Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen
Regisseur Tarsem Singh („The Cell“) kann zwar das Grimm’sche Märchen von Schneewittchen nicht neu erfinden, aber dafür umso knallbunter und mit viel mehr Wortwitz auf die Leinwand bringen. Also Sonnenbrillen auf, denn hier blitzt und funkelt es nur so vor protzigen Diamanten, fantastischen Bilderwelten, üppigen Roben in den lebhaftesten Farben und dazu gesellen sich ein ums andere Mal erhellende, wortwitzige Momente. Für diese sorgt im Besonderen die cholerisch biestige Königin, gespielt von der sonst so dauergrinsenden Julia Roberts („Erin Brockovich“).
„Mich hat fasziniert, dass es sich bei der Königin um eine gespaltene Persönlichkeit handelt. Wir sehen die Königin einerseits, wie sie im täglichen Leben erscheint, andererseits sehen wir sie als Spiegelbild, und die Gestalt im Spiegel ist ruhiger und selbstbewusster. Sie hat die Kraft und das Selbstvertrauen, das der Königin im echten Leben abgeht.“ (Julia Roberts über ihre Rolle)
Mit ihrer Einmannshow lässt sie kein Quäntchen Platz für das junge Mädchen mit der Haut, so weiß wie Schnee und dem Haar, so schwarz wie Ebenholz (Lily Collins, „Blind Side – Die große Chance“). Doch nachdem, angestachelt von der gutmütigen Bäckerin Margaret (Mare Winningham, „Brothers“), sich das gerade 18 Jahre alt gewordene Schneewittchen zum ersten Mal gegen die Stiefmutter aufzulehnen erlaubt, soll sie sofort von dem speichelleckenden Diener Brighton (Nathan Lane, „The Producers“) ermordet werden. Denn neben Gesichtsfalten und gähnender Leere in der royalen Geldbörse kann die Königin im Moment am wenigstens ertragen, dass nun auch noch der auserwählte Prinz Andrew Alcott (Armie Hammer, „The Social Network“) ein Auge auf das jugendlich frische Schneewittchen geworfen hat. Brighton kennt jedoch im Gegensatz zu seiner Vorgesetzten ein Pardon und überlässt das arme Ding im Wald seinem Schicksal. Da dort ein fieses Ungeheuer sein Unwesen treiben soll, glaubt selbst er nicht an ein langes Überleben. Aber da kommen schon die 7 Zwerge ins Spiel. Napoleon, Romeo, Mampf, Grimm, Wolf, Grummel und Grins nehmen Schneewittchen bei sich auf, bringen ihr u.a. das Kämpfen bei und schnell steht der Plan zusammen die böse Königin zu stürzen und das Herz des Prinzen zu erobern.
Auch wenn „Spieglein Spieglein“ sehr deutlich macht, dass es sich hierbei um einen Kinderfilm handelt – Dialoge und Konflikte sind stets darauf ausgerichtet – kann man sich als Begleitung an dem herausragenden Ideenreichtum erfreuen. Ob die Gestaltung eines Balls, bei dem es Statuen von sich aufbäumenden, übergroßen Marmoreinhörnern gibt und Schneewittchen mit einem pompösen Schwan als Kopfbedeckung den Prinz auf sich aufmerksam machen kann (Kostümdesignerin Eiko Ishioka führte bereits bei dem außergewöhnlichen Musikvideo „Cocoon“ von Björk Regie) oder auch die 7 Zwerge, die sich als Diebe auf ausfahrbaren Stelzen versuchen: die innovativen Einfälle scheinen schier endlos gewesen zu sein.
Nichtsdestotrotz schoss man bei der modernen Märchen-Interpretation auch oftmals über das Ziel hinaus. Zu den unnötigen Übertreibungen gehören definitiv Armie Hammer als stumpfsinnig sabbernder Schoßhund der Königin sowie das grottenschlecht animierte Monster. Und wo ist überhaupt der vergiftete Apfel abgeblieben? Man kann nur gespannt sein, wie sich die weitaus düstere Schneewittchen-Verfilmung „Snow White and the Huntsman“ machen wird, ob es bei diesem Werk ermöglicht wird, dass sich nicht nur Kinder auf allen Ebenen gut unterhalten fühlen.
Kinostart: 05. April 2012
Gesehen von: Hella Wittenberg