Mit Mika, das ist so eine Sache – entweder mag man ihn oder nicht. Die Kombination aus zuckersüßen Popsongs, Konfetti, Falsettgesang und Glitzerglamourkostümen mag nicht jedermanns Geschmack sein. Ich persönliche habe dem 29 jährigen Popstar schon das eine oder andere vergnügliche Konzerterlebnis zu verdanken und freue mich deshalb, ihn zu treffen und mit ihm ausgiebig über sein drittes Album „The Origin Of Love“ zu sprechen. An diesem Tag erscheint Mika zum Interview wie man sich Mika vorstellt: mit Wuschelkopf, gestreiftem T-Shirt und einer satten Stunde Verspätung. Nach seinem ersten Termin treffen wir uns in der Teeküche, wo er mich erst um Gummibärchen anschnorrt („Ist die leere Packung von Dir? Hast Du noch mehr?“) und dann persönlich in den Konferenzraum im achten Stock des Universal Gebäudes geleitet. Er lehnt sich zurück und sieht mich erwartungsvoll an.
So, worüber wollen wir uns denn jetzt unterhalten?
Ich dachte, ich erzähle Dir zur Abwechslung mal was.
Ich hoffe, es ist etwas Schönes.
Ja. Ich dachte, ich erzähle Dir, wie ich ursprünglich auf Dich aufmerksam geworden bin. Ich habe nämlich ein Faible für Popstars. Ich bin ja etwas älter als Du…
Wie alt bist Du?
Mika schätzt mich, galant wie er ist, ohne mit der Wimper zu zucken sechs Jahre jünger und sieht sich auf meinem Handy Fotos meiner Kinder an.
Ich bin also zu einer Zeit aufgewachsen, als es im Großen und Ganzen drei Popstars gab: Prince, Madonna und Michael Jackson.
Eine Zeit, über die ich viel rede. Ich sage oft, dass wir nie wieder solche Ikonen haben werden.
Ein Freund hat mir von Dir erzählt zu einer Zeit, als ich von der aktuellen Musikszene ziemlich gelangweilt war. Ich hatte die Nase voll von depressiv drein guckenden Indie Bands in labbrigen T-Shirts…
Genau diese Bands waren der Grund, warum ich damals keinen Plattenvertrag bekommen habe!
Auf jeden Fall fragte mich ein Freund, ob ich Mika kenne und meinte: der dürfte Dir gefallen, der hat sowas von einem Popstar im klassischen Sinne. Also habe ich nach Mika auf Youtube gesucht und habe Deinen Auftritt bei Jools Holland gesehen, wie Du allein am Klavier sitzt und „Grace Kelly“singst.
Mein erster TV-Auftritt überhaupt!
Und ich dachte: der Typ ist total verrückt! (Mika lacht) Aber ich liebe es! Kurze Zeit später habe ich Dich zum ersten Mal live gesehen, das war 2007. Und endlich machte mal wieder jemand den ganzen Quatsch: Luftballons, Konfetti, Tierkostüme…
Die riesigen Luftballons und das Konfetti, das basierte alles auf einem Nachtclub in London, in den ich immer heimlich gegangen bin als ich 15, 16 Jahre alt war. Er war in einem alten Theater, dem Astoria. Heute gibt es ihn nicht mehr. Dort gab es Ballons und Konfetti und die Leute wurden buchstäblich wahnsinnig, wenn die Ballons und Konfetti auf sie runterfielen. Und ich dachte immer, dass dies, so kindisch und so hysterisch wie es war, so einen riesigen Effekt auf die Leute hatte. Deshalb bin ich am Ende in diese Richtung gegangen. Ich habe aber nie darüber nachgedacht was ich tue, ich habe es einfach getan weil es sich anfühlte, als sollte es gemacht werden. Ich habe mich wohl damit gefühlt. Und bis heute habe ich mich, was das angeht, nicht geändert. Mein Schaffensprozess ist immer noch der Gleiche, meine Auftritte bahnen sich immer noch ihren eigenen Weg. Wie auch immer. Es ist schön, dass Du mich auf diese Weise entdeckt hast und nicht durch irgendeine Pressemitteilung.
