Das Ziel sei es, heute zu jedem Song etwas zu erzählen, das bisher noch nicht zu ihm gesagt wurde, so Phoebe Bridgers zu Beginn ihres Konzertes im rappelvollen Berliner Tempodrom. Ob das an diesem Abend tatsächlich gelungen ist, dürfte am besten die Dame aus Dänemark in der ersten Reihe beurteilen können, die von der Bühne aus direkt erkannt wird. „Du warst schon auf ziemlich vielen Shows, oder?“ fragt Phoebe Bridgers, bittet sie um ihren Namen und holt beim Publikum Applaus für den treuen Fan ein.
Wenn die ergebene Fanbase einem hinterher reist, um so viele Konzerte wie möglich zu sehen, dann steht man ein wenig unter Druck, jeden Abend etwas Neues abzuliefern – zumindest wenn man sich für seine Fans interessiert. Und Phoebe Bridgers hat offensichtlich ein großes Herz für sie. Mehrfach unterbricht sie an diesem Abend die Show, um sicher zu gehen, dass es den Menschen im vorderen, engen Teil der Menge gut geht. Sie besteht darauf, dass im Publikum Wasser verteilt wird (was in vielen anderen Ländern üblich ist, nur in Deutschland muss man es für einen Becher Wasser zur Bar schaffen, bevor man kollabiert). Ganz zum Schluss darf die dänische Dame ganz allein den letzten Song aussuchen, der dann speziell für sie zum Besten gegeben wird. Ob jede der zahlreichen Geschichten, die die Amerikanerin rund um ihre Songs erzählt, an diesem Abend tatsächlich eine Premiere ist, kann ich, für die es ihr erstes Phoebe Bridgers Konzert ist, nicht beurteilen. Aber ich weiß, dass ich mich kaum entscheiden kann, wobei ich Phoebe Bridgers lieber zuhöre, beim Reden oder beim Singen.
Ihre Bits zwischen den Songs haben etwas von Stand Up Comedy, wie sie zynisch aber unaufgeregt aus ihrem Leben erzählt, wie sie versucht, die absurdesten Bezüge zur Entstehungsgeschichte des jeweiligen Songs herzustellen und dabei entwaffnend ehrlich eine Menge über sich und ihr Innenleben preisgibt. Trotzdem ist es natürlich die Musik, wegen der wir hier sind, und dazu fällt auf, dass kaum jemand die ruhigen wie die lauten Momente so meisterhaft miteinander verbinden kann wie Phoebe Bridgers. Wenn sie in langsamen Balladen klagt, ohne dabei ihren Humor zu verlieren, fliegen ihr die Herzen der Emo-Girls zu. Wenn sie mit nahezu maskuliner Attitüde Riffs auf ihrer E-Gitarre raus haut, verdrehen die Dudes die Hälse, um ihr Spiel zu beurteilen. Nicht umsonst benutzt sie an diesem Abend den brillanten Begriff „fansplaining“ – wenn deine Fans meinen, deine Kunst besser verstanden zu haben als du selbst und sie dir entsprechend versuchen zu erklären.
Interessant ist aber auch, dass, so versiert und vielseitig Phoebe Bridgers als Performerin ist, trotzdem das Gefühl zurückbleibt, dass sie sich in diesen Abend erst einmal hineinarbeiten musste. Das erste Drittel bleibt sie, den zierlichen Oberkörper mit einem großen Jackett verhüllt, die meiste Zeit hinter einer Wand aus gleißendem Licht verborgen. Später, wenn die Beleuchtung transparenter wird, das Jackett abgelegt ist und den Blick auf ein überaus sexy Oberteil frei gibt, wird Phoebe Bridgers selbst auch immer durchlässiger. Ihre Geschichten werden ehrlicher, ihre Körpersprache entspannter, sie springt von der Bühne und sucht die Nähe zum Publikum. Die Intensität der aufeinanderfolgenden Songs schraubt sich immer weiter hoch, bis zu „I Know The End“ alles in einem kathartischen Schrei des Publikums gipfelt. Das kann nur noch die finale, akustische Darbietung des boygenius Songs „Me & My Dog“ für den größten Fan im Publikum toppen.
Viele große Fans waren gekommen, die jeden Song aus voller Kehle mitsingen konnten. Aber auch viele, die neugierig wissen wollten, was an dem Phänomen Phoebe Bridgers denn nun dran ist. Irgendwie will sie in keine Schublade so richtig reinpassen. Aber mit Unverständnis dürfte an diesem Abend niemand nach Hause gegangen sein.
Fotos © Oliver Look