„Grand Depart“ heißt das neue Album von Fritz Kalkbrenner. Was hinter dem verheißungsvollen Titel steckt, wie viel Arbeit so ein Album ist und ob es sich wirklich um einen Aufbruch handelt, haben wir im Interview mit Fritz erörtert, der uns äußerst sympathisch Rede und Antwort gestanden hat.
Wie fühlt es sich an, ein Album fertig zu haben?
Total gut, aber man ackert ja auch lange daran rum.
Wie lange hast du daran gearbeitet?
Die Frage ist ja, wann fängt die Arbeit genau an und wo wird der erste Stein dafür gelegt? Ich habe mit den ersten Ideen einen Monat nach der letzten Platte angefangen. Das geht immer ganz schön flott. Es ist übertrieben zu sagen, dass so ein Album immer zwei Jahre braucht.
Man hat aber bei dir das Gefühl, die Platten erscheinen gleichmäßig in einem zwei-Jahres Rhythmus. Ist das eher Zufall oder liegt dir das einfach so im Blut?
Ja das ist schon punktgenau so, um ehrlich zu sein. Warum das aber so ist, kann ich gar nicht sagen. Vielleicht kommen da auch die Gesetze des Marktes dazu. Wenn es einem Spaß macht, direkt weiter mit der Musik zu machen, ist das auch völlig okay. Es gibt ja Menschen, die erst mal ein Sabbatical machen müssen (verdreht die Augen), da müsste man dann ja alles ruhen lassen. Wenn einem das gut von der Hand geht, warum soll man nicht direkt weitermachen?
Schreibst du auch, wenn du unterwegs bist?
Ja, es gibt bei mir zwei große Phasen beim Album. Eine lange, lockere Phase wo man Ideen – auch produktionstechnische Ideen – und Fragmente sammelt, das kann dann wirklich überall sein: im Studio, zu Hause, im Hotel, auf Tour. Das geht dann bis man einen Korb mit Ideen voll hat, die bis zu einem gewissen Grad aussaturiert sind. Dann geht es in die zweite, eher strengere Phase, bei der man dann kühl, konzentriert zehn Stunden am Tag im Studio alles ausfeilt und runter meißelt. Da nimmt man dann Stimmen auf und Instrumente und macht die Mischung.
Dann wird es richtig Arbeit?
Das andere ist auch Arbeit, halt etwas locker flockiger, danach bekommt man schon viereckige Augen (lacht).
Dein Album heißt „Grand Depart“. Das ist der Auftakt von der Tour de France und hat ja auch was mit Aufbruch zu tun. Ist das Album für dich ein Aufbruch?
Ja, schon irgendwie. Es ist immerhin mein viertes Album. Wenn man die Tricks und Kniffe kennt, ich weiß das klingt jetzt fies, vielleicht eher wenn man sein Handwerk kennt, läuft man auch schnell Gefahr, dass man das so ein bisschen hin rotzt. So soll das natürlich nicht sein. Deshalb finde ich es ganz gut, ein neues Album auch als Aufbruch und Neustart zu sehen. Mein Großvater war ein großer Rennrad Fan, daher kannte ich den Begriff, der liegt ja nicht so auf der Hand. Das ist schon ein großer Start, es wäre schade, wenn ein neues Album irgendwann nicht mehr diese Wichtigkeit hat. Gibt ja Leute, die das so machen in der Branche, ne (zwinkert)?
Ja aber das hört man dann auch.
Klar, das bekommt man dann schon mit, wenn es so runter geschrammelt ist. Wir nennen jetzt mal keine Namen, man soll ja keine schmutzige Wäsche waschen.
Du hast scheinbar so einen Hang zum Thema Fortbewegung: „Sick Travellin’“, „Ways Over Water“, „Grand Depart“,…
Ja scheint so, gell!? Immer alles in Bewegung. Das ist alles einem großen Masterplan geschuldet (lacht). Ne, so ist es nicht aber vielleicht ist es das, was einen so thematisch umtreibt.
Dein Album klingt nach einem Konzept. Wie wichtig ist das für dich heutzutage?
Bündigkeit? Das ist schon ziemlich wichtig, obwohl das ja anachronistisch und nicht mehr up-to-date ist.
