Gelesen: Vivien Goldman „Die Rache der She-Punks“

Vivien Goldman weiß wovon sie spricht, wenn es um Punk geht, als Musikerin wie auch als Musikjournalistin verfügt sie quasi über die umfassendste Expertise. Als Teil des in den 1980er Jahren gegründeten Kollektivs The Flying Lizards war sie aktives Mitglied der britischen Post-Punk Bewegung, als Journalistin schrieb sie unter anderem für den New Musical Express und Melody Maker. Mit „Die Rache der She-Punks“ hat sie nun ein Buch geschrieben, in dem sie den Ikonen der feministischen Musikgeschichte Tribut zollt und das deutlich ihre persönliche Leidenschaft für Punk und die Frauen, die sich die Bewegung für ihre eigenen Zwecke und Themen zunutze machen, spüren lässt. Man nennt Vivien Goldman nicht umsonst auch die „Punk-Professorin“. 

Fundiertes Wissen und persönliches Interesse gehen hier begeisternd unterhaltsam Hand in Hand. Vivien Goldman hat zahlreiche Musikerinnen aus verschiedenen Jahrzehnten und unterschiedlichsten Ländern getroffen, sich ihre Erfahrungen und Erlebnisse erzählen lassen und lässt sie zum Teil persönlich zu Wort kommen. Besonders interessant ist dabei, dass sie sich nicht für eine chronologische Erzählweise entschieden hat, sondern die einzelnen Musikerinnen nach Themengebieten behandelt. Dadurch verweben sich die Jahrzehnte und es wird deutlich, wieviele Parallelen sich selbst bei den unterschiedlichsten Frauen finden lassen. Identität, Geld, Liebe und Protest werden bei Goldman zu zentralen Themen des weiblichen Punk, als Einführung dient jeweils eine Playlist mit Songs, die sich diesen widmen. So erfährt man, dass zum Beispiel Poly Styrene in den späten Siebziger Jahren sowie Bikini Kill Mitte der Neunziger die gleichen Dinge bewegt haben – und dass, was Veränderungen in den Lebensumständen von Frauen betrifft, die Mühlen ganz schön langsam mahlen. 

Die Leben der Musikerinnen sind dabei trotzdem sehr unterschiedlich. Das wird vor allem dadurch deutlich, dass Goldman über die bekanntesten Länder der Bewegung, die USA und Großbritannien, hinaus blickt. So lernt selbst jemand, der sich bereits eingehender mit der Thematik befasst hat, einiges dazu – über die erste chinesische, reine Girl-Punkband Hang on the Box zum Beispiel, deren Frontfrau Gia Wang zum Teil erstaunlich konservative Ansichten hat und trotzdem auf ihre Art Punk ist. Oder das indische Teenage-Girl-Trio Pragaash, das per Fatwa eines Geistlichen verboten wurde und deshalb nie etwas aufnehmen konnte. Was alle von Goldman portraitierten Frauen verbindet ist, dass Punk für sie weit mehr als Musik ist, sondern eine Möglichkeit sich sichtbar zu machen, ein Ventil, um soziale, geschlechtliche und politische Ungerechtigkeiten anzuprangern oder einfach nur eine Möglichkeit, kompromisslos sie selbst zu sein. Und alle Frauen beweisen dabei immense Stärke, denn die Stolpersteine auf ihren Wegen sind vielfältig, unterschiedlich gravierend, aber immer da. 

In seiner Persönlichkeit erhebt die Auswahl der Musikerinnen, die Goldman in „Die Rache der She-Punks“ portraitiert, keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Gewählt hat sie eine gute Mischung aus prominenten Vertreterinnen des Genres wie Bikini Kill, Pussy Riot, Sleater-Kinney, Blondie, Chrissie Hynde, The Slits und natürlich, wie könnte sie fehlen, Patti Smith sowie, wie bereits erwähnt, weniger bekannte bis zum Teil unveröffentlichte Bands und Musikerinnen. Die eine oder andere fehlt am Ende gefühlt aber doch. Alleine deshalb, weil Goldman über ein derart umfassendes Wissen und Liebe zur Musik verfügt, hätte es mich brennend interessiert, was sie zum Beispiel zu Le Tigre oder Peaches zu sagen gehabt hätte. Dafür ist ihr Buch gespickt mit vielen ungeahnten, interessanten Details und Randnotizen. Ich zumindest wusste nicht, dass Hip-Hop und Jazz-Ikone Neneh Cherry in jungen Jahren kurzzeitig Teil der Slits war. 

Die Playlists zum Beginn der einzelnen Kapitel sind zudem eine tolle zusätzliche Anregung, tiefer in das Thema einzutauchen. Denn schließlich geht es um Musik, und die erlebt sich einfach erst so richtig, wenn man sie hört. Wer sich die Mühe macht, die ihm bis dato unbekannten Songs auf Spotify und co nachzuschlagen, der wird ganz wunderbar in die Welt eintauchen, in die Goldman uns beim Lesen mitnimmt. Zurück bleibt die Hoffnung, dass Frauen auch in Zukunft laut, selbstbewusst und bewundernswert kreativ eine unserer immer noch am stärksten Männer-dominierten Welten mitbestimmen werden.