Nieve Ella: “ Es geht um Spaß und Sicherheit und um das Gefühl, verstanden zu werden“

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, als Nieve Ella und ich im Büro ihres Labels zusammen sitzen und es gemeinsam Revue passieren lassen. Für ein paar Tage war die Britin kurz vor Weihnachten noch einmal in Berlin, um ein Showcase zu spielen und Interviews zu geben. Aber auch für einen Besuch auf dem Weihnachtsmarkt war Zeit, und Konzerte besucht hat sie auch. Denn Nieve Ella ist, und das ist ihr ganz besonders wichtig, großer Musikfan. Die Begeisterung sprudelt spürbar aus ihr heraus, sowohl wenn sie über Musik spricht, die sie liebt, als auch über ihr eigenes Schaffen. 

Nieve Ella hat aber auch allen Grund, positiv auf 2024 zurück zu blicken. Sie war unter anderem zusammen mit girl in red auf großer Tour und hat im Oktober ihre neue EP „Watch It Ache And Bleed“ veröffentlicht. Aber nicht nur der Rückblick ist positiv, auch die Aussichten sind sonnig: Im Februar geht sie bereits wieder auf Tour. Wie schön, dass wir dazwischen einen Moment Zeit finden konnten um zu plaudern und gemeinsam kurz durchzuatmen, bevor die Reise weiter geht. Und zwar ein ganz schön großes Stück weiter, so viel ist sicher. 

2024 war ja ein sehr aufregendes Jahr für dich. Du warst viel auf Tour, unter anderem als Support für Girl in Red. Support Shows sind ja nicht immer einfach. Umso auffälliger war be dir, wie sehr du mit dem Publikum connectest. 

Es war großartig. SO großartig. Ich kann das Gefühl gar nicht beschreiben. Ich habe kürzlich erst mit meiner Band darüber gesprochen. Post-Tour-Blues ist etwas sehr Reales. Man fühlt sich danach so seltsam. Während der Tour hat man einen sehr strikten Zeitplan. Du musst zu einer bestimmten Zeit am Venue sein. Du machst Soundcheck, du isst, all sowas. Jeder ist nett zu dir. Dann spielst du zu einem großen Teil vor Leuten, die dich noch nie gesehen haben. Es ist, als würde man jeden Abend ein Spiel spielen – wer mag mich, wer mag mich nicht? Aber während der Tour mit Girl in Red habe ich mich jeden Abend so voller Liebe gefühlt. Deshalb mache ich Musik. Deshalb stehe ich auf der Bühne. Um Menschen zu sehen, die von tausenden anderer Menschen umgeben sind, und trotzdem hat jeder sein ganz eigenes Erlebnis. Man kann jeden einzelnen von ihnen im Moment aufgehen sehen. 

Wenn du es auf der Bühne richtig anstellst, fühlt jede und jeder einzelne von ihnen sich persönlich von dir angesprochen.

Ja! Ja, ganz genau! Und ich glaube, dass ich dem gerecht werde, weil ich selbst so ein großer Musikfan bin. Ich gehe seit Jahren auf Konzerte, es bedeutet mir persönlich sehr, sehr viel. Selbst wenn ich Musik einfach nur höre… heute Morgen habe ich die neue Single von Sam Fender gehört und gedacht, wie persönlich nah mir seine Musik geht. Ich war so aufgeregt! Als wenn jemand ein Feuer angezündet hätte. Es ist wirklich magisch. 

Es freut mich sehr, dass du das so fühlst. Ich glaube, dass man sich voll und ganz dem hingeben muss was man tut. Sonst kann man andere Menschen nicht berühren. 

Genau so ist es. Mich fragen die Leute tatsächlich oft, was das Geheimnis ist. Warum ich so eine Spaß habe an dem was ich tue und auch Erfolg damit habe. Weil ich mein ganzes Herzblut hinein lege. Alles, mein ganzes Leben, dreht sich darum. Natürlich braucht man genug Zeit und Platz im Leben, um einfach Mensch zu sein. Aber für mich bedeutet das hier, einfach Mensch zu sein: Musik zu machen, über meine Musik zu sprechen, andere an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen, die Liebe, die ich geben kann zu teilen. Ich glaube, dass die Energie, die man hinein gibt, auch die ist, die man zurück bekommt. Wenn ich selbst auf Konzerte gehe, empfinde ich so große Liebe für die, die für mich spielen. Und ich glaube, dass mir deshalb die gleiche Liebe entgegen kommt, wenn ich auf der Bühne stehe. Am Ende geht es um Community. Es geht um Spaß und Sicherheit und um das Gefühl, verstanden zu werden. 

Aber es ist doch sicherlich auch eine Gratwanderung, oder? Wieviel von einem selbst zu geben einem auch wirklich gut tut. Vor allem in der heutigen Zeit, in der von Künstler*innen auch verlangt wird, dass sie ihre Fans über Social Media an ihrem Leben teilhaben lassen. Ich habe das Gefühl, dass viele auf diese Weise an ihre Grenzen kommen. 