Durch die Digitalisierung ist der Focus mittlerweile sehr stark auf einzelnen Songs und Playlists.
Da bin ich überhaupt kein Fan von. Ich bin jetzt zwar nicht der, der mit dem erhobenen Zeigefinger rumläuft, der sagt so und so müsst ihr das verwerten. Aber es ist schon schade, in meiner Prägungsphase war das alles super wichtig: der erste und letzte Ton, wie ist der Spannungsbogen bei einem Album, wie hat die Titelkette abzulaufen. Das ist alles total wichtig, daher sollte es idealerweise aus einem Guss sein und nicht so ein Stückwerk. Das ist mein kleines Vorrecht als Künstler, das auch immer noch so machen zu dürfen. Ich denke auch, dass es auf offene Ohren stößt, da ich das bisher immer so gemacht habe. Daher finde ich es okay, auch in heutigen Zeiten.
Im Gegenteil, ich finde es nicht nur okay, ich habe viel Respekt davor, wenn man es schafft ein zusammenhängendes Album zu machen und nicht nur eine Aneinanderreihung an Songs. Ich finde es schade, dass Musik oft einfach nur noch so beiläufig konsumiert wird.
Danke, das nehme ich als Kompliment. Da stimme ich dir völlig zu, Musik hat an Wert verloren und ist meistens nur noch ein Rauschen im Hintergrund. Ich finde es super, wenn es noch als Ganzes wahrgenommen wird. Leider fließt der Fluss nur in eine Richtung und ich bin mir ganz sicher, dass wir uns gerade in einem großen Rückzugsgefecht befinden. Wir sind vielleicht die letzte Generation, die das überhaupt noch schätzt.
Ich finde ja schön, dass Vinyl wieder ein bisschen auf dem Vormarsch ist. Man hat zwei Seiten, man muss eine Platte umdrehen. Da ist eine ganz andere Wertschätzung da.
Ja, ich mag zwar auch Vinyl aber ich habe Bedenken, dass es irgendwann ein zu großer Anachronismus wird. Das ist so ein bisschen wie wenn jemand sagt: jetzt machen wir in der Innenstadt wieder Gasbeleuchtung. Weißt du was ich meine? Ich bin sehr gespannt, wie das weitergeht. Ich werde meine Herangehensweise aber nicht mehr ändern. Dann ist es halt so, dass man ein Fossil in seiner Herangehensweise ist. Jeder in seiner Zeit, nur schade für die, die es nicht mehr mitbekommen, wie schön es war. Es ist einfach ein krasser Unterschied, wenn du dir überlegen musst, welche Platte du dir von deinem Taschengeld kaufst und sehr lange überlegst, welche dir wichtiger ist – oder wenn du bei einem Streaminganbieter bist und Zugang zu 10 Jahren fast unbegrenzter Musik hast. Aber wir wollen ja auch keine Heulsusen sein.
Woher holst du deine Inspiration für eine Platte?
Das hängt schon viel mit der Prägung und der Erziehung zusammen. Als 14 -15-jähriger war ich sehr stark von East-Coast Hip Hop geprägt und dem Techno, der hier so in der Stadt war. Als Produzent steigt man dann tiefer in die Materie hinab und schaut sich an, wo der ganze gesampelte Kram herkommt. Man taucht immer tiefer in diesen Soul-Wust ein, bis man da fast zu ersaufen droht. Es gibt Tonnen an alter Musik, die man hat. Ich glaube ich habe hier zweieinhalb Tonnen Vinyl stehen. Zum Glück hat das Gebäude Stahlträger (lacht). Da kann man dann singulär rangehen und sagen, die Marvin Gaye Nummer finde ich geil und diese eine bestimmte Nummer beeinflusst mich. Ich glaube aber eher, dass das so ein bauchschweres Gesamtpaket ist, von dem man am Ende seine Inspiration zieht. Das ist wie so eine Murmel, die sich absetzt und wenn die dann im Laufe der Jahre gefordert ist, spiegeln sich Elemente davon als Stil irgendwo wieder.
Was hat sich für dich von deinem letzten Album zu dem jetzigen verändert?
