Tatsachlich ist es schon 10 Jahre her, seitdem sich die Band King Gizzard & The Lizard Wizard zusammengefunden hat. In der Zeit von 2012 bis heute veröffentlichten die Workaholics aus Melbourne mehr als 15 Alben (alleine fünf im Jahr 2017), und es ist noch lange kein Ende in Sicht.
„If you become complacent, you’ll become bored.“ So drückte es Gründungsmitglied Joey Walker (Gitarre/Gesang) via Videochat aus Melbourne aus, als ich ihn fragte wie sie es schaffen, nach 10 Jahren noch frisch zu bleiben und der Routine zu entgehen. Und man hört, meiner Meinung nach, auch in der Musik von King Gizzard & The Lizard Wizard deutlich heraus, dass weder Selbstgefälligkeit noch Langeweile einen Platz bei den Musikern finden: Mal gibt’s ein reines Metalalbum („Infest the Rats‘ Nest“), mal bekommt man ein großartiges, von Psychedelic Rock geprägtes Konzeptalbum („Quarters“), bei dem jeder der vier Tracks genau die Länge von 10:10 Minuten hat. Dann gibt’s, wie schon erwähnt, gleich fünf Alben in nur einem Jahr und dann wiederum ein Jahr lang gar kein Album.
„…it’s (about) constantly trying to facilitate us to become better musicians and pushing each other out of our comfort zones,“ fuhr Joey enthusiastisch fort
Kein Stillstand ohne Grund, keine Musik ohne Liebe. So schaffen es King Gizzard & The Lizard Wizard auch mit dem xten Album etwas Neues zu kreieren. Selbst wenn man sich auf alte Werte besinnt wie im neuen Jubiläumsalbum „K.G.“ (erscheint am 20.11.2020), so kann man sicher sein etwas Neues und Fantastisches zu hören, was sich seinen eigenen Platz in der langen Diskografie der Gruppe sichert.
Wie man sich auf altes besinnt und trotzdem etwas neues schafft? Nun, der orientalische Klang, der auf dem neuen Album zu hören ist, war auch schon auf „Flying Microtonal Banana“ zu genießen. Joey sagte dazu:
„…it’s heavenly infuenced by a lot of that turkisch, arabic stuff, from the 60s and 70s; all the classics like Erkin Koray and Barıs Manco and I feel like there are a thousand more songs and artists where I wouldn’t know the names of. But yeah, that’s a huge infuence. Other than the fact that with the new album we used the microtonal guitars. So I guess anything you write with these guitars, even if you try to write a popsong, it’ll sound kind of middle east. It’s a great way to change up your thinking about music and harmony and all that stuff.“
Währenddessen ärgerte er sich, dass er leider keine der umgebauten, mikrotonalen Gitarren zur Hand hatte, um sie mir vorzuführen. Stattdessen griff er nach einer normalen E-Gitarre und zeigte mir begeistert, an welchen Positionen auf dem Griffbrett sie die neuen Bundstäbchen eingearbeitet hatten.
Kurzer Hintergrundfakt: Die klassische indische, klassische persische, sowie klassische arabische und indonesische Gamelanmusik basiert nicht auf unseren westlichen Halbtönen, sondern eben auf mikrotonalen Stimmungen, welche ganz wunderbar geeignet sind für Rockmusik.
Der orientalische Klang von damals – bei „Flying Mircrotonal Banana“ – wurde diesmal durch tanzbarere und groovigere Elemente ergänzt und so entstand der vertraute, aber dennoch neuartige Sound von „K.G.“.
„If you compare this album to the first one – the Flying Banana – we were going for a lot more party, dancy, groovier kind of vibe than before. Like the single „Automation“, that just came out, has that vibe. There are some singles, other ones, which don’t have that vibe but the rest of the album do. And I can’t wait to play them live and just extend the jams out.“
Auf die Frage, wie sich die Pandemie auf die Arbeit an „K.G.“ ausgewirkt hat, erklärte Joey mir, dass die Herangehensweise deutlich anders war als bei vorherigen Produktionen. Das Austauschen von Demomaterial der einzelnen Musiker übers Internet sorgte dafür, dass jeder einen ganz persönlichen Beitrag zum Album leisten konnte: „…you can sit on your ass for ages and keep just fuddling and fuddling until you feel comfortable. It’s a different process. It feels refreshing.“
Anstatt dauerhaft auf Tour zu sein mussten sie sich also, wie alle anderen Künstler auch, in ihr Kämmerchen zurückziehen und sich größtenteils auf die Produktion im Studio beschränken. Fur die arbeitswütigen Australier sicher eine große Umstellung. Dennoch kamen dieses Jahr nur ein Livealbum und ein Studioalbum heraus, weshalb ich mich zur Frage hinreißen ließ, warum sie seit 2017 kein Jahr hatten, indem sie fünf verschiedene Alben rausbrachten. Joey antwortete sehr einleuchtend und mit einem dicken Grinsen im Gesicht Hoffnung aufs kommende Jahr machend:
„Well, I think we are still trying to catch our breath, to be honest. Well, I think… Wait, what year is it now? It is 2020. (grinning) In 2018 we didn’t do any Album and then 2019 we did two. I think we focused on touring last year and it was a really intense year – the 2017. We started making some of the records in 2016, cause otherwise it would have been pretty impossible. But next year seems like we still won’t be able to go on tour, and so we are planning on having a big year of putting music out and it might be five albums, it might be more, who knows.“
Es gibt also auch Lichtblicke in Zeiten der Krise. Viele leidenschaftliche Musiker, wie die Jungs von King Gizzard & The Lizard Wizard, produzieren eine enorme Menge an Musik und man darf gespannt sein, was erst passieren wird, wenn die Pandemie gänzlich überstanden ist. Bis dahin sollten jedoch die Regierungen endlich den wirtschaftlichen (im Idealfall auch den ideologischen) Wert der Kunst- und Kultur, sowie der Veranstaltungsbranche anerkennen und unterstützen. Joey sagte dazu unter anderem folgendes:
„They (the politicians) understand it more in Germany than they do in Australia. In Australia it’s horrible. The funding for the arts – the industry – it’s way too small. Even if you just want to compare it to the amount of money that it brings into the economy, there is barely any support. In Melbourne, where I live, is probably the strongest music community and art scene and therefore has a bit more government help and government support, but still there is so much more that needs to be done in terms of recognizing the imortance of musicians and artists… all across the world! And I feel like a lot of people locked down during this year were forced into isolation and introspection and for that the music and arts are so important… mental health and stuff.“
Und als sich unser Gesprach dem Ende neigte, wollte ich unbedingt noch wissen, was Joey in einer Welt machen würde, in der es keine Musik gibt. Seine Antwort offenbarte ihn für mich wie so oft während unserer Unterhaltung als Musiker aus Leib und Seele:
„Errmm, I don’t know, hey… like.. I feel like I have not given that any thought (laughs). I went to university. I did an arts degree and politics and stuff like that. But I don’t think I do that now… I’ve never given it any thought, cause I feel like if I did, it probably would mean that I was not happy with making music. I feel like there is no alternative for me (laughs again)… which is a good problem to have.“
Interview: Vincent Strelow
Foto © Jamie Wdziekons