Definitiv! Burnout ist ein großes Thema. Künstler*innen müssen viel öfter als früher ihre Konzerte absagen. Die letzten Tage waren so schön. Ich habe Showcases im sehr kleinen Rahmen gespielt und mich sehr geliebt gefühlt. Ich konnte die ganze Zeit nicht aufhören zu lächeln. Aber es kann sein, dass ich morgen aufwache und überhaupt nichts von mir geben möchte. Wenn mir dann jemand sagen würde, ich solle ein TikTok posten oder auf Instagram live gehen, ich könnte es nicht. Vielleicht möchte ich einfach nicht, dass die Leute wissen, wie ich in dem Moment aussehe. Zum Glück kann ich die meiste Zeit ganz gut damit umgehen. Ich bin mit dem Internet aufgewachsen und genieße es, im Internet zu sein. Niemand zwingt mich dazu. Ich kann mir aussuchen, was ich mache. Manchmal habe ich Spaß daran, alberne TikToks zu machen. Aber manchmal… vor allem bei diesem Wetter. Ich kämpfe oft mit undiagnostizierter Winterdepression. Ich hasse den Winter. Ich mag es nicht, wenn es draußen kalt und dunkel ist. Am liebsten würde ich die ganze Zeit im Bett sein. Aber wenn man zu lange im Bett bleibt, wird es schwierig. Dann findet man auch nicht die Motivation, etwas zu posten. Was soll man schon posten, wenn man den ganzen Tag im Bett liegt? Also versucht man krampfhaft, etwas zu finden. Das ist stressig. Aber das ist das Spiel des Lebens. Nichts ist immer nur großartig. Und dieser Job ist ganz bestimmt nicht immer nur großartig. Man will nicht immer Leute treffen. Manchmal ist es einfach komisch. Aber meistens könnte ich den ganzen Tag mit Leuten quatschen (lacht). 

Ich denke, es ist wichtig, dass wir nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass jede Person immer alles von sich teilen möchte. 

So ist es. Man kann diesen Teil des Jobs nicht lernen. Du kannst lernen Musik zu machen, aber wie man mit Social Media umgeht, das bringt dir keiner bei. Und dann sollst du über die mentale Belastung, die das Ganze mit sich bringt, möglichst nicht sprechen. Die meisten Menschen würden verrückt werden, wenn sie jeden Tag von hunderten von Menschen umgeben wären, die sie anstarren und jeden ihrer Moves überwachen. Unsere Gehirne sind eigentlich nicht darauf ausgerichtet. Es ist normal, davon überfordert zu sein. Aber wir haben niemanden, an den wir uns wenden können, um darüber zu sprechen. Außer wir machen eine Therapie, und die kostet Geld. Womit wir beim Geld wären und bei der Tatsache, dass die Musikindustrie uns Künstler*innen gerade mächtig im Stich lässt. Es ist ein ständiger Kampf. Und ich verstehe jeden, der Shows cancelt und nichts posten möchte. Bei mir läuft es zum Glück gerade sehr schön und smooth. Im Moment ist es für mich nicht zu fordernd. Das hier ist alles, wovon ich je geträumt habe. Manchmal kann ich gar nicht glauben, was alles passiert, dann schaue ich mir Fotos an und vergewissere mich, dass es auch wirklich passiert ist. Oh Gott, ich hoffe ich klinge nicht zu nervig (lacht)

Nein, tust du nicht! Du verdienst deinen Erfolg und dein Glück. Du arbeitest ja auch hart dafür. Es ist nichts falsch daran, darauf stolz zu sein. 

Ja, das finde ich auch. Ich verschließe ja auch nicht die Augen vor dem, was gerade in der Welt passiert. Ich weiß, dass viele schlimme Dinge passieren. Das zieht mich auch oft runter, weil man sich fast schon egoistisch vorkommt, wenn man sich in dem Moment gerade gut fühlt. Während ich mit Girl in Red auf Tour war, sind auf der Welt viele schlimme Dinge passiert. Ich war auf Reisen, mit meinen besten Freunden, und durfte das tun, was ich am liebsten tue. Aber wenn ich es nicht tue, was ändert sich dann zum Besseren? Man muss positiv bleiben, und man muss die Menschen daran teilhaben lassen. Wir brauchen das, wenn’s richtig schlimm wird. Wenn sich jemand nach einem Konzert besser fühlt, oder wenn er meine Musik hört, das ist doch etwas wert! Das will ich! Ich gebe wirklich gerne. 

Ich glaube, du findest auch dadurch eine Verbindung zu den Menschen, dass es dir nicht nur um die Musik, sondern auch ums Geschichten erzählen geht. 

Oh ja, zu hundert Prozent!

Die Art von Musik, die du machst, die ja im traditionellen Indie ihren Ursprung hat, eignet sich dafür auch sehr gut. Man hat irgendwie Zeit durchzuatmen und dir zuzuhören. 

Gut! Genau so möchte ich wahrgenommen werden. Du musst dir gut überlegen, was die Leute von deiner Musik mitnehmen sollen. Ich möchte natürlich, dass ihnen gefällt wie sie klingt, aber sie sollen auf jeden Fall auch hören, was ich zu sagen habe. Und daraus ihre eigenen Erfahrungen ziehen. Ich werde auch oft gefragt, wo meine Einflüsse liegen, und natürlich wird dann immer gerne Neunziger Jahre Indie zitiert. Das stimmt sicherlich, aber darum geht es mir gar nicht. Ich mache einfach Musik, die ich selber gerne höre. Ich möchte auf der Bühne Gitarre spielen und singen, so einfach ist es (lacht). Ich finde es so inspirierend. 

Im Februar gehst du ja schon wieder auf Tour… 

Ja, und zwar für einen ganzen Monat! Die letzte Headline Tour, die wir gemacht haben, waren nur vier Tage oder so in Europa. Ich kann es kaum erwarten. Wir werden in Städten spielen, in denen wir noch nie waren. Das wird so ein guter Start ins Jahr! Ich möchte einfach immer besser werden in dem was ich tue und dieses Leben noch mehr lieben, als ich es jetzt schon tue. Ich möchte die Art von Frau sein, zu der man aufschauen kann. Ach was, ich möchte einfach rocken! (lacht) 

Nieve Ella live:

22.02.2025 Berlin, Lido
23.02.2025 Hamburg, KENT Club
24.02.2025 Köln, Luxor

Fotos © Mollie Mckay

www.nieveella.com