedacht, ich würde dich hassen.‘ Oder: ‚Ich habe gedacht ihr wärt total soft, aber ihr seid ja voll Punk!‘ Die Leute erwarten bewusst, Frauen zu hassen! Manchmal kommt Macht durch Schönheit, manchmal kommt sie durch Talent. Aber man erwartet mich zu hassen, nur weil ich ein weibliches Kostüm trage.“

Es ist nur der Nachgeschmack von dem worüber wir sprechen, der bitter ist. Mia ist es nicht. Sie hat eine sehr positive Ausstrahlung. Und sie hat auch allen Grund stolz zu sein auf das, was sie erreicht hat. Sie hat ihre Band, die sie erst kurz vor der Pandemie gegründet hat, nicht nur zusammengehalten, ohne eine einzige Liveshow im vergangenen Jahr spielen zu können, sie hat es auch geschafft, unter diesen verrückten Umständen ihr Debütalbum zu veröffentlichen. „Ich hatte definitiv Panik, als das alles angefangen hat“, erzählt sie mir. „Es gab diesen Moment, in dem alles zum Stillstand kam. Wir hatten gerade einige Gespräche mit Leuten aus der Musikbranche, und plötzlich wurde es einfach still. Pom Pom Squad hatte sich einen Ruf als Liveband erarbeitet. Dann gab es keine Shows mehr, und niemand war mehr an uns interessiert. Was ich nicht verstehe, wenn man sich doch für die Musik interessiert…“

Und dann kam zum Glück das Label City Slang. Dort war man so begeistert von Pom Pom Squad, dass man die Band unter Vertrag nahm, ohne sie ein einziges Mal live gehört zu haben. „Ich habe es ihnen definitiv nicht leicht gemacht,“ lacht Mia. „Ich war sehr skeptisch und habe mich nicht leicht überzeugen lassen. Ich beschütze dieses Projekt wirklich sehr. Ich habe so viele Horrorgeschichten aus der Musikbranche gehört, darüber wie wichtig es ist, seine Rechte zu kennen und sie zu schützen. Das ist mir wirklich sehr wichtig.“

Die Art, wie Mia Berrin ihr Baby beschützt und wie ernst sie ihre Kunst nimmt, zahlt sich definitiv aus. „Death of a Cheerleader“, das frisch veröffentlichte Debüt der Band, ist kraftvoll und gleichzeitig süß, es ist wild und sanft, intelligent und ehrlich. Und ich hoffe, es wird noch mehr junge Frauen inspirieren Instrumente zu lernen, Bands zu gründen und drauf los zu rocken. Egal wo sie herkommen, egal wo sie aufgewachsen sind, egal ob sie queer sind, Nerds, Feministinnen, Ballköniginnen, Cheerleaderinnen oder alles zur gleichen Zeit in einer Person. Ich habe eine Tochter, sie wird bald 16, und ich wünsche mir, dass sie in einer Welt aufwachsen kann, in der ihr alle Wege offen stehen. Göttin sei Dank gibt es Frauen wie Mia Berrin, die mutig vorangehen.