Das Nirvana Konzert der „In Utero“ Tour am 03.03.1994 in der Offenbacher Stadthalle wurde damals kurzfristig abgesagt. Kurt Cobaine habe gesundheitliche Probleme. Da hatte ich noch Hoffnung. Einen Tag später, am 04. März wurde er in seinem Hotelzimmer in Rom bewusstlos von seiner Frau Courtney Love aufgefunden. Die restlichen Konzerte der Europa Tour wurden abgesagt. Da kamen mir die Tränen, die Hoffnung schwand. Am 05. April rief mich mein bester Freund an und sagte mir, dass sich Kurt Cobain erschossen habe. Dieses Mal heulte ich wie ein Schlosshund. Der Gedanke, dass ich nun niemals Nirvana live sehen würde, brach mir das Herz. Ziemlich genau 21 Jahre später kommen mir wieder die Tränen. Ich sitze im Kino und schaue mir „Cobain: Montage Of Heck“ an – die Dokumentation über Kurt Cobain des Regisseurs Brett Morgen.
Er ist der einzige Filmemacher, der Zugang zu dem Archivmaterial mit Kurt Cobains Hinterlassenschaften erhalten hat. Mit über 200 Stunden Musik und Videos, 4.000 Seiten Notizen, Skizzen, Songbüchern und Kunstwerken. Minutiös hat Kurt seine Gedanken, seine Ängste und seine Wahnvorstellungen dokumentiert. In mühevoller Kleinarbeit arbeitet Morgan das Material durch und ordnete es chronologisch. Eines der zahlreichen Mix-Tapes mit dem Titel „Montage Of Heck“ („Collage aus der Hölle“) ist die Offenbarung, der rote Faden, der alles zusammen führt. Er wird zu Cobains Geschichte, die so bisher noch nicht erzählt wurde. Brett Morgen sagt in einem Interview, dass es nur drei Stundendauerte, die Story zu Papier zu bringen, nachdem er das ganze Material gesichtet und sortiert hatte, so klar hatte er plötzlich alles vor Augen.
Fernab von einer reißerischen Dokumentation ist ihm ein sehr emotionales Werk gelungen, das mit sehr viel Sensibilität und Gespür dem Andenken Cobains respektvoll gerecht wird. Dank Kurts Tochter Frances Bean, die den Film mitproduziert hat, gelingt es Morgen, Zugang zu Cobains engstem Kreis zu erhalten. Zu Menschen, die ihn gut kannten. So gut es eben ging. Brett Morgen lässt einen an den Gedanken Cobains teilhaben, durch Interviews mit Eltern, Verwandten, Freunden, Cobains Witwe Courtney Love sowie seinen musikalischen Weggefährten (außer Dave Grohl). Es ist fast so, als erlebe man alles durch Cobains Augen, von Kindheit an. Die Geschichte eines zerbrochen Menschen, der mit sich und der Welt hadert, auf der ewigen Suche nach Liebe und Anerkennung. Der sich schon als Kind von seinen Eltern und Freunden abgelehnt fühlt. So genial und doch so verloren. Der ständige Schrei nach Aufmerksamkeit und geliebt werden. Als er diese Aufmerksamkeit mit seiner Band Nirvana dann bekommt, möchte er nur noch eins: in Ruhe gelassen werden.
Einen tieferen Einblick in das Leben dieses legendären Frontmannes könnte man kaum bekommen. Tiefer als es einem an mancher Stelle lieb ist. Man fängt an diese rastlose Seele, die immer auf der Suche war zu verstehen, man leidet förmlich mit, auch wenn dabei der Mythos Kurt Cobain zu bröckeln beginnt. Man versteht nun auch, woher die Intensivität der meisten Nirvana Songs kommt, es sind Gefühle, die ganz, ganz tief sitzen. Selbst zu Courtney Love bekommt man auf einmal Sympathien. Sie schien der einzige Mensch zu sein, der jemals Zugang zu Cobain hatte. Wenn auch meist im Drogenrausch, in einer ganz eigenen, bizarren Welt, die trotzdem von viel Liebe geprägt war, inniger als sie vielleicht mancher von uns jemals erleben wird. Für seine Tochter Frances Bean ist der Film vielleicht ein Weg die Beziehung zu dem Vater, den sie nur 1,5 Jahre hatte, aufzuarbeiten. Der Film endet mit dem Selbstmordversuch in Rom. Und somit schließt sich der Kreis. Jedenfalls für mich.
„Montage Of Heck“ ist eine gefühlvolle Hommage an einen Künstler der, wie kaum ein anderer, die frühen 90er Jahre geprägt hat. Ein Film, der einen traurig und auch ein bisschen verstört zurück lässt.
Kurt, ich hoffe dass Du jetzt irgendwo bist, wo Du Deinen Frieden gefunden hast. Wo Du das gefunden hast, was Du auf dieser Welt immer vergeblich gesucht hast. Aber eins werde ich Dir trotzdem nie verzeihen, dass Du Dich verpisst hast, bevor ich Dich live sehen durfte. Nur dieses eine Mal. Ich hatte es mir so gewünscht!
Filmstart: ab 09. April nur für kurze Zeit in ausgewählten Kinos