Ich habe mir, bevor ich hierher gekommen bin, noch einmal genau diesen Fernsehauftritt angesehen. Und ich habe mich gefragt, wie es Dir wohl damit geht, wenn Du diese alten Aufnahmen heute siehst.
Ich fühle mich, als wäre es gestern gewesen! Es ist alles Teil des gleichen Prozesses. Meine Absicht, besonders wenn ich einen Song wie Grace Kelly singe, ist heute exakt die gleiche wie damals. Denn es ist ja etwas, das ich erschaffe habe! Ich glaube, das ist das Ding – wenn etwas wirklich Deins ist und Du auf jede erdenkliche Art und Weise daran glaubst, wirst Du es nie über. Und Du wirst dich selber niemals betrügen. Wenn das aber nicht so ist und Dich alle dafür lieben, können sich alle möglichen negativen Assoziationen darum aufbauen. Also ja, ich fühle mich immer noch so. Ich denke: das ist ein fantastischer Schnappschuss von dem was ich bin, von dem was ich kreiert habe und davon, wo meine Karriere ihren Anfang genommen hat. Darüber hinaus denke ich nicht… (überlegt lange) Ich weiß nicht, ich denke nicht. Ich muss über solche Sachen nicht nachdenken. Ich versuche mich weiterzutreiben und mich zu fordern. Außerdem denke ich, dass ich sehr dankbar bin, dass ich mir selber nie etwas übel nehme. Damals passierte vieles aus Frustration heraus. Ich war gezwungen, sehr einsam und unabhängig zu sein als ich mir meinen Weg gesucht habe, einfach weil ich keine andere Wahl hatte. Also ja – ich denke es ist cool! (grinst)
Und jetzt kommt schon dein drittes Album raus.
Oh ja!
Das magische dritte. Ich finde es immer besonders interessant, über das dritte Album zu reden. Viele Musiker, die ich getroffen habe sagen, dass das erste das aufregendste ist. Das zweite Album…
…ist das, bei dem man sich am meisten im Übergang befindet. 100 Prozent, ja.
Und das dritte, das hat etwas wirklich Magisches. Du hast das erste und das zweite überstanden, und Du bist immer noch da.
Ich wünschte, mehr Leute würden diesen Prozess verstehen. Du siehst das so klar, und es ist wahr! Ein magischer Feenstaub scheint über dem dritten Album zu glitzern, wenn das Umfeld, in dem es entsteht, gut ist. Es ist wirklich seltsam, denn jetzt wo ich es fertig habe – ich habe es ja erst seit ein paar Wochen fertig – sitze ich manchmal da und denke ich weiß nicht, ob es jemals wieder so werden wird wie bei diesem Album. Wenn du die Kraft hast – und das ist natürlich nur meine persönliche Meinung – dich da durchzukämpfen und mit deinen eigenen Gewohnheiten zu brechen, wenn Du den Sprung wagst, dann kannst du auf deinem dritten Album an einen Punkt kommen, an dem sich herausstellt, ob du wirklich der Künstler sein wirst, der zu sein du dir dein ganzes Leben lang erkämpft hast oder ob du dieser Künstler nicht sein wirst. Ich habe ein wunderschönes zweites Album gemacht, aber es war eine Fortsetzung des ersten. Es ging immer noch um diese Identitäts-Geschichte, die ich mit dem ersten angefangen habe. Es war dunkler und einsamer und es hatte das Konzept eines düsteren Märchens. Sogar das Cover. Ich habe bewusst eine blaue Version des ersten gewählt. Beim dritten war es buchstäblich so, dass ich jeden Tag ins Studio gegangen und mir gesagt hab: nutze die Werkzeuge, die dir durch die ersten beiden Alben in die Hand gelegt wurden. Aber zerstöre dein Ego und bringe dich ohne jegliche Zurückhaltung nach außen. Es war hart dort hin zu kommen, da ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Aber als ich dann mal angefangen habe, war das eine der befreiendsten Erfahrungen, die ich gemacht habe. Also du hast total recht, das dritte Album kann sehr spannend sein.
