Noch nie hat es so viel Spaß gemacht, geheilt zu werden
Auf den ersten Blick mag das dritte Werk der Amerikanerin Tanya Wexlers „In guten Händen“ wie ein typischer Kostümfilm daherkommen. Ein Titel wie bei Jane Austen, das Cover zeigt ein Zwiegespräch der Augen zwischen einem Kotelettenträger und einer Frau im altmodischen Gewand. Soweit, so langweilig. Doch richtig interessant macht die ganze Chose erst der unterhaltsame Einsatz der Technik als Wunderheilmittelchen für die geplagte Frau des 19. Jahrhunderts.
Der Arzt Mortimer Granville (Hugh Dancy, „Shopaholic – Die Schnäppchenjägerin“) arbeitet sich wie ein Berserker von Praxis zu Praxis. Langfristig möchte man als Chef den leidenschaftlichen jungen Mann jedoch nicht in seiner Nähe haben, immerhin spricht er unaufhörlich von Problematiken wie der Keimtheorie und kuriosen neuen Behandlungsmethoden. Denn es wird das Jahr 1880 näher beleuchtet und damit auch der schamhafte Gipfel der englischen Prüderie. Nur Dr. Robert Dalrymple (Jonathan Pryce, „Fluch der Karibik“) nimmt Mortimer mit Kusshand. Sein Wartezimmer zeigt sich stets gut gefüllt mit Frauen jeglicher Fasson. Ob verstimmte Opernsängerin oder alte Witwe, sie alle leiden unter dem zur viktorianischen Zeit weit verbreiteten Phänomen: Hysterie. Diese präsentiert sich u.a. in Melancholie, Impertinenz, Aggression oder beispielsweise auch in dem Begehr als Frau wählen gehen zu können. Um dem Üblen den Garaus zu machen, setzt der Doktor auf medizinische Massagen der Geschlechtsorgane bis hin zur Verkrampfung – solch ein Vorgang hat für den Experten natürlich keineswegs etwas mit der sexuellen Befriedigung der Frau zu tun. Nach anfänglicher Skepsis lässt sich Mortimer mit neu gefasster Arbeitslust auf seine Aufgabe ein – schließlich schlägt sein Herz auch bei der vielbegabten Doktorentochter Emily (Felicity Jones, „Cemetery Junction“) höher. Wenn er sich also nicht allzu dumm anstellt, hat er neben einem angesehenen Posten bald auch eine Ehefrau an seiner Seite. Aber so leicht soll es der Idealist nun auch wieder nicht haben: die Hände schmerzen unaufhörlich und auch die Gedanken bleiben allmählich immer öfter bei der Schwester Charlotte (Maggie Gyllenhaal, „Crazy Heart“) hängen. Sie engagiert sich im Armenviertel der Stadt und für die Frauenrechte im Allgemeinen. Das Blatt scheint sich erst zu wenden als Mortimer eine technische Innovation mithilfe seines Freundes, dem reichen Wissenschaftler Edmund St. John-Smythe (Rupert Everett, „Ein Freund zum Verlieben“) auf die Beine stellt und damit die Frauenwelt ins Staunen bringt.
„In guten Händen“ ist eine gut gemeinte romantische Komödie mit historischer Grundlage. In 100 Minuten wird die Erfindung des Vibrators mit einer moderner und technisierter werdenden Welt sowie der Emanzipation der Frau inVerbindung gebracht. Dass das mehr als genügend Stoff für Situationskomik liefert, liegt auf der Hand und die Regisseurin Tanya Wexler nimmt alles mit – so gibt es zum Bespiel eine Art Gynäkologenstuhl mit Samtvorhang als Praxismobiliar zu beschmunzeln. Maggie Gyllenhaals Charakter, Charlotte, hingegen stellt die ernstere Seite des Themas und zugleich den Fortschrittsgedanken meisterhaft dar. Sie kämpft dafür eine Stimme im Volk haben zu können ohne sofort als hysterisch bezeichnet zu werden. Noch heute hört man den Spruch „Nun werd mal nicht gleich hysterisch“ nur allzu oft. Dieser Film blickt auf eine Zeit, wo Hysterie ein anerkanntes Krankheitsbild war und öffnet damit sogleich die Augen darauf wie urfalsch solch ein Satz ist. Es handelt sich zwar um ein delikates Thema, aber ohne je mit dem Humor unter der Gürtellinie punkten zu wollen. Das ist der große Vorteil von „In guten Händen“, der seinen Erfolg schlussendlich mit einer Prise Liebe nur noch abzurunden weiß.
„Mir werden pro Woche rund 100 Drehbücher geschickt, und dieses landete anfangs sogar im Spam-Ordner meines Email-Programms. Doch als ich es dort entdeckte, hatte ich aus irgendeinem Grund den Impuls, die Mail zu öffnen. Und schon auf der ersten Seite wusste ich, dass ich bei diesem Projekt dabei sein wollte […]. Die Geschichte ist brillant und bringt einen schon auf eben dieser Seite zum Lachen. 100 Seiten weiter lacht man immer noch, aber bis dahin rührt sie einen auch, verzaubert einen mit ihrer Romantik und eröffnet neue Perspektiven. Ich war mir gleich sicher, dass sich das heutige Publikum davon angesprochen fühlen würde.“ (Judy Cairo, Produzentin)
VÖ: 22. Dezember 2011
Gesehen von: Hella Wittenberg