Nathaniel Rateliff and the Night Sweats im Interview: „Was werden wir gegen diesen Präsidenten tun?!“

2015 erschien das erste Album von Nathaniel Rateliff in Zusammenarbeit mit den Night Sweats. Das Album schlug ein wie eine Bombe und die achtköpfige Band sammelte Fans auf der ganzen Welt. Zwei Jahre lang zogen sie umher und spielten Konzert nach Konzert. Letztes Jahr hatten sie genug vom Tourleben und verkrochen sich für eine Weile ins Studio um die Nachfolgerplatte „Tearing at the Seams“ aufzunehmen. Im Interview stellen Nathaniel und Drummer Patrick die Musik daraus vor und erzählen von ihrem Ansatz, die Welt ein Stück besser zu machen.

Wie ist „Tearing at the Seams“ entstanden?

Nathaniel: Das erste Mal hat mich eine Band beim gesamten Prozess begleitet. Anstatt ausschließlich hinter verschlossenen Türen im Alleingang zu schreiben, habe ich immer wieder auch Ideen an die Anderen weitergegeben. „Tearing at the Seams“ ist unser erstes gemeinsames Band-Projekt. Das war schön! Viele der Songs sind Liveaufnahmen aus dem Studio. Heutzutage kann man im Nachhinein so viel an einem Track herumschrauben. Ich hab’s lieber wenn man die Fehler heraushört, das macht es authentisch und gibt dem Ganzen Charakter und Tiefe.

Wie kann ich mir das vorstellen? Habt ihr ein paar Takes von einem Song aufgenommen und dann den Besten ausgewählt?

N: Ja genau, wir saßen im Studio und haben Take nach Take gespielt. Erstmal ging es meist darum, uns auf ein Arrangement festzulegen. Dann haben wir gemerkt, wenn wir mit einem Take zufrieden waren. Bei „Tearing at the Seams“ war es zum Beispiel der sechste oder siebte. Da haben wir dann wirklich als Band zusammen funktioniert. Und obwohl ich nicht mitgesungen habe, hat da diese Emotion den Raum eingenommen, die wir alle gespürt haben.

Euer letztes Album „Nathaniel Ratelliff and the Night Sweats“ hat viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Hatte das Konsequenzen für dich persönlich oder die Entstehung der neuen Platte?

N: Der Erfolg des Albums hat auf jeden Fall viel für uns alle verändert. Für mich hat es ein bisschen Druck aufgebaut. Als Performer fühle ich mich verantwortlich, eine großartige Show abzuliefern. Als Songwriter war ich angespannt, wie wir an den Erfolg des ersten Albums anzuknüpfen sollten. Ich hatte nicht die Absicht, nochmal Songs wie „S.O.B“ zu schreiben. Ich habe versucht aufzuschreiben, was mir zufliegt. Von Anfang an wollte ich einfach ein Album machen, das der ganzen Band gefällt und am Herzen liegt. Man kann Musik nicht auf der Grundlage schreiben, dass am Ende alle glücklich sind.

Besonders der Song „Hey Momma“ hat mich sehr berührt. Geht’s da um deine Eltern, die sich um deine Zukunft sorgen?

N: Das ist eigentlich alles mehr metaphorisch zu verstehen. Meine Schwester dachte das auch schon und hat meinen Eltern erzählt, ich hätte einen Song über sie geschrieben. Das musste ich dann aber leider abstreiten. Es geht eigentlich mehr um die Botschaft, dass egal wie hart du denkst gearbeitet zu haben, es gibt immer so viel mehr zu tun, zu überstehen und daraus zu lernen.

„Tearing at the Seams“ ist nicht nur der Albumtitel, sondern auch ein Song. Was reißt denn für dich an den Nähten des Vergangenen?

N: Ursprünglich ist der Song aus einer sehr persönlichen Perspektive geschrieben. Ich wollte damit meine Sicht zu den Geschehnissen in Amerika artikulieren. Alles war gut in der amerikanischen Kultur, sie befand sich im Fortschritt und auf dem Weg zur Besserung. Jetzt fühlt es sich so an, als würde sich alles wieder zurück bewegen und auseinander fallen. Alles Gute, das Obama zu verdanken ist, wird von Donald Trump ausgelöscht. Verstehe mich nicht falsch, ich hab nicht alle Aktionen von Obama unterstützt. Trotzdem ist es mir ein Rätsel, wie es möglich war, dass sich so viele Menschen politisch nicht wahrgenommen fühlten und sich dann mit Trump und seinen rassistisch-faschistischen Idealen identifizieren konnten.

