Gesehen: „Sound of Metal“ von Darius Marder

Es ist der absolute Alptraum – von einem Moment auf den anderen, kurz vor dem Soundcheck, verliert Schlagzeuger Ruben einen Großteil seines Gehörs. Ein auf Tour aufgesuchter Arzt überbringt ihm die niederschmetternde Diagnose, dass der Verlust dauerhaft ist. Nur knapp 25 Prozent Hörleistung bleiben ihm auf beiden Ohren, diese aber auch nur, wenn er sofort jegliche Geräuschbelastung einstellt. Ruben, unfähig sich der Realität zu stellen, spielt noch ein weiteres Konzert, bis ihm bewusst wird, dass sein Leben nicht mehr das sein wird, das er sich in den letzten Jahren aufgebaut hat.

Gemeinsam mit seiner Freundin Lou bildet er das Noise-Rock-Duo Backgammon, als das sie gemeinsam in einem Wohnmobil durch die USA reisen und Konzerte spielen. Die beiden versuchen, einen gesunden Lebensstil zu pflegen, zum Frühstück gibt es selbstgemachte Smoothies. Als ehemaliger Heroinabhängiger ist es Ruben, auch dank Lous Hilfe und der gemeinsamen Liebe zur Musik, nun seit vier Jahren gelungen, clean zu bleiben. Lou, die sieht wie sehr der grauenvolle Schicksalsschlag Ruben zusetzt, interveniert sofort. Sie besteht darauf, den Rest der Tour abzusagen, während sein Sober-Buddy Ruben eine Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für gehörlose Abhängige verschafft. Joe, ein gehörloser Vietnamveteran der die Einrichtung leitet, macht zur Bedingung für die Aufnahme, dass Ruben jeglichen Kontakt zur Außenwelt einstellt. Als dieser sich weigert, vor allem den Kontakt zu Lou aufzugeben, kehrt sie fluchtartig in ihre Heimat Paris zurück und zwingt ihn dadurch, den Platz in der Wohngemeinschaft anzunehmen. 

Dort muss Ruben sich erst einmal seiner großen Aufgabe stellen: anzunehmen, dass er gehörlos ist und mit dieser Einschränkung einen neuen Platz in der Welt zu finden. In der Gemeinschaft fühlt er sich anfangs als Außenseiter, bis er die Gebärdensprache lernt und es schafft, mit seiner Wut umzugehen. Für Gruppenleiter Joe ist es wichtig, dass seine Schützlinge Taubheit nicht als Behinderung ansehen, sondern als etwas, mit dem man sich arrangieren und trotzdem ein gutes Leben führen kann. Ruben hingehen sieht seinen Aufenthalt in der Gemeinschaft, obwohl er sich immer besser integriert, als Übergangsstation. Er verkauft seinen gesamten Besitz, inklusive seines Schlagzeugs, Aufnahme-Equipment und seiner Heimat, dem Wohnmobil, um sich einer radikalen und kostspieligen Operation zu unterziehen. Vom Einsatz beidseitiger Cochlea-Implantate verspricht er sich ein Wiedererlangen seiner Hörfähigkeit und damit eine Rückkehr in sein altes Leben. 

„Sound of Metal“, das Spielfilmdebüt von Darius Marder (er schrieb das Drehbuch zu „The Place Beyond The Pines“, wurde im schwierigen Filmjahr 2020 auf zahlreichen Festivals gescreent und ausgezeichnet. Viel Augenmerk lag dabei (zu Recht) auf Hauptdarsteller Riz Ahmed, der als Ruben eine vielschichtige, unter die Haut gehende Darbietung liefert. Dass Ahmed auch als Coproduzent fungierte, verdeutlicht noch einmal mehr, dass „Sound of Metal“ voll und ganz sein Film ist – am Ende sogar ein kleines bisschen zu sehr. Den Hauptteil des Films bestimmt Rubens Suche nach einer neuen Identität als Gehörloser. Wir sehen ihn, wie er selbst die Gebärdensprache lernt, wie er an einer Schule für gehörlose Kinder aushilft, wie er sich der von Joe auferlegten Aufgabe stellt, seine Wut niederzuschreiben. Das ist alles sehr gut erzählt, spannend inszeniert und herausragend gespielt. Was aber mehr und mehr zu kurz kommt, ist die Bedeutung von Rubens persönlicher Geschichte. Die zu Anfang etablierte Welt, die er sich als Musiker aufgebaut hat, seine Identität als Schlagzeuger, spielt auf die Dauer eine zu untergeordnete Rolle. Was bedeutet der Verlust des Gehörs besonders für einen Musiker? Bis auf eine kurze Szene, in der Ruben in seinem im Wald abgestellten Wohnmobil verzweifelt auf sein Schlagzeug eindrischt, setzt der Film sich mit dieser Frage wenig auseinander. Das gleiche Schicksal ereilt leider Rubens Freundin Lou. Olivia Cooke lässt anfangs erahnen, dass sie ihre Figur ebenso intensiv durchdrungen hat wie Riz Ahmed seinen Ruben. Viel zeigen darf sie davon aber leider nicht. Auf diese Weise verkommen die zwei ursprünglich wichtigsten Motive, die Musik und die Liebesbeziehung, zu Vehikeln, deren bloße Aufgabe es scheint, Rubens Geschichte auf den Weg zu bringen. Sie tragen zwar zu seiner Entscheidung bei, sich der schwierigen Operation zu unterziehen, aber auch die finale Wiedervereinigung mit Lou kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es hier doch sehr auffällig nicht um sie geht. 

Das ist aber auch der einzige Kritikpunkt, den man „Sound of Metal“ ankreiden kann, und auch dieser setzt sich erst nach einer Weile durch, wenn man den Film ausgiebig verarbeitet hat. Rubens Erkrankung, sein Weg zur neuen Identität und die schwere Entscheidung, die der Verlauf der Operation mit sich bringt, sind von Anfang bis Ende packend erzählt, einige Szenen sind in ihrer Intensität herzzerreißend. Es bleibt nur ein wenig der bittere Nachgeschmack zurück, dass der männliche Held hier kompromisslos im Mittelpunkt steht.

Dabei ist der eigentliche Hauptdarsteller des Films das wahrhaft meisterhafte Sounddesign. Es nimmt einen immer wieder mit in Rubens Welt und wirkt in seinem Realismus wie ein Schlag in die Magengrube. Man nimmt sein Gehör doch meist als etwas Selbstverständliches hin. Wie schmerzhaft der Verlust sein muss, macht „Sound of Metal“ auf kompromisslose und eindrucksvolle Weise deutlich. 

„Sound of Metal“ ist als Stream auf Amazon Prime verfügbar.