Interview mit Cage The Elephant

Am Nachmittag vor ihrem letzten Konzert der Tour im Berliner Lido treffe ich Brad Schultz von Cage The Elephant zum Interview. Sein Bruder Matt, Sänger der Band, kann leider nicht dabei sein, weil er krank ist und für die Show am Abend seine Stimme schonen muss. „Wir sind am Ende der Tour, da gibt man noch einmal alles“, lächelt Brad, als wir uns setzen. „Wahrscheinlich hat er es ein bisschen übertrieben“. Am Abend, während des Konzertes, verstärkt sich bei mir der Eindruck, dass Brad mit der Einschätzung seines Bruders ganz richtig liegen könnte. Nein, ich habe noch nie jemanden über die Hände seines Publikums laufen, Handstand und Rolle rückwärts machen sehen. Matt Schultz ist eindeutig der ungekrönte König des Stage Diving. Und sein Bruder ist ein verdammt netter Typ. Wir plaudern drauf los.

Schön, dass ihr wieder in Europa seid! Immerhin hat euer Erfolg als Band in England seinen Anfang genommen, bevor man in eurer Heimat von euch Notiz genommen hat.

Ja. 2007 sind wir nach London gezogen und haben dort unseren ersten Plattenvertrag unterschrieben. Wir haben angefangen dort zu touren und haben die Band auf den Live Shows aufgebaut. Sie sind so ein wichtiger Teil der Band. Live zu spielen und mit Leuten zu interagieren ist das Wichtigste und auch das, wofür ich am meisten dankbar bin, dass wir die Möglichkeit haben, zu reisen und unsere Musik zu spielen. Als wir damals zurück in die Staaten gekommen sind, wussten wir nicht, dass alles so groß werden würde, wie es letztendlich passiert ist. Wir wurden im Radio gespielt und es ging richtig los. Erwartet haben wir das nicht.

Wenn man euch heute hört, besonders euer aktuelles Album, klingt ihr auch nicht wie eine typisch US-Amerikanische Rockband. Beeinflusst diese Zeit in Europa euch heute immer noch?

Auf jeden Fall! Wir wären heute nicht die Band die wir sind, wenn wir damals nicht nach England gegangen wären. Die Zeit hat uns nicht nur als Musiker, sondern auch als Menschen geprägt. Wir kamen aus einer Kleinstadt in Kentucky. 60.000 Menschen leben dort. Von dort nach London zu ziehen, das war ein ziemlicher Kulturschock. Da mussten wir erst einmal rein wachsen. Außerdem haben wir dadurch Bands entdeckt, die wir überhaupt nicht kannten, verschiedenste musikalische Stilrichtungen. Ich würde auch nicht sagen, dass uns nur Bands aus der Vergangenheit inspirieren, sondern auch aktuelle, wie Foals zum Beispiel. Auch eine Band wie Gang Of Four, die uns sehr beeinflusst haben, hätten wir niemals kennengelernt, wenn wir nicht nach England gegangen wären.

Was für Musik hört man, wenn man in einer Kleinstadt in Kentucky aufwächst?

Wir hatten nur zwei Radiostationen, einen klassischen Rock Sender und einen College Radio Sender. Also nicht viel mehr als das, was im Radio läuft. Das Internet war damals noch nicht so zugänglich wie heute. Es gab nicht so viele Wege an verschiedene Genre ran zu kommen oder sich wirklich in etwas zu vertiefen. Ich habe damals hauptsächlich Beck, die Rolling Stones und Little Richard gehört. Als Kinder haben unsere Eltern Matt und mich von allem Modernen eher abgeschirmt. Unser Vater war ein großer Beatles Fan. Joe Cocker… solche Sachen haben wir hauptsächlich mitbekommen.

Toll ist, wenn man euch heute hört, dass ihr für mich der Inbegriff von „nicht langweilig“ seid.

Oh, danke!

Und wenn man eure Entwicklung betrachtet fällt auch auf, dass ihr nie verlegen seid, Neues auszuprobieren. Ich mag diese verrückten Bläser auf eurem neuen Album.

Eins meiner Lieblingszitate ist von Miles Davis, aus der Zeit als er „Bitches Brew“ aufgenommen hat. Man hat ihn damals gefragt, wohin er mit seinem neuen Album möchte und er hat nur gesagt: „Nach vorne.“ Das hat sich mir eingeprägt. Wir möchten natürlich immer die Band sein, die wir sind, die gleichen Mitglieder, aber wir versuchen, Wege, die wir einmal gegangen sind, möglichst nicht zweimal zu gehen. Manchmal ist es schwierig, aber es ist eine Herausforderung. Vor allem wenn es darum geht, Klanglandschaften neu auszuloten. Ich finde, dass Bands das heutzutage nicht besonders oft tun. Oder nicht genug, sollte man vielleicht sagen. Wir sind da ziemlich festgefahren, was als akzeptabler Sound gilt. Manchmal muss man darüber einfach hinaus gehen, Neues wagen. Deswegen haben wir uns für die Bläser auf dem Album entschieden. Man hört nicht oft, dass Bläser auf eine punkige Art eingesetzt werden. Wir wollten nicht einfach nur Bläser auf dem Album haben, wir wollten sie manipulieren, auseinander nehmen. So, dass sie kaum mehr zu ertragen sind (lacht).

Dazu aber ein eingängiges, fast poppiges Songwriting. Spannende Kombination, finde ich.

Ja, in diesem Punkt halten wir es gerne mit den Beatles. Sie waren Meister darin, handwerklich perfekte Songs zu schreiben, die gleichzeitig völlig unvorhersehbar waren. Das beeinflusst uns sehr. Ich denke, es ist nichts Schlechtes daran, einen guten Song zu schreiben. „Pop“ verkommt so oft zu einem bösen Wort in der Musik. Jeder denkt dann automatisch an Justin Bieber oder Britney Spears. Aber in Wirklichkeit haben die besten Bands der Welt großartige Popsongs geschrieben. Es geht letztendlich um die Qualität der Produktion. Und wenn man es genau nimmt, bedeutet Popmusik nichts weiter als populäre Musik. Mit den Jahren ist der Begriff zu einer Marke, einer seltsamen Definition geworden. Ich schreibe gerne Songs, die den Leuten im Ohr bleiben.

Und dann habt ihr euer Album „Melophobia“ genannt. Ich musste googlen, da ich noch nicht einmal wusste, dass so etwas existiert, aber Melophobie bedeutet: krankhafte Angst vor oder Hass auf Musik. Wie furchtbar!

Schrecklich, oder? Das darf man auf uns bezogen aber nicht wörtlich nehmen. Wir haben nicht wirklich Angst vor Musik (lacht). Aber es war schon so, dass wir unbewusst einen gewissen Druck gespürt haben, mit unserer Musik ein Image vertreten zu müssen, erklären zu müssen wer wir als Band sind. Den Druck, als intellektuell bezeichnet zu werden, oder, im klassischen Sinne als „credible“, glaubwürdig. Da kann man es beim Song schreiben schon mal mit der Angst bekommen. Wenn es doch eigentlich nur darum gehen sollte, Musik zu machen, weil man sie liebt. Musik ist ursprünglich als Kommunikationsmittel entstanden, als Mittel, Menschen miteinander zu verbinden, das gerät zunehmend in den Hintergrund. Und die Angst davor muss man sich immer mal wieder bewusst machen, damit man sie überwinden kann.

Interview: Gabi Rudolph