Inzwischen bin ich dran gewöhnt, rein durch meine Präsenz den Altersdurchschnitt bei gewissen Veranstaltungen signifikant anzuheben. Das Lollapalooza Berlin, das größte Festival, das die Hauptstadt zu bieten hat, gehört definitiv dazu. Aber es ist auch ein freundliches Festival, auf dem man sich leicht willkommen fühlt, zwischen jungen Menschen in knappen Party-Outfits mit jede Menge Glitter im Gesicht. Auch das Wetter spielt hier traditionell eigentlich so gut wie immer mit – als würde das Lollapalooza jedes Jahr antreten, um den Hochsommer für ein paar Tage zu verlängern.
Was die friedliche Stimmung angeht, so scheint diese eindeutig zum Trend zu werden. Zwei Wochen vor dem Lollapalooza konnte ich bereits in England beim Leeds Festival beobachten, dass es durchaus möglich ist, positiv auf große Menschenmengen einzuwirken. Dort liefen auf den Videowänden der Hauptbühnen zwischen den Acts Visuals in Dauerschleife, die für gemäßigten Alkoholkonsum und friedvolles Miteinander warben und Begriffe wie „consent“ erklärten, angereichert mit praktischen Beispielen, wie man sich zum Beispiel freundlich jemandem vorstellt, bevor man der Person ungefragt um den Hals fällt. Ich habe aus den zahlreichen Jahren meiner Festival Historie noch viele Bilder im Kopf von jungen Menschen, die niedergestreckt buchstäblich im Matsch schliefen, während andere rücksichtslos über sie hinweg stiegen. Und tatsächlich blieben solche und ähnliche Szenarios in diesem Jahr zumindest außerhalb meines Blickfeldes. „Don’t miss your favourite act“, war eine der bestechend logischen Parolen des Leeds Festivals. Und auch beim Lollapalooza wurde das Publikum per Message auf den Leinwänden und in der App intensiv auf Inklusion, Diversität und einen respektvollen Umgang eingeschworen.
Übrigens habe ich in Leeds Sam Fender gesehen – etwas, das jenes Festival dem Lollapalooza eindeutig voraus hatte. Der hatte sich bei seiner (wirklich umwerfenden) Performance offensichtlich nachhaltig verausgabt und musste seine Auftritte sowohl beim Superbloom Festival in München am vorangegangenen Wochenende als auch in Berlin absagen. Das war schon wirklich tragisch, besonders für mich, die gemäß ihres höheren Alters ein etwas altmodisches Faible für Gitarrenmusik hat. Wobei ich es als Kind der Achtziger auch durchaus zu schätzen weiß, dass der Pop beim Lollapalooza ausgiebig zelebriert wird. Und eine gute Pop Performance, die kann schon ein richtig gutes Stück vom Kuchen sein. Das bewies zum Beispiel Zara Larsson, die sich charmant am Samstag ins Zeug legte und, umringt von ihren Tänzerinnen, gleichzeitig glamourös und natürlich wirkte. Weniger der Fall war das leider bei Ava Max, deren Empowerment Message ein bisschen rüber kommt wie bei einem zweitklassigen Instagram-Business-Coaching erarbeitet. Lasst die Champagnerkorken knallen und ab auf die Tanzfläche, Ladies, dann klappt’s auch mit dem Feminismus.
In einer völlig anderen Liga bewegt sich dagegen Aurora, die zur besten Headliner-Stunde unbeeindruckt gegen den Hintergrundlärm von Alligatoah im Stadion und David Guetta auf der Hauptbühne anspielte. Die Norwegerin und ihre Band sind so ein wunderbares Gespann von nahezu überirdischer Schönheit, da verhallten auch die ruhigen Töne nicht. Das war genauso gut fürs Herz wie kurz davor Mumford & Sons, die, wie Marcus Mumford sagte, eigentlich nur „accidentally on tour“ wären. „Delta“, das letzte Album, ist bereits fünf Jahre her, aber der Gesang aus tausenden von Kehlen zeigte eindrucksvoll, dass die Band noch lange nicht in Vergessenheit geraten ist. Und dass auf dem Lollapalooza schon auch die musikalische Diversität und nicht nur Rumsbums angesagt ist, um es mal klischeehaft auszudrücken. Apropos Rumsbums – wer glaubt, dass elektronische Musik grundsätzlich nur das ist, der hat hoffentlich beim Auftritt von The Blaze vorbeigeschaut und wurde direkt eines besseren belehrt.
Der Sonntag verlief für mich (vor allem durch die Abwesenheit von Sam Fender, schnüff) vor allem nach dem Motto: würde privat nicht auf meinem Plattenteller landen, aber ich akzeptiere und respektiere die popkulturelle Berechtigung. An dieser Stelle ein Applaus an das wendige Lollapalooza Team, das kurzfristig auf die traurigen Stimmen reagierte, die den Line-Up-Clash von Imagine Dragons und Jason Derulo beklagt hatten, und Jason Derulo kurzerhand auf den durch Sam Fenders Absage (again, schnüff) frei gewordenen 17 Uhr Spot schoben. Es gab sehr viel große Show am Sonntag zu bestaunen und erneut ein fröhliches, feierfreudiges Publikum, das wacker den tropischen Temperaturen strotzte.
Insgesamt lässt sich vor allem festhalten, dass das Lollapalooza nach einigen Umzügen (vom Tempelhofer Feld, über den Treptower Park und ein weniger freudvolles Gastspiel auf der Trabrennbahn Hoppegarten) schließlich im Olympiapark ein stabiles Zuhause gefunden hat, von dem aus man in einer ruhigen Minute auch schön die Turmspringer im angrenzenden Schwimmbad bewundern kann. Ebenfalls alle Jahre wieder ein Highlight ist das Kids-Programm. Ich war schwer versucht, in Abwesenheit meiner Kinder selbst zu Bummelkasten abzugehen. Andere hingegen reizten das Konzept soweit aus, dass sie mit dem Buggy bis in die erste Reihe zur besten Headliner Zeit an der Hauptbühne vorfuhren – liebes Lollapalooza Team, diesbezüglich solltet ihr vielleicht noch einmal mit eurem Security Team einchecken. Aber sonst hatte ich in diesem Jahr wirklich nichts zu bemängeln. Außer vielleicht (erwähnte ich es schon?), dass Sam Fender nicht da war. Schnüff.
Und noch mehr Fotos:
Der Vorverkauf für die Early Bird Tickets der nächsten Ausgabe am 7. und 8. September 2024 ist bereits gestartet. Vielleicht kommt dann auch… ach, ich sag’s jetzt nicht. Das Lollapalooza wird sich schon wieder ein herrlich eklektisches Line-Up aus dem Hut zaubern.