Gesehen: „Nymph()maniac 1“ von Lars von Trier

Mit Filmen von Lars von Trier ist es manchmal wie mit manchem Essen: Während man konsumiert, kann man gar nicht genug davon bekommen, der Genuss scheint perfekt, aufhören möchte man nicht. Aber später kann es passieren, dass sich plötzlich ein ungutes Gefühl im Magen breit macht. Für die nahezu perfekte Unterhaltung zahlt man schon mal mit Bauchschmerzen.
Fakt ist: Mit seinen Frauenfiguren ist Lars von Trier noch nie besonders zimperlich umgegangen. Sie nehmen einen schonungslos in ihren Bann, aber gleichzeitig möchte man sie bei den Schultern packen und zur Umkehr zwingen. Und die Moral von der Geschicht? In „Breaking The Waves“ lässt eine Frau sich zu Tode vergewaltigen, dafür kann ihr geliebter Mann am Ende wieder gehen – und für sie läuten die Kirchenglocken, wo eigentlich keine sind. Seine Bess in „Dancer In The Dark“ läuft, um ihrem Sohn eine Augenoperation zu ermöglichen, so bereitwillig in den Tod, dass man ihr am liebsten ein Bein stellen möchte. Gut, dann gibt es da noch die Grace in „Dogville“. Die lässt alle Demütigungen geduldig über sich ergehen, weil sie weiß, am Ende sitzt sie am längeren Hebel. Aber soll man sich gut dabei fühlen, wenn am Ende auch die Unschuldigen sterben müssen? Neulich blieb mir bei einem sehr leckeren syrischen Essen ein Stück Lammfleisch im Hals stecken und wollte sich für wenige Sekunden weder vor noch zurück bewegen. Ungefähr so fühlt sich das an. Als eher zartbesaitete Kinobesucherin machte ich um von Triers „Antichrist“ von vorne herein einen Bogen. Ein Kind stürzt aus dem Fenster, während es seine Eltern beim Sex beobachtet hat? Eine Frau schneidet sich mit der Schere die eigene Klitoris ab? Nein danke, doch lieber ohne mich.
Vor allem, da die Illusion, die Lars von Trier in seinen Filmen schafft, filmisch so perfekt und dadurch so unentziehbar ist, sollte man sich gut überlegen, welche Geschichten man sich von ihm erzählen lässt. Nun widmet er sich in seinem neuesten Werk der Lebensgeschichte einer selbst diagnostizierten Nymphomanin. Der Stoff bietet genug Falltüren für von Triersche Abgründe und Grausamkeiten. Aber, wieder einmal ist es auch ein Thema, an dem man kaum ohne Interesse vorbei kommt.

In einer kalten Nacht findet der Junggeselle Seligman (Stellan Skarsgård)auf der Straße eine Frau (Charlotte Gainsbourg), die offensichtlich zusammen geschlagen wurde. Ins Krankenhaus möchte sie nicht, aber eine Tasse Tee hätte sie gern, und so nimmt Seligman sie zu sich mit nach Hause. Sie sei ein schlechter Mensch sagt sie, als sie beginnt, ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Mit zwei Jahren habe sie zum ersten mal ihre Vagina entdeckt. Als Kind gab sie sich mit ihrer besten Freundin ersten lustvollen Spielen hin, wie dem Rutschen über den feuchten Badezimmerboden mit hochgezogenem Röckchen. Der Verlust der Jungfräulichkeit erfolgte im Alter von 15 mit eher mathematischer Kühle – drei Stöße in die Vagina, fünf in den Arsch, so berichtet die Frau namens Joe. Die abschreckende Wirkung hält nicht lange vor, bereits kurze Zeit später wird für die junge Joe (Stacy Martin)Sex zum Spiel mit der besten Freundin, wenig lustbetont wird um eine Tüte Süßigkeiten gewettet, wer auf einer Zugfahrt mehr anonyme Sexpartner hat. Später spielt dann doch auch noch die Lust eine Rolle, sie wird zur Jagd nach dem nächsten Orgasmus und hier setzt auch eine absurde Komik ein, wenn es zum Beispiel darum geht, die diversen Liebhaber zu überblicken, zu kategorisieren und zu organisieren. Oder wenn plötzlich eine verlassene Ehefrau (großartig: Uma Thurman) mitsamt ihren Kindern in der Wohnung steht und für Ehemann, Geliebte und den bereits erscheinenden nächsten Liebhaber Tee kocht.
„Die geheime Zutat beim Sex ist die Liebe“, sagt die beste Jugendfreundin, als die Wege sich scheiden, unweigerlich. Denn Joe ist nicht bereit zurückzurudern, sie will mehr, sie sucht bewusst den Sex ohne Liebe. Und trotzdem spricht sie auch zärtlich von manchen ihrer Liebhaber. Nicht alle wurden blind gewählt, manchen wird das Privileg zuteil, bestimmte Rollen zu erfüllen und dafür werden sie, in dem für Joe möglichen Maß, wenn auch nicht geliebt, so zumindest doch respektiert.
Am Ende von Teil eins geht es dann doch noch um die Liebe. Sie zeigt sich in Form von Jerôme (Shia LaBeouf), dem einstigen unsentimentalen Entjungferer. Er kehrt mit einer von Zufällen geprägten Kontinuität in Joes Leben zurück, die Seligmann sogar aufmerken lässt, sie sei unrealistisch. Und in der finalen Sexszene sieht es wirklich so aus, als wäre sie endlich da, die geheime Zutat, die Liebe. Aber mit ihr kommt der Orgasmus abhanden. Joe ist verzweifelt.
Lars von Triers erster Teil von „Nymphomaniac“ ist intelligent, unterhaltsam, in erträglichem Maße provokant, künstlich und naturalistisch zugleich. Und, endlich scheint von Trier eine Frauenfigur gefunden zu haben, mit deren Weg man sich zwar selten identifizieren kann, die man aber trotzdem mag, über die man sich nicht permanent ärgern muss. Ihre Sucht geht sie pragmatisch und gleichzeitig selbstbestimmt an, nur selten empfindet man sie als Opfer ihrer selbst. Aber, ein finales Urteil soll nicht fallen, denn Teil 2 steht noch aus.

Gesehen von: Gabi Rudolph

Kinostart: 20. Februar 2014