“Poet trapped inside the body of a finance guy”? Taylor Swifts “The Tortured Poets Department“

Es ist Taylor Swifts Welt, und ob es uns gefällt oder nicht, wir leben alle in ihr. In einer Branche, die immer noch von Frauenfeindlichkeit geprägt ist, sollte Swifts weltweite Dominanz in den Album- und Single-Charts, im Äther, in den Medien und in der Live-Musikszene für Feministinnen ein Grund zum Feiern sein. Es sieht auch nicht so aus, als würde die Ära Swift in naher Zukunft zu Ende gehen. Seit Februar, als sie auf der Bühne der Grammys die Veröffentlichung von „The Tortured Poets Department“ ankündigte, standen Fans und Medien gleichermaßen in den Startlöchern, um vor Aufregung zu explodieren. Unzählige Sendestunden und eine ganze Bibliothek von Wörtern wurden der Vorhersage gewidmet, was Swift über ihre beiden bekannten Ex-Freunde seit der Veröffentlichung ihres letzten Studioalbums „Midnights“ im Jahr 2022 preisgeben würde. Die Welt schrie nach einem Update.

So ist das eben, wenn Taylor Swift ein Album veröffentlicht – wir kennen es inzwischen – aber dieses Mal scheinen die Spekulationen einen nie da gewesenen Höhepunkt erreicht zu haben. Kaum war das Album in den frühen Morgenstunden des vergangenen Freitags erschienen, ging Twitter in Screenshots von Songtexten und intensiven Debatten unter, darüber, ob bestimmte Songs von diesem oder jenem Ex handeln. Die Suche nach eindeutigen Beweisen konzentrierte sich auf den entscheidenden Hinweis, dass der eine Ex-Freund die im Text des Titeltracks erwähnten Tattoos besitzt und der andere angeblich nicht. An anderer Stelle wurden detaillierte Theorien darüber entwickelt, ob eine Reihe von farbigen Quadraten auf dem Cover des Albums, das die Band ihres Ex sechs Jahre zuvor herausgebracht hatte, Swifts frühere Alben symbolisierte (wer kommt noch mit?) und somit der Beweis dafür ist, dass die beiden bereits seit Jahren ineinander verliebt waren. Das ist kein Scherz. 

„Zeig ein bisschen Bein!“

Worüber kaum jemand – Fans, Kritiker, die breite Öffentlichkeit – zu sprechen scheint, ist die eigentliche Musik. Für eine Musikerin, die als bahnbrechende feministische Ikone unserer Zeit angepriesen wird, fühlt sich das alles… nicht besonders ermächtigend oder revolutionär an. Generationen von Schriftstellerinnen und Künstlerinnen könnten Swift einige hart erarbeitete Weisheiten mit auf den Weg geben, die sie an diesem Punkt ihrer Karriere wahrscheinlich gut gebrauchen könnte. Wenn Ihr Werk nach autobiografischen Details durchforstet wird – wenn das das Einzige ist, was irgendjemanden zu interessieren scheint -, als wäre es Ihr persönliches Tagebuch, dann erhebt die Frauenfeindlichkeit eindeutig ihr hässliches Haupt. Wenn die Aufmerksamkeit eher den Männern gilt, die in ihrer Kunst porträtiert werden, als ihrer eigenen weiblichen Subjektivität, ganz zu schweigen von Ihren Ideen, dann ist das nur ein weiterer Beweis dafür, dass Misogynie am Werk ist. Es ist das Äquivalent dazu, eine weibliche Oscar-Nominierte zu fragen, was sie trägt, oder sie zu bitten, für die Kamera „ein bisschen Bein zu zeigen“. Bei männlichen Musikern passiert so etwas nicht. Wenn jemand es wagen würde zu behaupten, dass der interessanteste Aspekt der Arbeit der Beatles darin besteht, was sie über die Liebesbeziehung zwischen Lennon und Yoko Ono oder Ono selbst verrät, würde es einen Aufschrei geben. Als ob man Lennons Kunst auf so etwas reduzieren könnte! Warum also tun wir so etwas Musikerinnen an? Warum beharren wir darauf, die Männer in ihrem Leben als interessanter zu betrachten als die Kunst, die sie schaffen? 

Und was vielleicht noch wichtiger ist: Warum scheint Swift selbst ihren Part in einem der ältesten sexistischen Spiele mitzuspielen? Früher hat sie zwei Finger gegen die Karikaturen erhoben, die die Medien von ihr zeichneten: „I go on too many dates, but I can’t make them stay“, sang sie 2014 fröhlich in „Shake It Off“. Heute profitiert sie von diesem unersättlichen Wunsch der Öffentlichkeit, die reißerischen Details zu erfahren, indem sie ihren Fans gegen Bezahlung Zugang zu exklusiven Kommentaren zu ausgewählten Tracks über Amazon Music gewährt. Das ist zutiefst deprimierend, nicht nur wegen der Frauenfeindlichkeit, sondern weil es letztlich dem Werk selbst schadet. Man braucht keine umfassende Einführung in die Postmoderne, um zu verstehen, dass die Besessenheit, die „Bedeutung“ von Liedern an bestimmten Beziehungen festzumachen, nur dazu dienen kann, die Kraft der Kunst zu verringern. Wie kann man als Hörer unter diesen Umständen einen Song in seine eigene Welt einordnen, ihn seine eigenen Erfahrungen vertonen und artikulieren lassen und sein eigenes Denken anregen? Das ist es, was Kunst tun sollte. 

