Interview mit (Tegan and) Sara

Tegan and Sara sind mal wieder in der Stadt. Diesmal mit ihrem neuen Album „Heartthrob“ im Gepäck, auf dem die schönen Indie-Ikonen erstmals neue, poppige Töne anschlagen. In einer dieser neumodischen Designer-Suiten, so rosa, dass es in den Augen schmerzt, begrüßen uns die Zwillinge mit sympathisch festem Händedruck. Tegan muss dann leider sofort weiter, im Nebenzimmer wartet auch auf sie ein Interviewpartner. Aber so konnte man wenigstens kurz einen Blick auf beide werfen und sich selber die wichtigste Frage bereits beantworten: Könnte man die beiden im Falle eines Falles auseinander halten? Ja, irgendwie schon. Tegan hat etwas breitere Wangenknochen und trägt ein Piercing unter der Lippe. Das war’s dann auch schon. Aber schön sind sie beide! So schön! Vielleicht doch ganz gut, dass wir nicht mit beiden sprechen…

Schön Dich zu sehen, Sara! Geht es Dir gut?

Ja, danke! Ich warte noch auf einen Kaffee, aber einigermaßen wach bin ich…

Zum wievielten Mal seid Ihr jetzt in Berlin?

Zum wievielten Mal… Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Wir kommen bereits seit zehn Jahren immer wieder hierher. Aber das hier fühlt sich wie ein neuer Anfang an! Mit diesem Album machen wir viel mehr Presse als mit unseren früheren. Das ist lustig, weil die Leute oft zu uns sagen: „Willkommen in Schweden!“ oder „Willkommen in Deutschland!“ Und wir dann sagen müssen: „Jaaa, danke! Wir waren hier schon ein paar Mal…“ (lacht) Wenn wir von uns ausgehen fühlt es sich so an, als wäre es unmöglich, dass die Leute uns nicht kennen. Weil wir das hier schon so lange machen. Dann waren wir neulich auf einem Festival, und ich habe festgestellt, dass ich kaum eine der anderen Bands kenne, die dort gespielt haben! Es ist wirklich hart. Es gibt so viel Musik auf der Welt und man muss wirklich permanent arbeiten, die Leute immer wieder daran erinnern, dass man existiert. Das hier ist unser siebtes Album. In so langer Zeit ist es normal, dass man Fans verliert. Die, die man hat, muss man deshalb möglichst gut pflegen. Und man muss es schaffen, dass immer wieder neue dazukommen. Deshalb war es so wichtig für uns, genau diese Platte zu machen. Etwas zu machen, das uns neue Fans bringt.

Damit hast Du meine nächste Frage quasi vorweg genommen. Es hat mich interessiert, ob es eine gezielte Entscheidung war, ein derart Radio taugliches Popalbum zu machen. Oder ob es etwas war, das automatisch passiert ist, vielleicht dadurch, dass Ihr inzwischen selbst andere Musik hört?

Kennst Du den Autor Jonathan Lethem? Er hat eine Sammlung von Essays heraus gebracht, und einer davon heißt „The Exstacy Of Influence“. Als Künstler bist Du so etwas wie ein Blitzableiter. Heute treffe ich Euch, wir reden über etwas. Dann schaue ich fern, sehe ein Poster, lese ein Magazin. All das nehme ich in mich auf und lasse es durch meinen Filter laufen. Die Idee hinter „Exstacy Of Influence“ ist, dass alles um Dich herum Dich beeinflusst. Als wir mit dem Album angefangen haben, wollte ich, dass wir als Band bekannter werden. Ich wollte, dass wir im Radio laufen. Deshalb habe ich alles aufgesogen, was im Radio und im Fernsehen läuft. Aber das, was mich bisher interessiert hat, interessiert mich natürlich immer noch. Das vermischt sich alles zu einem neuen, großen Ganzen. Es war nicht so, dass wir uns bewusst ändern wollten. Aber weil wir so beeinflusst sind von dem, was um uns herum passiert, geschieht so etwas automatisch. Wir klingen jetzt nicht zwingend wie Katy Perry, Alicia Keys oder Robyn – aber genau diese Sachen habe ich die ganze Zeit gehört! Es war also eine Mischung aus einer Entscheidung für unsere Karriere und der Musik, die uns jetzt beeinflusst.

