Jade Bird im Interview: „Gefühle sind meine Politik“

Jade Bird

Als ich Jade Bird zum ersten Mal vor etwas mehr als einem Jahr getroffen habe, hatte sie gerade beim Reeperbahn Festival den Anchor Award für die beste Nachwuchskünstlerin gewonnen und ihre Single „Lottery“ veröffentlicht, mit der sie für einiges Aufsehen gesorgt hatte. Sie steckte mitten in den Aufnahmen zu ihrem ersten Album, trank mit mir gewöhnungsbedürftigen Mate-Tee und quasselte auf ihre witzige, quirlige Art munter drauf los. Jetzt, ein Jahr später steht vor mir eine immer noch sehr junge, aber sichtlich gereifte Künstlerin, die mich mit einer herzlichen Umarmung begrüßt, insgesamt im Gespräch viel fokussierter, sehr professionell und dabei noch genauso fröhlich wirkt. Und ihr Debütalbum hat sie inzwischen auch in der Tasche. Eins springt einen sofort an, wenn man sich mit Jade Bird unterhält: sie liebt ihre Arbeit. So jung, schon so viel erreicht und noch so viel vor sich – ein Traum!

Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, warst du mitten in den Aufnahmen für das Album. Jetzt ist es fertig – und tatsächlich bist du mit allem ziemlich genau in dem Rahmen geblieben, den du dir gesteckt hattest!

Verrückt, oder? Ich glaube ich bin ganz gut im Arbeiten mit Deadlines. Nachdem wir beide uns getroffen hatten, habe ich ziemlich viele Songs geschrieben. Allein sechs der Songs die jetzt auf dem Album sind, sind noch in der Zeit bis Weihnachten entstanden. Sie sind irgendwie einfach so passiert. Mit der Band aufgenommen haben wir dann alles innerhalb von zehn Tagen – ja, ich war ganz schön beschäftigt!

Du sagst du bist gut im Arbeiten mit Deadlines. Im Bezug auf kreative Arbeit stelle ich mir das ja schrecklich schwierig vor. Deine Songs sind so tief und emotional, wie liefert man so etwas innerhalb einer vorgegebenen Zeit ab?

(lacht) Ich versuche sogar immer, mir selbst ein Stück voraus zu sein. Während wir hier sitzen und sprechen bin ich schon an meinem zweiten Album dran. Ich versuche mich zu zwingen, einen Song am Tag zu schreiben. Dazu muss man sich aber auch täglich hin setzen. Ich glaube, viele Leute bringen sich gar nicht erst in diese Position. Writers block is a bitch! Manche sagen so etwas gäbe es nicht, aber es existiert! Aber dann gibt es wieder diese magischen Momente, wo man mit sich selbst allein ist und es einfach fließt. Es sind diese Momente in denen man weiß wer man ist, dann bekommt man Zugang zu den Dingen die genau das ausdrücken, was man sagen möchte. Das Thema des Albums ist schließlich – ich! (lacht) Wie das bei Debüts meistens der Fall ist. Ich glaube aber ich bin besser darin geworden, über mich selbst zu schreiben.

Und ich finde du portraitierst all deine Facetten. Als ich das Album gehört habe, musste ich daran denken, wie ich dich zum ersten Mal getroffen habe. Wie fröhlich, lebendig und positiv du bist. Das hört man auf dem Album. Aber es gibt auch viele düstere Momente.

Ja! Ich meine, wir haben doch alle unsere unterschiedlichen Phasen. Wir brechen zusammen, wir haben Ängste. Was ich gelernt habe ist, mein Leben nicht von Angst bestimmen zu lassen. Das heißt nicht, dass sie nicht da ist. In diesen intimen Momenten zwischen mir und meiner Gitarre, wenn es um pure Ehrlichkeit geht, dann kommt sie auch mal durch.

Ich hoffe aber, du bist immer noch glücklich! Als wir uns kennengelernt haben warst du frisch verliebt. Jetzt gibt es auch so viel Herzschmerz auf dem Album…

Immer noch voll verliebt! (lacht) Es ist verrückt, die Hälfte des Albums habe ich geschrieben, als ich frisch verliebt war. Ich dachte, das könnte ich niemals. Man denkt ja dass es leichter ist zu schreiben, wenn man mit etwas kämpft. Aber ja, wir sind immer noch zusammen. Er spielt in meiner Band, wir sind sehr glücklich.. Verlust erlebt man aber nicht nur in Beziehungen. Bei seinem Partner fürchtet man ja immer ein bisschen, dass er einen irgendwann verlässt. Wenn es mit Menschen passiert bei denen man es nicht erwartet, das tut noch viel schlimmer weh. Wenn du mit jemandem aus deiner Familie brichst oder mit deiner besten Freundin, da gibt es nicht wirklich eine Lösung. Du zermarterst dein Gehirn. Sollte es nicht anders sein? Hätte ich es kommen sehen sollen? Sich zu entlieben hat eine nahezu schöne Einfachheit. Man denkt oft es wäre kompliziert, aber eigentlich ist es ganz einfach. Man liebt sich einfach nicht mehr.

Ich frage mich ja, wann du das alles überhaupt machst. Du bist ja auch so viel getourt im letzten Jahr. Wie hast du es geschafft, die restlichen Stücke zu schreiben? Schreibst du auf Tour?