Vielleicht spricht die Beschäftigung mit den Texten von „The Tortured Poets Department“ aber auch eine unverblümte Wahrheit aus: Die Texte sind an diesem Album das Interessanteste. Wenn wir es rein nach der Musik beurteilen (und das sollten wir – Swift ist in erster Linie Musikerin, trotz diverser anderer Rollen, die sie zunehmend einnimmt), ist es kein großartiges Album. Swifts Status ist so hoch, dass Kritik an ihr inzwischen als ketzerisch oder antifeministisch angesehen wird – Paste Magazine weigerte sich diesmal sogar, den Autor einer negativen Rezension zu nennen, da es früher bereits Morddrohungen gegen Rezensenten von Seiten Swifts Fanbase gegeben habe. Mal ganz ehrlich, das ist absurd. Niemand sollte über Kritik erhaben sein, unabhängig von seinem Geschlecht oder seinem Status. Swift ist zweifellos eine sehr talentierte Songschreiberin, aber auf diesem Album gibt es nichts vom Kaliber eines „Style“, „Cruel Summer“ oder sogar sanfteren Tracks wie „Cardigan“ zu entdecken, die ihr dreistündiges Marathon-Set der Eras-Tour so fesselnd machen. Vielleicht braucht sie einfach eine Pause: Sie ist nicht nur seit einem Jahr auf einer ausverkauften Welttournee, dieses Album erscheint auch nur achtzehn Monate nach ihrem letztem Studioalbum. In dieser Zeit hat sie außerdem Neuaufnahmen von zwei älteren Alben veröffentlicht. Vielleicht hat sie einfach zu viel Zeit damit verbracht, rückwärts statt vorwärts zu schauen. Oder vielleicht brauchte sie jemanden, der ihr ehrlich sagt: Dieses Album ist noch nicht bereit, in die Welt hinauszugehen.

„This is exhausting.“ 

„The Tortured Poets Department“ war für Swift eindeutig eine Art Katharsis. Kürzlich sagte sie vor Publikum, dass das Schreiben des Albums für sie ein „Rettungsanker“ inmitten von Liebeskummer gewesen sei. Es ist ein Album der Gegensätze, die besten Texte brodeln vor Schmerz, Wut und tiefer Traurigkeit, jedoch gepaart mit Melodien, die meist langweilig sind, nicht voneinander zu unterscheiden, dazu kommt ein Mangel an Richtung. Musikalisch landet es irgendwo zwischen den schwächeren Songs von „Midnights“ und den weniger überzeugenden Teilen von „Folklore“. Es fühlt sich an wie wenn eine gute Freundin nicht aufhört zu jammern: „Ich liebe ihn…aber ich hasse ihn! Aber ich liebe ihn…“ Man fühlt mit ihr, aber irgendwann ist die Grenze der Geduld erreicht. Bei „The Tortured Poets Department“ habe ich diesen Punkt nach zwei Stunden erreicht, nachdem ich die ersten sechzehn Tracks verdaut hatte, als Swift unangekündigt weitere fünfzehn Tracks hinzufügte, was die Gesamtlaufzeit des Albums auf über zwei Stunden anhob. Ich hörte Swifts eigene Stimme in meinem Kopf, wie sie in „We Are Never Ever Getting Back Together“ singt: „This is exhausting“. Vor allem, weil diese zusätzlichen fünfzehn Tracks nichts Nennenswertes Neues bieten. 