Aber hattest Du auch ein bisschen Angst davor, wie die Leute, die Euch seit Jahren hören, diesen Wandel aufnehmen würden?

Nein, ich glaube nicht, dass ich davor Angst hatte. Ich habe mehr Angst davor,  dass die Leute uns vergessen, dass wir irrelevant werden. Denn wenn die Leute uns nicht mögen, denken sie zumindest über uns nach. Ich bin lieber Teil eines Diskurses, egal ob positiv oder negativ, als dass man sich gar nicht mit uns beschäftigt. Meine Angst war: Was, wenn wir etwas machen, das niemanden interessiert? Was, wenn es einfach nur ein weiteres Tegan and Sara Album wird? Davon gibt es nämlich schon sechs, wozu braucht man noch eins? Außerdem: ich mag es! Und sobald ich das, was wir machen mag, schaffe ich es, dem Ganzen mit einer gesunden Arroganz gegenüberzustehen: „Was?? Du magst es nicht? Aber es ist doch sooo gut!“ (lacht)

Wenn man sich die Mühe macht genau hin zu hören, hat sich auch gar nicht so viel geändert. Die Arrangements sind gewiss poppiger geworden…

..oh, ganz gewiss.

… aber was Euch immer noch von anderen abhebt, ist dieses verdammt gute Songwriting.

Da hast Du total recht! (lacht) Außerdem hat sich in unserem eigenen Arbeitsprozess gar nicht so viel verändert. Wenn ich mich hin setze um einen Song zu schreiben, mache ich das genauso wie 1998, als ich noch auf der Highschool war. Das technische Drumherum ist anders, ausgefeilter und wie ich finde, besser geworden. Wenn ich unsere alten Songs höre, frustriert mich das ehrlich gesagt eher. Ich würde am liebsten zurück gehen und im Nachhinein so vieles ändern! Aber für die Band, die wir damals waren, war es so total angemessen. Heute sind wir 32, touren seit zehn Jahren fast ununterbrochen und haben ganz andere Erfahrungen gesammelt. Mit 22 hätte ich dieses Album niemals machen können. Es passiert also alles sehr organisch, auch wenn unserer Sound es vielleicht nicht ist – der Weg dahin war es.

Und plötzlich sagt Katy Perry öffentlich, wie begeistert sie von Euch ist.

Ja, das ist einfach nur großartig! Ganz ehrlich? Popstars sind viel freundlicher als die Indie-Leute (lacht). Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand aus der Indie-Szene mal auf uns zugegangen ist und gesagt hat: „Hey, coole Platte!“ Aber sobald unser Album raus war kamen all die großen Popstars wie Katy Perry und Taylor Swift und waren einfach nett zu uns. Ich glaube auch, dass wir von unseren Persönlichkeiten her viel besser in die Popwelt passen. Alle sind da so: „Yay! Kommt rein, es ist Platz für alle hier!“  Ich weiß nicht, ob es immer authentisch ist, aber man schätzt dort sein Publikum sehr. Die Indie-Szene dagegen ist so furchtbar cool. Irgendwie hat das nie richtig zu uns gepasst, eine Szene, die sich für exklusiv hält. (Der Kaffee kommt. Saras Gesicht leuchtet auf) Dankeee! Jetzt bin ich glücklich. (Sie nimmt einen Schluck und leuchtet sofort noch mehr) Weißt Du, was ich unglaublich finde? Wenn Leute denken, Popmusik wäre einfach. Ich würde dann am liebsten sagen: „Ok, du denkst also, du könntest einen Song wie Taylor Swifts ‚We Are Never Getting Back Together‘ schreiben? Dann mal los!“ (lacht) Dieser Shit ist magisch! Es ist eine Wissenschaft, genauso, wie man nicht so einfach ein Raumschiff baut, das auf dem Weg zum Mond nicht in die Luft fliegt. Aber hey, Anfang 2000 war ich selber noch einer der schlimmsten Snobs was das anging. Tegan und ich haben uns damals wahnsinnig viel gestritten, weil ich wie eine bestimmte Band sein wollte oder es mir wichtig war, was bestimmte Kritiken über uns sagen. Tegan meinte damals schon: „Wen interessiert das denn?“ Aber für mich war es furchtbar wichtig, Teil dieses Diskurses zu sein.

