Gesehen: „Cosmopolis“ von David Cronenberg

Berlin, 31. Mai 2012. Das Kino International ist nur spärlich beleuchtet. Doch an die 100 Menschen lassen es sich trotzdem nicht nehmen, wie Fliegen dem wenigen Licht so nah wie möglich zu kommen. Selbst der leichte Nieselregen hält sie nicht ab sehnsüchtig an den Anfang des sich mit Wasser vollsaugenden roten Teppichs zu starren. In der Hand halten einige Fotografien, auf denen ein Mann frontal abgebildet ist. Sitzend hat er die Hände im Schoss zusammengelegt, die teuer wirkende silberne Uhr gut sichtbar. Die Krawatte beherrscht den gut gebügelten Anzug, sein Blick ist gesenkt und eine Lichtquelle hinter ihm bestrahlt im besonderen Maße seine rechte Gesichtshälfte. Dieses Bild soll heute noch mehrmals unterzeichnet werden. Von dem Abgebildeten, dem 26-jährigen Schauspieler Robert Pattinson („Twilight“), und dem Regisseur, David Cronenberg („Eine dunkle Begierde“), des dazugehörigen Film „Cosmopolis“.

Nach der Vorstellung des Werkes am 25. Mai auf den Filmfestspielen in Cannes ist dies eine weniger glamouröse Premierenveranstaltung. Auch Prominenz lässt sich kaum blicken an diesem gräulichen Vorsommertag. Ist nicht genau das die richtige Befeierung des nun zu betrachtenden Films?

„Ich will mir die Haare scheiden lassen.“

„Der Präsident ist in der Stadt.“

„Uns doch egal. Wir müssen uns die Haare schneiden lassen. Wir müssen einmal quer durch die Stadt.“

„Da stoßen Sie auf Verkehr, der sich in halben Zentimetern äußert.“

„Nur damit ich Bescheid weiß. Von welchem Präsidenten ist die Rede?“

Ein Dialog wie er nur aus einem Don DeLillo Roman entstammen kann. In diesem Fall aus dem 2003er Werk „Cosmopolis“. Darin geht es zunächst nur um eine Sache: das Haare schneiden, am anderen Ende der Stadt. An einem Tag im April 2000, wo in New York neben dem Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten, einer Globalisierungsdemonstration auch die Trauerparade eines verstorbenen Rappers für verstopfte Straßen sorgt. Doch wie auf einem futuristischen Thron in seiner lärmisolierten Limousine sitzend stört dieses Chaos Eric Packer, einem zynischen Spekulanten der New Economy, herzlich wenig. Genauso wenig, dass ein Anschlag auf ihn geplant ist, wie ihm sein Sicherheitschef mitteilt. So vertreibt er sich den Tag mit sexuellen Begegnungen, einem gründlichen Gesundheitscheck sowie Gesprächen über Philosophie, Wirtschaft und seiner Ehe mit der frischgebackenen Ehefrau selbst. Nur tritt er auch im Laufe des einen Tages aus seiner Sicherheitszone hinaus und lässt es schließlich auf einen Zweikampf mit dem möglichen Attentäter ankommen.

Eine Verfilmung solch beschwerlicher wie gekonnter Prosa ist im ersten Moment unvorstellbar. Wie soll es möglich sein die widerspenstigen Wortgefechte, die sich größtenteils in nur einem engen, dunklen Raum abspielen, in eine adäquate Filmdauer und schluckbare Bilder umzuwandeln? Die verständliche Antwort darauf ist Regisseur David Cronenberg. Nach Adaptionen von Werken wie beispielsweise William S. Burroughs „Naked Lunch“ und „Spider“ von Patrick McGrath drängt sich sein Name förmlich auf. Auf der Premiere betont der Regisseur und Drehbuchautor:

„Ich habe schon viele Adaptionen gemacht und man kommt an den Punkt, an dem man versteht, welcher Teil für die Literatur und welcher für das Kino geeignet ist. Es ist nicht die gleiche Sache.“

Diese Selbstsicherheit sollte auch dem Hauptdarsteller Pattinson zugute gekommen sein, der sich nun endlich freispielen möchte von dem Teenie-Image. Mit „Remember Me“, „Wasser für die Elefanten“ oder auch „Bel Ami“ konnte er zwar namhafte Darsteller an seiner Seite wissen, funktionieren wollte aber keiner dieser Streifen voll und ganz. Auch „Cosmopolis“ wartet mit einem wuchtigen Ensemble auf: Juliette Binoche („Caché“) als Packers Gespielin, Mathieu Amalric („Schmetterling und Taucherglocke“) – der Tortenkünstler, der nerdige Angestellte Jay Baruchel („Million Dollar Baby“), Kevin Durand („Real Steel“) als Sicherheitschef mit dem skurrilen Namen Torval, Samantha Morton („Control“), eine Theoretikern Packers, Sarah Gadon („Eine dunkle Begierde“) als Sex riechende Ehefrau und dazu noch der kranke Attentäter Paul Giamatti („Sideways“). Was die Schwierigkeiten der Verfilmung eines solchen Romans, die 5 Minuten Ruhm eines jeden Beteiligten in dem begrenzten Spielraum einer Limousine betrifft, wurde der rote Faden tatsächlich durch die rhythmischen Dialoge gefunden. Darauf angesprochen erklärten die bei der Premiere Anwesenden die musikalische Annäherung an den Film:

Robert Pattinson: „Etwas an der Struktur und an den Sätzen fühlte sich wie ein Songtext an. Ich mochte diesen Gedanken schon bevor ich überhaupt wusste worum es dabei geht. Es ist wirklich wie Poesie, wie Musik. Es funktioniert genauso.“

David Cronenberg: „Ich mache mir über spezifische Musik dann Gedanken, wenn Szenen zum Beispiel um eine bestimmte Musik herum angelegt sind. Die meiste Zeit spiele ich auch keine Musik am Set. Aber für manche Szenen tue ich es doch, wenn ich schon genau weiß, dass diese Musik auch im Film sein wird. Es ist auf jeden Fall wahr, man findet eine eigene Rhythmik in jeder einzelnen Szene. Das ist schon wie etwas zu komponieren, weil der Rhythmus wie Musik funktioniert. In dem Film ist das Besondere der Klang der Dialoge und die Schauspieler näherten sich dem durch eine Art Gesang an.“

Und so sind am Endes dieses Abends nicht nur die Menschen zufrieden, die ein Autogramm oder Foto erhaschen konnten, sondern auch die Zuschauer des klaustrophobisch anmutenden Films. Möchte man vorschnell werten, wenn man hört, dass Cronenberg in seinem Drehbuch ganze Dialoge eins zu eins übernommen hat, so verlässt eine solche Verurteilung nicht die Lippen im Angesicht der Wucht des Gesehenen. Gerade die letzte Szene mit Paul Giamatti, der den langen Monolog in einem Stück einsprach und nur ein Take benötigte, macht sprachlos bei solch hoher Kunst. Die Kritik DeLillos an Börsenspekulationen und einem Verlust von Millionen wird nur allzu klar auf den Punkt gebracht in den 108 Minuten. Dazu schleppt sich Pattinson ohne eine Miene zu verziehen durch Prostatauntersuchungen, Sex-Eskapaden, Krawalle und Waffenschau. Somit sollte es niemanden verwundern, dass er auch schon für den nächsten Film „Maps to the Stars“ des Regisseurs vorgemerkt wurde.

Kinostart: 05. Juli 2012

Gesehen von: Hella Wittenberg