© Universal Music

Auch wenn die Stimmen des Konsumkapitalismus immer „Mehr! Jetzt!“ schreien, tut diese Doktrin der Kunst oft keinen guten Dienst. Selbst Prince schien irgendwann begriffen zu haben, dass die Welt kein Fünffach-Album von ihm braucht, dass zwölf Tracks besser sein können. Im Fall von Swift ist es paradoxerweise so, dass je mehr Songs sie uns vorsetzt, desto offensichtlicher wird, dass sie oft in derselben Tonart, mit derselben Instrumentierung, mit denselben Motiven, über dieselben Themen schreibt. Es ist klar, dass sie diese Songs herauslassen musste, aber das heißt nicht, dass sie auch das Licht der Welt erblicken mussten. Swift hat ein Händchen für clevere Texte, aber selbst die sind auf diesem Album immer mal wieder unausgegoren oder gar kindisch. In „Down Bad“ könnte es ironisch gemeint sein, wenn sie singt: „Everything comes out teenage petulance“. Andererseits vielleicht auch nicht. „The Smallest Man Who Ever Lived“ ist ein solches Beispiel, das sich wie ein spätabendlicher, betrunkener Ausrutscher in die DMs einer frischgebackenen Ex anhört, wenn niemand in der Nähe ist, der einem das Handy wegschnappt und sagt: „Was zum Teufel machst du da?“ Vielleicht ist das ein weiteres Problem, wenn man Swifts Status als Künstlerin erreicht – dass niemand, nicht einmal ihre engsten Mitarbeiter, bereit scheint, sie herauszufordern und zu sagen: „Das kannst du aber besser“. Vielleicht ist das Swifts eigene postmoderne Wendung: Vielleicht will sie damit sagen, dass Herzschmerz zu gleichen Teilen aus wortgewandten Beleidigungen, die man ins Telefon oder in die Luft brüllt, und nervtötendem, sich wiederholendem, monotonem Kummer besteht. Aber das ist wahrscheinlich zu weit hergeholt. Vielleicht machen wir uns alle zu viele Gedanken. Eventuell haben wir den Sättigungspunkt in dieser Swiftschen Welt erreicht und sind alle verrückt geworden. 

Die tragische, unliebsame, vom Liebeskummer verwirrte Frau

Zum Glück sind nur wenige Alben durch und durch schrecklich. Man muss anerkennen, dass es hier einige wirklich witzige, einprägsame, sehr emotionale Texte gibt (schon wieder die Texte), wie „my friends all smell like weed or little babies“ im Florence Welch-Duett „Florida!!“. Oder das akut schmerzhafte „you’re the loss of my life“ in „Loml“. Musikalisch stechen die Gitarren- und Bassharmonien des akustischen „I Can Fix Him (No Really I Can)“ aus einer Ansammlung von Gleichförmigkeit und Wiederholungen hervor. Dann gibt es da noch „But Daddy I Love Him“, wahrscheinlich der textlich (wenn auch nicht musikalisch – hier handelt es sich um einen aufgewärmten „Folklore“-Bonustrack) interessanteste Song hier. Es ist ein witziger und tiefgründiger Gegenangriff auf alle, die von ihrem Liebesleben besessen sind: “I’m having his baby. No, I’m not, but you should see your faces…I don’t cater to all these vipers dressed in empaths’ clothing”.

Aber sie tut es trotzdem, und das ist das größte Problem hier. Das Deprimierendste an „The Tortured Poets Department“ ist, dass es sich nicht wie eine ehrliche Darstellung von Liebeskummer anfühlt. Es fühlt sich müde und zynisch an, so grau und tot hinter den Augen wie das Artwork des Albums. Es fühlt sich an wie Swifts Kapitulation vor den Forderungen der Öffentlichkeit und der Industrie. Es sieht so aus, als hätte man ohne erkennbaren Grund Features von Post Malone und Florence Welch hinzugefügt, nur um mehr Streams zu generieren, und fünfzehn zusätzliche Tracks veröffentlicht, nachdem Fans die erste Vinyl gekauft haben, damit sie auch noch für die gerade angekündigte Deluxe Edition bezahlen. Als hätte man kahle „Hinweise“ platziert (im Gegensatz zu Eastereggs, bei denen man mitdenken muss), so dass jeder ohne große Mühe erraten kann, welcher Ex bei welchem Song hingerichtet wird. Und tragischerweise könnte der Eindruck entstehen, als ob Swift sich auf die Rolle einlässt, die man ihr auf den Leib geschrieben hat: die tragische, unliebsame, vom Liebeskummer verwirrte Frau. Von den Künstlerinnen der Vergangenheit könnte Swift auch etwas über die Gefahren lernen, die auf diesem Weg lauern. Nichts von alledem wird etwas daran ändern, dass „The Tortured Poets Department“ einen noch nie da gewesenen kommerziellen Erfolg erzielen wird, aber Swift muss in Zukunft Entscheidungen darüber treffen, unter welchen Bedingungen sie weiter aufsteigen will. 

Vielleicht weiß sie das besser als jeder andere. “I just learned these people only raise you to cage you,”  singt sie in „But Daddy I Love Him“. In den letzten Zeilen von „Clara Bow“, dem ursprünglich letzten Stück des Albums, bevor es von fünfzehn weiteren Bonustracks überschwemmt wurde, schwingt so etwas mit: „You look like Taylor Swift…You’ve got edge she never did/The future’s bright/Dazzling”. Ist das eine aufrichtige Absichtserklärung? Oder eine ironische Resignation? Wir werden sehen. Auf jeden Fall fühlt es sich besser an, über die Zukunft von Taylor Swifts Kunst zu spekulieren, als über die Männer ihrer Vergangenheit zu lästern. Wenigstens bleibt der Fokus dabei wirklich auf ihr.

Der Beitrag ist ursprünglich auf Englisch erschienen und wurde ins Deutsche übersetzt. Das Original könnt ihr hier lesen.

www.taylorswift.com