Fühlt ihr euch verpflichtet, dagegen zu steuern und diesem ganzen Bullshit mit eurer Musik Paroli zu bieten?

N: Ich weiß, dass sich unter unseren Fans auch Trump-Supporter befinden. Trumps Erfolg bei der Wahl ist darauf zurückzuführen, dass es Menschen in Amerika gibt, die das Gefühl haben, ihre Stimme zähle nicht. Besonders für Bewohner von ländlicheren Gegenden wirkt dieses ganze politische Gerede in moderner Sprache fremd und sie haben keine Chance, sich damit zu identifizieren. Ich will mit den Night Sweats nicht noch eine laute Stimme am Musikhimmel bilden, die immer wieder über das Selbe spricht, um dann vielleicht nur in unserer eigenen Blase zu leben. Ich will vielmehr die Lücke zwischen den Menschen verengen, indem ich sie zusammen bringe und sie spüren lasse, dass sie gemeinsam an etwas teilnehmen. Daraus gedeiht Freundschaft und Gemeinschaft. Wenn man es schafft, gegenseitiges Verständnis aufzubauen, ist kein Platz mehr für Ignoranz, aus der Angst und letztendlich Hass entspringt. Ich will nicht auf der Bühne vor den Leuten stehen und schreien: Was werden wir gegen diesen Präsidenten tun?! Da würden einige einfach gehen und das bringt nichts. Ich will, dass sie bis zum Ende bleiben und mit dem Eindruck nach Hause gehen, dass die Person neben ihnen genauso wichtig ist, wie sie selbst und dass es keinen Unterschied zwischen ihnen und einem Schwulen, Schwarzen oder Immigranten gibt, neben dem sie vielleicht beim Konzert stehen. Das ist viel effektiver, als auf der Bühne eine Predigt zu halten.

Das Interview spielt sich nun schon seit zwanzig Minuten zwischen Nathaniel und mir ab und ich versuche, Drummer Patrick ins Gespräch zu holen. Nathaniel bietet aus Spaß an, den Raum zu verlassen, damit Patrick „über ihn herziehen kann“. Ich frage Patrick nach seinen Erfahrungen mit den Night Sweats.

Patrick: Wir waren schon lange vor der Band befreundet und haben immer schon zusammen musiziert. Ich glaube viele Leute wissen gar nicht, dass wir auch neben der Band alle eng untereinander befreundet sind. Wir sind eine Familie. Das zeigt sich auch auf der Bühne und man hört es auf der Platte. Wir haben alle schon vor diesem Projekt lange in Bands gespielt, aber diese Energie zwischen uns ist ziemlich schwer herzustellen. Ich hab wirklich Glück Teil des Ganzen zu sein. Vor allem weil es nicht selbstverständlich ist. Wenn man so viel zusammen tourt und so viel Zeit miteinander verbringt, kann es sicherlich auch leicht passieren, dass man die Beziehungen aufgibt. Ich denke aber, wir kriegen das alle gut hin, uns gegenseitig zu unterstützen und aufeinander Acht zu geben. Zumindest die meiste Zeit. (beide lachen)

Aber da wird‘s doch bestimmt manchmal chaotisch im Proberaum mit so einer riesigen Truppe?

N: Streit gibt’s bei uns selten. Und wenn da mal was aufkommt, lösen wir das normalerweise immer ziemlich schnell. Dann entschuldigt man sich bei den Anderen und kommt drüber hinweg.

Bist du es dann manchmal, der die Gruppe zusammen hält?

Beide: Nein! (lachen)

N: Das hab ich zwar schon das ein oder andere Mal, aber das ist nicht die Regel. Ich erinnere mich noch eine Szene spät in der Nacht. Da standen wir noch am Anfang mit der Platte und ein paar hatten eine Diskussion. Wir mussten am nächsten Tag früh raus, da hab ich gebrüllt: Shut the fuck up! Just go to fucking sleep! Aber das war wirklich eine Ausnahme.

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Die Tourdaten für Deutschland findet ihr hier.

Interview: Finn Hackenberg

http://www.nathanielrateliff.com/