Ich bin dicker geworden, auch an mir gehen die Zeichen der Zeit nicht vorbei (lacht). Ne, im Ernst, die Auswahl der Studiomusiker zum Beispiel. Wir haben viele Bläser dabei, vor allem tieffrequente Sachen wie ein Susaphone, Streicher haben wir zum ersten Mal. Es gibt zwar einen Anschluss zum letzten Album, ich hoffe aber ich habe mich ein Schrittchen weiterentwickelt. Es gibt Künstler, die sind zwei drei Jahre weg und wenn die dann wiederkommen, gibt es so eine Metamorphose und dann kommen sie mit etwas ganz Anderem und es funktioniert überhaupt nicht. Das bekommt man dann auch selten abgenommen, wenn die Verwandlung zu groß ist. Am schlimmsten ist es noch, wenn es zufällig in so einen Zeitgeist reinfällt.
Du produzierst, du schreibst, du komponierst. Gibt es da eine Vorliebe?
Um dieser ganzen Technoentwicklung Rechnung zu tragen, würde ich über mich sagen, ich bin eher ein Produzent, der singt. Das ist die Gewichtung, die Produktion ist immer wichtiger. Ohne die ist es eine A capella Band.
Man hat aber bei dir das Gefühl, auch anteilig auf der Platte, dass der Gesang immer wichtiger wird. Du singst ja auch mittlerweile live.
Der Anteil ist jetzt auf der vierten Platte definitiv mehr geworden. Am Anfang war ich mit dem Zustand, dass ich jetzt auch noch singe, noch nicht ganz versöhnt. Das ist nach und nach besser und mehr geworden.
Das heißt, du fühlst dich damit jetzt auch wohler?
Ja, da herrscht jetzt Frieden.
Merkst Du sofort bei der Entstehung eines Stückes ob es sich für Gesang anbietet?
Ja, das merke ich ziemlich früh. Bei manchen Stücken ist es ganz schnell klar, dass man es dar gar nicht mit Gesang versuchen muss. Bei den Gesangsnummern an sich, muss dann natürlich noch mal genau gefeilt werden. wie sich das dann darstellt. Grundsätzlich weiß ich das aber ganz schnell.
Wenn du Bläser und Streicher auf dem Album hast, musst du wahrscheinlich für live noch mal ganz schön umbauen? Nimmst du vielleicht mal irgendwann Instrumente mit auf die Bühne, so wie du angefangen hast, live zu singen?
Das ist schon etwas schwieriger, das live darzustellen, am Ende soll das ja immer noch Dancefloor basierte Musik sein. So toll zum Beispiel ein Drummer ist, das gibt dem Ganzen einen anderen Ausdruck. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich nicht vielleicht mal in 10 Jahren mit Musikern auftrete aber noch bin ich nicht so weit. Ich arrangiere die Instrumente noch mal separat, damit man sie dem Live-Kontext näherbringt. Ich mache zum Beispiel ruhigere Parts auf dem Album etwas zackiger.
Im Februar 2017 gehst du auch wieder auf Tour. Wie lange brauchst du in der Vorbereitung?
Schon noch ein ganzes bisschen. Das Album ist zwar da, aber es steht ja sonst noch nicht so viel. Ich habe schon in groben Zügen Gedanken, wie die Show aussehen soll, aber das muss ich noch im Detail ausarbeiten. Das ist allerdings auch nur ein kleiner Teil, dann kommen ja noch Licht, Visuals. Und wenn das steht, geht es in die Blackbox-Halle und dann wird fünf Tage am Stück geprobt, damit das dann auch richtig sitz. Da liegt noch ein Haufen Arbeit vor uns.
Du hast dein Album hier in Berlin aufgenommen. Wie wichtig ist Berlin für dich als Homebase, besonders weil du auf Tour ja immer sehr viel unterwegs bist?
Schon sehr wichtig. Ich bin ja hier geboren und aufgewachsen. Auch wenn sich gerade alles stark verändert, nicht unbedingt nur zum Guten. Aber was soll man machen… ist halt Heimat. Die Menschen haben ja einen starken Hang zu exotischen Orten. Aber ganz ehrlich, vier Tage New York sind zwar toll aber zu Hause bist du dort trotzdem nicht. Es fällt mir kein anderer Ort ein, bei dem ich sage ohhh, da möchte ich aber gerne hin. Am Ende komme ich immer wieder hier hin zurück und hier ist zu Hause.
Interview: Katja Metz