Verrückterweise muss man die Platte noch nicht einmal gehört haben um zu verstehen, dass Du einen Schritt nach vorne gewagt hast. Es ist schließlich das erste Mal, dass Du prominent…
… dass ich auf dem Cover bin, ja. Aber trotzdem sieht man, dass das Ganze zwar etwas Ikonenhaftes, Schönes hat, aber gleichzeitig einen teuflischen, schrägen Humor. Ich trage diesen seltsamen Alien-Hut, der gleichzeitig meinen Namen darstellt. Es ist schön und lächerlich zugleich – ich bin der Verrückte, der hinter seinem Comic Alter-Ego hervortritt. Und es ist seltsam, wenn Du das Album hörst, dann wirst Du vielleicht feststellen, dass es sich wie ein Anfang, ein Aufbruch anhört. Dabei ist es gar kein erstes Mal, es ist immerhin schon mein drittes Album. Es sagt viel aus über die Stimmung, in der ich war als ich das Album gemacht habe.
Erzähl mir genau wie das war. Nach „The Boy Who Knew Too Much“ warst Du lange auf Tour.
Zwei Jahre lang. Es war wahnsinnig viel Arbeit. Ich habe von dem ersten Album so wahnsinnig viele Platten verkauft, deshalb wusste ich, es würde mit dem zweiten Album härter werden. Ich wusste, ich muss verdammt viel arbeiten, da ich zwei Millionen verkaufte Alben schaffen musste – was ich gerade so geschafft habe. Auf der einen Seite ist das großartig, weil man schon sagen muss, dass zwei Millionen verdammt viele Platten sind. Aber es war auch eine ganz schöne Schinderei. Das Touren war für mich die Möglichkeit mich zu zeigen, mich zu etablieren, den Leuten die Welt aus der ich komme zu erklären und zu zeigen wie ich als Musiker funktioniere. Das alles wurde lebendig, wenn ich auf die Bühne ging. Also ging ich wie ein Wahnsinniger auf Tour. Dann war es vorbei, und zum ersten Mal in meinem Leben war ich nicht auf Tour, nicht in der Ausbildung, nicht dabei ein Album aufzunehmen und ich habe nicht als Kellner gearbeitet oder war im Sommerurlaub – ich war einfach nur arbeitslos und verwirrt. Und am allerwenigsten habe ich mich wie ein Songwriter gefühlt, eher wie ein arbeitsloser Livekünstler. Das war der totale Absturz! Und ich habe jedem um mich herum die Schuld daran gegeben. Meinem Partner, meiner Familie… ich hatte eine grauenvolle Trennung, habe den entsetzlichen Unfall meiner Schwester erlebt und musste für sie da sein. Das alles hat mich in den Grundfesten erschüttert und war der erste Schritt zum Abbau meines Egos – ein Ego, von dem ich noch nicht einmal wusste, dass ich es hatte! Diese Patina, die mich davon abgehalten hat zu schreiben. Dabei ist das Schreiben mein Leben. Es ist das, was ich seit meinem neunten Lebensjahr tue. Also musste ich weglaufen. Und wie der Zufall es wollte war die erste Person, die ich getroffen habe Nick Littlemore, und er war ganz heiß darauf, ein neues Projekt zu starten. Sechs Stunden nachdem ich mit ihm gesprochen habe, habe ich mir ein Ticket nach Montreal gekauft. Ich hatte seit über 1 ½ Jahren keinen Song mehr geschrieben und seit mindestens 2 ½ Jahren keinen guten mehr. Ich komme also in sein Studio, und er hat ungefähr 23 Keyboards geliehen, sechs Bässe und sechs Sampler. Ich spüre wie sehr ich danach lechze neu anzufangen, und in dieser Nacht habe ich „The Origin Of Love“ geschrieben, in einer Stunde. Da hat das Album seinen Anfang genommen. Plötzlich war alles ganz einfach. Ich bin sieben Monate lang nicht nach Hause gegangen und habe das Album gemacht.
Die junge Dame von Universal, die die Interviews betreut kommt leise ins Zimmer und weist uns daraufhin, dass unsere Zeit in fünf Minuten um ist. Mika schickt sie wieder nach draußen.
Oh nein, wir brauchen ein bisschen mehr Zeit!
Was Mika mir im zweiten Teil unseres Gesprächs erzählt hat, könnt ihr hier lesen.
Interview: Gabi Rudolph