Ich habe mir mal Eure deutsche Homepage angeschaut. Auf der gibt es für jeden von Euch eine wie ich finde sehr niedliche Kurzbiografie. Möchtest Du wissen, was Deine über Dich sagt?

Unbedingt!

„Vor ihrer Musikerkarriere wollte sie eigentlich Juristin oder Veterinärmedizinerin werden.“

Stimmt!

„Die schüchterne von beiden…“ Wenn ich Dich so erlebe, frage ich mich gerade wie Tegan wohl sein mag…

Ich glaube, wenn  wir beide zusammen sind, ist das so. Wir können einfach nicht beide die Frontsau sein (lacht). Ich nehme dann eher die zurückhaltende Position ein, beobachte mehr. Tegan hat glaube ich mehr Führungsqualitäten als ich und übernimmt die Kontrolle in Situationen. Aber das hilft uns, uns gegenseitig auszubalancieren. In der Arbeit ist es übrigens genauso. Tegan kommt schneller nach vorne mit Sachen, die sie schreibt. Ich brauche länger, frickle hier und da herum und traue mich erst etwas vorzuzeigen wenn ich denke, es ist wirklich fertig.

Stimmt es dann auch, dass Tegan mehr Songs schreibt, von Dir aber am Ende im Verhältnis mehr auf den Alben landen? Das steht nämlich auch hier.

Das… ja, das mag statistisch sogar stimmen. Beim letzten Album hat es sich aber ein bisschen geändert, dazu haben wir ziemlich gleichberechtigt beigetragen. Alle Songs, die Tegan schreibt sind aber sehr gut! Sie schreibt nur so viele, dass man sie unmöglich alle mit auf ein Album nehmen kann. (lacht)

Hier heißt es also weiter: „Die schüchterne von beiden genießt es Lebensmittel einzukaufen…“

Food Shopping! Oh ja.

„…mag Barbecues…“

Ich liebe Barbecues.

„…Mittagsfilme…“

Diese Leute haben wirklich gut recherchiert! Es stimmt. Ich liebe Matineen.

Was war die letzte Matinee, die Du besucht hast?

Da muss ich überlegen, das muss gewesen sein, als wir noch Zuhause waren. Auf Tour schaffe ich das nicht… Jetzt weiß ich es! Das war eine Dokumentation über die Verschwörungstheorien hinter „The Shining“. Es gibt diese Verschwörungstheorien, dass Stanley Kubricks „The Shining“ sich zum Beispiel darauf bezieht, wie die Mondlandung gefaked wurde. Es gibt tatsächlich Leute die glauben, dass Stanley Kubrick bei der angeblichen Mondlandung Regie geführt hat, und dass er in „The Shining“ Hinweise versteckt hat, die das enthüllen sollen. Und wirklich, wenn man den Film darauf hin guckt, findet man tatsächlich vieles, das sich auf die Raumfahrt bezieht. Der kleine Junge zum Beispiel, er trägt die ganze Zeit ein NASA T-Shirt. Es ist total verrückt. Am Ende bin ich aus dem Kino und habe alles geglaubt.

Unsere Zeit ist leider um. Aber eine letzte Frage habe ich noch. Warum habe ich immer, wenn ich kanadische Künstler treffe, das Gefühl, dass sie die unterhaltsamsten, lustigsten und nettesten von allen sind?

Wir hassen uns selber! Also vielleicht nicht wirklich Hass, mehr Selbstverachtung. Deshalb versuchen wir ständig uns gegenseitig zum Lachen zu bringen (lacht). Nein, ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass wir so nah an den USA aufwachsen, mit dieser riesigen Macht im Nacken. So wie wenn man in der Schule immer der Kleinste ist und ständig Witze machen muss, damit man nicht ständig in den Hintern getreten bekommt (lacht).

Interview: Gabi Rudolph
Live Fotos und schweigsame Begleitung: Lynn Lauterbach
Promofotos (c) Lindsey Byrnes

www.teganandsara.com