Ach Feist. Ich weiß noch, wie ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Auf der Geburtstagsparty eines Freundes in einem Club, der inzwischen in die Annalen der jüngeren Berliner Geschichte eingegangen sein dürfte, treffen mein bester Freund und ich an der Bar auf Peaches. Ich trage ein Diadem, das Peaches’ Aufmerksamkeit erregt. Ob sie es einmal aufsetzen dürfe, fragt sie. Neben ihr an der Bar sitzt eine zierliche, junge Frau mit schulterlangem, blondem Haar, die schweigend lächelnd quittiert, wie Peaches ihre dunklen Locken mit meinem Glitzerschmuck krönt. „This is my friend Leslie“, stellt Peaches dich uns vor. Und ob sie mich Princess Gabi nennen dürfe. „Princess Gabi, let’s go Disco dancing!“ ruft sie und wir springen gemeinsam auf und laufen die Treppe hinunter in den Keller, um wild zappelnd die Tanzfläche zu erobern. Peaches trägt immer noch mein Diadem. Und du, ihre Freundin Leslie, wenn auch viel stiller und unauffälliger als Peaches, hast irgendwie so ein Leuchten an dir. „Peaches ist großartig“, quittiert mein bester Freund noch am nächsten Morgen unsere Begegnung. „Aber ihre Freundin, die war auch irgendwie besonders.“
Ein paar Jahre später, es müsste um 2003 herum gewesen sein, bin ich mit einer Gruppe Freunden bei einem „Chilly Gonzales and Friends“ Konzert im Columbia Theater. Den ersten Teil des Abends gibt Gonzales hauptsächlich den Conferencier, der seine Freunde ankündigt und ihnen jeweils für einen Song die Bühne überlässt. Peaches ist wieder dabei, Mocky und eine junge Dame, die Gonzo als Feist ankündigt. Sie betritt die Bühne in einem weißen Strickkleid mit Fledermausärmeln, eine Akustikgitarre im Arm. Ich werd verrückt – das bist ja du, Peaches’ Begleitung von jenem Geburtstag! Zwischen all den Paradiesvögeln auf der Bühne wirkst du ungewöhnlich zurückhaltend. Du gibst einen Song zum Besten (ich glaube es war „Gatekeeper“) und während du dies tut, verstummt der ganze Saal. Noch Sekunden danach herrscht nahezu betretenes Schweigen, bevor der Jubel losbricht. „Wer zum Teufel war das?“ tönt es um uns herum. Es war irgendwie anders als alles, was man an diesem Abend erwartet hätte – und schlicht und ergreifend magisch.
Ach Feist. An dieser Stelle hätte unsere gemeinsame Live-Historie eigentlich erst anfangen sollen, aber stattdessen war sie damit für lange Zeit auch schon wieder vorbei. Vielleicht lag es daran, dass ich ein Kind bekommen habe, das zu dem Zeitpunkt, als du mit deinem zweiten Album „The Reminder“ deinem großen Karrierehöhepunkt entgegen rittest, noch sehr klein war. Wahrscheinlich auch ein bisschen daran, dass es mich fast schon geärgert hat, dass plötzlich jeder um einen herum „1 2 3 4“ gesungen hat, was ich persönlich nie deinen stärksten Song fand. Mein Ritual war stattdessen, sobald ich Zuhause ein paar Minuten ganz für mich allein hatte, die Stereoanlage voll aufzudrehen und deinen Part in Broken Social Scenes „7/4 Shoreline“ laut mitzusingen. Dieser Song, diese Band, von der hierzulande leider viel zu wenige wissen, dass sie ursprünglich dein Zuhause war, das war die Musik, in der sich damals all das Neue, die Umbrüche, die neuen Daseinsentwürfe in meinem Leben entluden. Also, auch wenn ich weniger enthusiastisch bis 4 mit dir gezählt habe, wirklich verlassen hast du mich nie.
Und dann kamst du dieses Jahr mit deinem Album „Pleasure“ um die Ecke. Darauf hast du für mich mit nahezu erschreckend sicherem Griff alles gebannt, was du immer für mich ausgemacht hast. Ehrlichkeit, Verletzlichkeit, Bodenständiges und Überirdisches gleichermaßen. Für mich ist „Pleasure“ dein Opus Maximus, es gehört viel Mut dazu, über seine Musik so viel von seiner Seele zu zeigen, wie du es tust. Vor kurzem warst du in Berlin um deine neuen Songs (konsequent, im ersten Block hintereinander weg) sowie eine Handvoll älterer Hits für uns live zu spielen. Wir saßen brav auf Stühlen und hörten dir zu. Da war sie wieder, exakt die gleiche Atmosphäre die herrschte, als du damals mit deiner Gitarre bei Chilly auf die Bühne gekommen bist. Gebannte Stille, die sich zwischen den Songs in frenetischem Jubel entlud. Zum letzten Song auf „Pleasure“, dem wunderbar schwofigen „Young Up“, fordertest du uns dann auf, die Gänge zwischen den Stuhlreihen und den Platz vor der Bühne als Tanzfläche zu nutzen. Ich drängte nach vorne, auf der Suche nach meinem Mann, der mittig, ein paar Reihen weiter hinten saß. Als unsere Blicke sich trafen, signalisierte er mir etwas unsicher, dass die Wege nach vorne zu beiden Seiten bereits verstopft seien. Kurze Zeit später drehte ich mich erneut nach ihm um, da war er dabei, zielstrebig über die Stuhlreihen zu mir nach vorne zu klettern. Dann tanzten wir miteinander, in der Wärme des Rotlichts und deines Gesangs und ich musste weinen, so schön war das.
Ich möchte dir für diesen Abend danken. Dafür, dass du das Bild, das ich all die Jahre von dir hatte, auf jede Weise bestätigt hast. Dafür, dass du in zwei Stunden mein Herz Millionen Mal auf die wunderbarste Weise gebrochen hast. Für deinen Humor, deine Offenheit und nicht zuletzt für dein überragendes Talent. Und dass du am Ende erzählt hast, dass auch du deinen eigenen Kampf mit „1 2 3 4“ zu kämpfen hattest, nur um dem Song im Anschluss ganz neues Leben einzuhauchen und mich dadurch auf alle Zeit mit ihm zu versöhnen, dafür liebe ich dich sogar ein bisschen. Du bist auf jeden Fall etwas ganz Besonderes, du Wunderschöne.
von Gabi Rudolph