Interview mit Mika – Teil 2

„The Origin Of Love“ heißt Mikas drittes Album, das ganz frisch in Deutschland erschienen ist. Die Euphorie, die Mika, nach anfänglichen Schwierigkeiten, bei der Rückkehr zum Songschreiben und ins Studio ergriffen hat, hat er mir im ersten Teil unseres Gesprächs beschrieben. Beim Hören des Albums wird sie greifbar – es ist bestimmt von elektronischen, getriebenen Rhythmen. Etwas schade ist, dass diese die sensible Seite von Mikas Songschreibertum, die ihn als Popkünstler so besonders macht, manchmal etwas in den Hintergrund drängen. Aber zum Glück hält die Deluxe Version des Albums eine Reihe von Akustik-Versionen bereit, in denen die emotionale Tiefe der Songs besser zum Tragen kommt, auch bei den Uptempo Nummern. Und genau diese Seite interessiert mich an Mika, weshalb ich noch ein wenig weiterbohre…

Wovor hast Du am meisten Angst gehabt, als Du letztendlich mit der Arbeit angefangen hast?

Das Problem war, dass ich jedes Mal, wenn ich angefangen habe zu schreiben oder nur darüber nachgedacht habe, mich immer sofort gefragt habe, was die Leute denken werden.

Du denkst über so etwas nach? Das erstaunt mich.

Normalerweise nie! Ich habe nie über so etwas nachgedacht. Nie, nie, niemals, nicht in einer Million Jahren! Deshalb konnte ich nicht schreiben, das war meine Blockade. Was für ein Album sollte ich machen? Nie in meinem Leben habe ich versucht, meine Musik stilistisch zu definieren. Das ist der Grund, warum meine Musik überhaupt existiert. Also musste ich einen grauenvollen Unfall miterleben und ich musste mich verlieben, um diese eigennützige, nahezu rücksichtslose Gleichgültigkeit wiederzufinden die ich  brauchte, um ein Album zu machen, das wahrhaftig ist. Davor hatte ich Angst. Ich hatte Angst davor, genau wie die Künstler zu werden, die ich nicht leiden kann. Die darüber nachdenken, was für eine Platte sie machen sollen, bevor sie sie überhaupt machen (lacht). Denn wer zum Teufel macht sowas? Es muss einfach passieren. Auch wenn sich eine ganze Industrie darauf aufbaut, ist es doch etwas sehr seltsames, ein Album zu machen. Und weißt Du was, man macht die besten Platten wenn man das Gefühl hat, man stiehlt sie von irgendwo her. Oft, wenn ich einen Song schreibe, fühlt es sich an als würde es einfach so passieren. Ich kotze ihn aus und wundere mich woher ich ihn habe, und dann fühle ich mich plötzlich schlecht weil ich das Gefühl habe, ich habe ihn von irgendjemandem gestohlen. So als wäre er in der Luft gewesen und ich hätte ihn einfach nur schnell geschnappt, bevor jemand anders es getan hat.

Das ist total verrückt!

Ich weiß (grinst). Deshalb der Alien-Hut auf meinem Cover. Das sind in Wirklichkeit Antennen, um mich gegen Aliens zu schützen.

In diesem ganzen Prozess bist Du Deinem Label treu geblieben.

Sie sind mir treu geblieben!

Stimmt, oder so rum. Worauf ich eigentlich hinaus will ist, dass Du immer noch auf einem Major Label bist und Dir gleichzeitig Deine Freiheit bewahrt hast.

Zu 100 Prozent. Sie haben sie mir gegeben. Es ist eine Mischung aus beidem. In erster Linie habe ich Glück, weil ich auf der ganzen Welt Platten verkaufe. Dadurch rückt bei meinem Label ein wenig die Macht aus dem Focus. Es gibt keinen Markt, bei dem sie sagen können: „Wir haben die Macht, denn wir sind diejenigen, die in Dich investieren.“ Das ist das eine. Außerdem denke ich, dass es einen Unterschied macht, dass ich einem Vertrag mit England und nicht mit den USA habe. Island in Großbritannien ist das Major Label, bei dem man die meisten Freiheiten haben kann. Aber ich kämpfe auch. Wenn ich das Gefühl habe man verarscht mich, laufe ich in einen Raum und schreie herum. Das ist mein Leben, ich muss kämpfen. Was ist das Schlimmste, das sie mir antun können? Ich schreie auch nicht herum um ein Idiot zu sein, ich sage nur, wenn ich denke, dass man mir den Rücken stärken muss, wenn ich Hilfe brauche. Aber bis zu diesem Moment habe ich viel Glück mit meinem Label gehabt. Viele Leute sind erstaunt, dass ich die Möglichkeiten habe, die Platten, die ich mache, auf einem Major Label zu machen. Der Punkt ist wieder: sie haben mich nicht gemacht. Ich war immer ich, und sie haben sich entschieden, mir beizustehen. Das ist der große Unterschied.

Du hast vorhin gesagt, dass Du auf der ganzen Welt Platten verkaufst. Es fällt auch auf, dass Du auf der ganzen Welt sehr hingebungsvolle Fans hast. Und nicht nur das, sie reisen Dir auch überall hin nach, egal wo auf der Welt Du spielst!

Überall hin, wo auch immer wir sind. Sie sind alle Teil einer Bewegung… ich kann es nicht beschreiben.

Aber ist es nicht seltsam wenn Du, egal wo Du spielst, immer dieselben Leute in der ersten Reihe siehst? (Mika überlegt einen Moment, lacht dann laut) Oder willst Du darüber nicht reden?

