„Licorice Pizza“ von Paul Thomas Anderson: Pralles Kino in zu engen Hosen

Paul Thomas Andersons neuester Filmstreich „Licorice Pizza“ ist Starkino im besten, aber auch im überraschendsten Sinne. Natürlich sind in (wirklich amüsanten) Nebenrollen auch Sean Penn, Tom Waits und Bradley Cooper zu sehen. Aber die eigentlichen Stars des Films sind Alana Haim und Cooper Hoffman. Dass letzterer in seinem zarten Alter bereits ein extrem versierter Schauspieler ist, ist gar nicht mal so verwunderlich, schließlich ist er der Sohn des 2014 verstorbenen Schauspielers Philip Seymour Hoffman. Alana Haim, Teil des erfolgreichen Indie-Pop-Duos HAIM, ist natürlich auch bekanntermaßen ein großes Talent. Aber dass ihr die Schauspielerei auch noch mit einer bewundernswert unbeschwerten Ausdruckskraft gegeben ist, ist dann doch Überraschung, der beizuwohnen man den ganzen Film über nicht müde wird. 

„Licorice Pizza“ ist eine nerdige Liebesgeschichte, die in den USA der 1970er Jahre spielt. Mit „Boogie Nights“ bewies Regisseur Paul Thomas Anderson bereits, dass er eine großen Liebe für den Look und die Kultur dieses Jahrzehnts hat, in dem trotz Ölkrise und Nixon Skandal über allem ein Gefühl von Lebensfreude, Aufbruchstimmung und ein Hauch Zügellosigkeit liegt. Und im San Fernando Valley nördlich von Los Angeles, seiner eigenen Heimat, spielten bereits seine Filmerfolge „Magnolia“ und „Punch Drunk Love“. Wahrscheinlich liegt es an dieser Vertrautheit, dass Anderson sich mit schlafwandlerischer Leichtigkeit durch seinen Film bewegt.

Die liebevolle Ausstattung, der großartige Cast und der ebenfalls wunderbar kuratierte Soundtrack machen das, was passiert, fast nebensächlich. Die Liebesgeschichte zwischen Alana und Gary ist mehr eine Aneinanderreihung von skurrilen Begebenheiten. Die beiden lernen sich an der Highschool kennen, Gary ist Schüler, Alana Assistentin des Portraitfotografen. Der Altersunterschied hält Gary nicht davon ab, sich in Alana zu verlieben, und was auf den ersten Blick als eine unmögliche Liaison erscheint, erweist sich schnell zumindest als praktisch. Gary ist nämlich Kinderstar, und da seine Mutter keine Zeit hat, ihn auf Promoreise für ein Filmprojekt zu begleiten, wird Alana kurzerhand als Anstandsdame engagiert. Die beiden werden Freunde und, obwohl sie lange nicht zueinander finden, schnell auch mehr als das. Nahezu wie ein altes Ehepaar arbeiten sie sich aneinander ab, an der Unmöglichkeit zusammen zu sein und dem gleichzeitigen Unvermögen, einander loszulassen. Als seine Zeit als Kinderstar sich aufgrund von Körperwuchs und Hautunreinheiten dem Ende nähert, versucht Gary sich als Entrepreneur, Alana steht ihm beim Vertrieb von Wasserbetten zur Seite. Das Unternehmen scheitert und Gary baut im ehemaligen Showroom eine Pinball Arcade auf, während Alana im Wahlkampfteam eines Lokalpolitikers versucht, dem Leben einen Sinn zu geben. 

Es ist ganz wunderbar, dass Anderson sich mit seiner Alana für keine leichte weibliche Hauptfigur entschieden hat. Sie weiß oft nicht was sie will, ist orientierungslos, zickig und jähzornig. Sie geht ihrer Familie, Gary und manchmal auch sich selbst gehörig auf die Nerven. Dabei füllt Alana Haim ihre Rolle mit so viel Leben, Charme und Leidenschaft, dass man sie so und nicht anders haben möchte. Eine Liebesgeschichte aus Hollywood mit einem weiblichen Love Interest, das nicht nur sexy, liebenswert und angepasst ist – wieviel Spaß das doch macht! 
Aber auch Cooper Hoffman gibt seinem Gary Valentine so viel pralles Leben mit. Wie er bei einem Casting als Kinderstar versucht zu überzeugen, aber mehr und mehr erkennen muss, dass er dem kindlichen Niedlichkeitsbonus inzwischen entwachsen ist, ist auf den ersten Blick komisch, in Wirklichkeit aber herzzerreißend. Als Inhaber einer Pinball Arcade macht er hingegen eine nahezu lächerlich gute Figur. Auch sein Charakter ist vielschichtig und eigenartig, aber Glück wünscht man ihm auf jeder Ebene. 

„Licorice Pizza“ lebt von den kleinen Momenten, den lose aneinandergereihten Szenen, die keinen Anspruch auf Spannung oder stringente Handlung erheben und trotzdem einen mehr als zweistündigen Film tragen. Hier stimmt einfach jedes Detail, ist nichts dem Zufall überlassen (Fun Fact: Alanas Familie wird zum Beispiel von der kompletten Familie Haim gespielt, Vater, Mutter und sämtliche Töchter). Und gleichzeitig wirkt „Licorice Pizza“ herrlich unbemüht, wie eine locker aus dem Handgelenk dahin geworfene Skizze – in jeder zu engen Hose steckt hier pralles, lebensfrohes Kino.