Ich gebe es zu, ich liebe Pop Musik. Ich bin groß geworden in einer Zeit, in der es noch „richtige“ Popstars gab. Madonna, Michael Jackson und Prince waren die Helden meines Universums. Außerdem, auch das muss ich zugeben, habe ich ein unleugbares Faible für Falsettgesang. Das dürfte erklären, warum die CD, die mir ein guter Freund vor etwas über zwei Jahren mit einem grinsenden „Das wird dir gefallen“ in die Hand drückte, bei mir einschlug wie eine Bombe. Es handelte sich um Mikas Debutalbum „Life in Cartoon Motion“.
Ein gutes Popalbum nimmt einen mit auf eine Reise. Ich erinnere mich, dass ich mich damals mit Prince’s „Diamonds and Pearls“ ganze Nachmittage in mein Zimmer einschloss, um es immer wieder zu hören. Am Ende angekommen sofort wieder von vorne. „Life in Cartoon Motion“ ist für mich eines der wenigen Alben der letzten 15 Jahre, bei dem ich ein ähnliches Gefühl habe. Es hat meine iTunes Zähler gesprengt und meine Nachbarn zur Verzweiflung gebracht. Es ist hemmungslos poppig, es ist bunt wie ein Kindergeburtstag. Es fetzt einfach voll ein.
Die Veröffentlichung von „The Boy Who Knew Too Much“, Mikas frisch erschienenes Folgealbum erinnert mich ebenfalls an meine Teenagerzeit – selten habe ich mich so lange Zeit auf ein Album gefreut wie auf dieses. So etwas muss man feiern, indem man es noch in der Nacht herunterlädt und es einfach nur anhört, während man in dem herrlich aufwendig gestalteten, digitalen iTunes Booklet die Texte mitliest. Ich glaube, ich war 15, als ich so etwas zuletzt gemacht habe.
Dabei sind einige der auf „The Boy Who Knew Too Much“ enthaltenen Songs fast schon so etwas wie gute alte Bekannte. Bereits seit vier Monaten tourt Mika durch die Welt und stellt eine Auswahl an Titeln aus dem neuen Album live vor. „Blame It On The Girls“ und „Rain“ zum Beispiel erwiesen sich dadurch bereits im Vorfeld als mitreißende Livenummern, die die Massen nicht weniger begeisterten wie die bekannten Stücke aus „Life in Cartoon Motion“. Auch „Dr. John“ und „Good Gone Girl“ wurden mehrfach live und bei Fernsehaufzeichnungen gespielt und verbreiteten sich dank Youtube schon lange vor Veröffentlichung des Albums unter den erwartungsfrohen Fans.
Eins muss man sagen: Mika erfindet sich auf seinem aktuellen Album nicht neu. Wer „Life in Cartoon Motion“ mochte, wird „The Boy Who Knew Too Much“ mit großer Wahrscheinlichkeit auchmögen, wem es mit dem ersten Album nicht so ging, dessen Meinung wird das zweite auch nicht ändern. In bewährter Manier setzt Mika auf kunterbunte, tanzbare Pop-Nummern und herzergreifende Balladen. Dabei steht die überbordende Lebensfreude seiner Musik in Kontrast zu den eher nachdenklichen, teilweise recht düsteren Texten. Es ist ein wenig wie in einem Tim-Burton Film: Zuckersüß ist alles nur auf den ersten Blick. Paradebeispiel dafür ist „Rain“, inhaltlich ein bitterer Abschiedsbrief an eine gescheiterte Liebe, musikalisch eine Dancefloor-Nummer wie sie auch von den Pet Shop Boys hätte stammen können.
Mika selbst sieht „The Boy Who Knew Too Much“ als eine Remineszens an seine Teenagerjahre und damit als Fortsetzung von „Life in Cartoon Motion“, das er seiner Kindheit gewidmet hat. Deshalb geht es ihm auch nicht um Neuerfindung, sondern darum, sich selbst treu zu bleiben und sich auf dieser Ebene weiterzuentwickeln. Und das gelingt ihm ausgesprochen gut: Auch seine neuen Songs sind gnadenlos eingängig, aber man behält sie gern im Kopf, denn sie machen glücklich. Mika macht Popmusik aus Leidenschaft, und diese Leidenschaft ist spürbar vom ersten bis zum letzten Titel.
Inzwischen ist es weit nach Mitternacht. Die Reise endet mit Titel 12, dem bittersüßen „Pick Up Off The Floor“. Ich sollte eigentlich schlafen, denn es ist spät, und ich muss morgen früh raus. Aber die Versuchung ist zu groß, ich möchte noch einmal reisen, wenigstens ein bisschen. Nur noch einmal „We Are Golden“. Aber danach folgt „Blame It On The Girls“, kein guter Titel zum abschalten. Egal, schlafen kann ich auch ein anderes Mal. Das hier wird noch ein Weilchen dauern.
Mika, „The Boy Who Knew Too Much“, Universal, 602527176567. Erschienen am 18.09. 2009.
Den MIKA Trailer 2009 sowie weitere offizielle Videos und „Making of´s“ gibt es hier.
Fotos ©Universal Music