Nein, nein, es ist großartig! Ich weiß nicht, es muss irgendwie mit der Musik zusammenhängen, die ich mache. Ich glaube es ist, weil sie außerhalb einer Mode- oder Stilbewegung existiert. Das bedeutet, dass ich keine Leute anziehe, die sich einem Trend anschließen, und sobald der vorbei ist, sind sie wieder weg. Die Musik und die Live-Erfahrung existiert für sich selbst, und ich glaube, das hilft den Fans. Sie tätowieren sich sogar. Meine Cartoon-Figuren, Zitate, Autogramme. Nicht alle, aber viele.

Gibt es irgendjemanden, bei dem Du zum Fan wirst?

Ich? Ja, es gibt ein paar… (überlegt) Aber es ist komisch, ich glaube, ich habe keine Ikonen, die für irgendetwas stehen. Aber ich kann irgendwo im Publikum sein, und am Ende eines Songs, selbst wenn alle anderen sitzen, springe ich auf und klatsche und johle. Auch bei klassischen Konzerten. Ich kann sehr ehrfürchtig gegenüber jemandes Schaffens werden, das trifft mich manchmal so heftig, dass ich in dem Moment zum schreienden Fan werde. Aber nur in diesem Moment, während des Konzerts. Danach löst sich das plötzlich wieder auf.

Hörst Du privat viel Musik?

Ja, viel. Aber ich schaffe es nicht oft genug, zu Shows zu gehen. Und ich mag es nicht, mir Leute auf Festivals anzusehen. Es ist einfach nicht das Gleiche.

Spürst Du das auch selbst, wenn Du auf Festivals spielst? Ist es schwieriger, als eine eigene Show zu spielen, zu der die Leute nur wegen Dir kommen?

Es ist anders,  einfach eine andere Art von Show. Man hat weniger Kontrolle. In einer geschlossenen Arena oder sogar in einem Club kann man ganz kleine Akzente setzen. Man kann auf den Boden stampfen, und in einem geschlossenen Raum spürst Du den Effekt. Auf einem Festival gibt es so viel Ablenkung. Ich will jetzt nicht plump werden, aber auf Festivals spürst Du immer die Spannung zwischen dem Versuch, Geld zu machen und dem, ein gutes musikalisches Erlebnis zu präsentieren. Es ist mir egal was die Leute sagen, aber wenn man eine Reihe von Bierständen und Buden mit asiatischem Essen auf jeder Seite der Bühne aufbaut, verhilft einem das bestimmt nicht zu einem tollen musikalischen Erlebnis (lacht). Deshalb ist es einfach nicht das Gleiche.

Im Herbst spielst Du Deine nächste Tour. Warum kommst Du diesmal nicht nach Berlin?

Ich weiß nicht! Es ist nur eine sehr kleine Tour mit kleinen Locations. Und die sind fast ausverkauft. So etwas schärft meine Sinne. Es verändert mich. Es… ich weiß nicht. Es tut gut, so eine Tour zu machen und es ist wichtig für mich. Das letzte Mal als ich in Paris gespielt habe waren wir in der Bercy Arena, aber davor haben wir im Cirque d’Hiver gespielt, einem winzigen Zirkus aus dem 19. Jahrhundert. Ich hätte mich bei den Bercy Shows niemals wohl gefühlt, wenn ich nicht vorher im Cirque d’Hiver gespielt hätte. Außerdem ist es eine gute Möglichkeit wieder anzufangen. Als Künstler weiß man bei mir nie, was als nächstes kommen wird.

Ich finde es schön, dass Du Dir das bewahrst. Dass Du Dir die Möglichkeit nimmst, immer wieder zurück in kleine Hallen zu gehen.

Genau! Aber das kommt auch daher, dass ich in Dänemark zum Beispiel niemals in der Lage wäre, eine Arena zu füllen! Das ist die Karriere, die ich habe. Ich kann in München eine große Halle füllen und die in Köln ist viel kleiner. Wenn wir die Locations auswählen, an denen wir spielen, bringt mich das automatisch an bestimmte Orte. Als der Künstler, der ich bin, ist es wichtiger für mich, dass ich in vielen Ländern irgendeine Form von Präsenz habe als eine große in nur ein paar Ländern. Ich möchte an so vielen Orten wie möglich spielen und die Gelegenheit haben, auch an so viele wie möglich zurückzukehren. Das ist es, was ich mache! Ich sage nicht, besorgt mir eine bestimmte Venue und wenn wir genug Tickets verkauft haben komme ich. Das hilft, wenn man die Musik macht, die ich mache und eine Karriere wie meine hat. So ist es mit diesem seltsamen Alternativ-Pop-Ding, es verläuft im Zick-Zack (lacht).

Wir plaudern noch ein wenig. Unter anderem darüber, dass meine Tochter, als sie gerade 1 ½ Jahre alt war eine Phase hatte, in der sie völlig besessen von Mikas Debütalbum „Life In Cartoon Motion“ war. Und ich sage ihm, dass ich es schön fände, wenn er einfach so wie er ist weiter macht, damit auch mein frisch geborener Sohn die Möglichkeit hat, zu seiner Musik aufzuwachsen. Am Ende stehen wir gemeinsam auf und Mika bringt mich zur Tür. Kurz bevor wir uns verabschieden, hält er für einen Moment inne.  „Das ist wirklich ein schönes Kompliment. Weiter machen, damit Deine Kinder zu meiner Musik aufwachsen können.“ Wir schütteln uns die Hand und ich fahre mit dem Fahrstuhl nach unten, ein Lächeln auf den Lippen. Mitunter schafft Mika so etwas auch ganz ohne Luftballons und Konfetti.

Interview: Gabi Rudolph