Nur wenn es sich nicht vermeiden lässt. „Ruins“ und „Side Effects“ habe ich auf Tour geschrieben, im Hotelzimmer. Das letzte was man machen möchte wenn man den ganzen Tag gesungen hat ist sich noch hinzusetzen und einen Song zu schreiben. Es ist schon viel Arbeit. Aber man findet immer Zeit, wenn es einem wichtig genug ist. Das letzte Jahr war tatsächlich das geschäftigste Jahr, das ich jemals hatte. Aber ich bereue keinen Moment davon.

Welche Songs sind insgesamt am leichtesten zu dir gekommen und mit welchen hast du dich schwerer getan?

„Does Anybody Know“ hätte ich ich beinah wieder runter geworfen. Was mir heute schwer fällt mir vorzustellen, weil es jetzt einer meiner liebsten Übergänge auf dem Album ist. Zwischendrin konnte ich ihn einfach nicht mehr leiden. Ich habe ihn live gespielt, die Leute mochten ihn und wir hatten so eine tolle Connection dabei. Dann stand ich im Studio und musste ihn irgendwie wieder neu entdecken. Es sind am Ende einige Songs nicht auf dem Album gelandet, die wir live getestet haben und die das Publikum wirklich mochte. Irgendwann werden sie das Licht der Welt erblicken, aber auf dem Album haben sie irgendwie keinen Sinn gemacht. „Love Has All Been Done Before“ war wahrscheinlich der leichteste, der ist innerhalb eines Tages entstanden. Es ging aber auch gar nicht anders, wir hatten nur eine Nacht im Studio um ihn aufzunehmen.

Du kannst offensichtlich sehr gut unter Druck arbeiten. Das klingt immer wieder durch.

Ja, ich weiß (lacht). Es ist Fluch und Segen zugleich. Man sollte nicht glauben, dass es im Musikbusiness keine Deadlines gibt. Sie existieren und sie sind hart. Ich glaube es gibt auch Zeiten in denen es Sinn macht mehr Zeit zu haben. Aber gerade am Anfang, wenn du durchstartest… ich glaube es ist ein Test. Ich habe das Glück, dass meinem Management und meinem Label meine künstlerische Freiheit genauso wichtig ist wie mir selbst. Sie haben mich nicht dazu gedrängt mit Leuten gemeinsam zu schreiben, damit das Album schneller fertig wird. Ich wollte auf dieser Platte mit niemandem zusammen schreiben, es war mir wichtig, dass alles hundert Prozent ich bin. Wenn du diese Freiheit aber hast, musst du ihr auch gerecht werden. Du musst dafür sorgen, dass es funktioniert. Labels brauchen Songs, sie brauchen Alben, sonst können sie nichts verkaufen. Also ist es mein Job, das zu liefern.

Hast du denn zwischendrin auch mal frei?

Ich hatte um Weihnachten rum ein paar Tage frei. Das war interessant, ich konnte so gar nicht damit umgehen (lacht). Ich arbeite einfach sehr gerne. Ich fühlte mich wie nichts und niemand ohne meine Musik. Das war ganz schön extrem. Aber auch das ist eine Erfahrung, den Zustand auszuloten wie es ist, gar nichts zu fühlen. Nicht traurig, nicht glücklich, einfach gar nichts. Ein schwarzes Loch. Ich brauche die Musik. Sie ist wie eine Offenbarung für mich. Ich wusste dass das so ist, aber nicht in welchem Ausmaß. Aber eine Pause ist für mich auch immer nur eine Pause von den Erwartungen anderer Leute. Von den eigenen ist man nie wirklich frei. Ich gehe jeden Abend mit meinen eigenen Erwartungen an mich selbst nach Hause. Wie gesagt, ich liebe es zu arbeiten. Ich brauche einen Daseinszweck. Wenn du mir den weg nimmst, bleibt ganz schön wenig übrig (lacht).

Wie fühlst du dich mit der aktuellen Situation in England? Wenn der Brexit einmal da ist, wird ja zum Beispiel das Touren viel schwieriger als früher.

Oh, ich habe keine Ahnung. Ich glaube wir können uns noch gar kein Bild davon machen, was es bedeuten wird und was alles auf uns zukommt. Ich mache mir sehr viele Gedanken darüber, aber in meine Musik spielt so etwas nicht mit ein. Ich meine, ich bin eine Frau in einem von Männern dominierten Business, das macht meine Position automatisch zu einer politischen. Ganz ehrlich, wenn ich vom Brexit singen würde, das würde doch keiner hören wollen. In der Musik geht es für mich um Emotion. Man könnte sagen, Gefühle sind meine Politik. Versteh mich nicht falsch, ich finde politische Kunst absolut wichtig. Idols und Shame sind zum Beispiel aktuell zwei UK Bands, die fantastischen politischen Punk machen. Ich finde sie großartig und bin sehr froh, dass sie so erfolgreich sind. Zu ihrer Musik kann man sehr gut seine Wut raus lassen. Aber es muss nicht immer nur um Wut gehen. Politik ist im Prinzip eine einzige Fallstudie über Unehrlichkeit. Und mir persönlich geht es um Ehrlichkeit.

Interview: Gabi Rudolph

Foto: Nicole Nodland

www.jade-bird.com