Gelesen: Ray Celestin „Höllenjazz in New Orleans“

Manche Geschichten sind so gut, man kann sie sich kaum ausdenken. So zum Beispiel die des „Axeman of New Orleans“, der in den Jahren 1911, 1918 und 1919 eben jene Stadt in den USA mit einer Reihe brutaler Axtmorde erschütterte. Am 6. Mai 1919 schickte der mysteriöse Täter einen Brief an die lokale Zeitung The Times-Picayune, in dem er in einer konkreten Nacht weitere Morde ankündigte, aber auch versprach dass er alle Bürger New Orleans’ verschonen werde, in deren Häusern in jener Nacht Jazzmusik gespielt wird. So verrückt, so wahr, so gut.
Die Axtmorde, denen zuerst vor allem italienischstämmige Lebensmittelhändler zum Opfer fielen und deren Motiv deshalb im Milieu der Mafia vermutet wurde, wurden nie aufgeklärt. Für die Einwohner New Orleans wurde der Mörder deshalb zu dem Geist, als den er sich selbst in dem mysteriösen Brief bezeichnet: „Ich bin kein Menschenwesen, sondern ein Geist und ein Dämon aus der heißesten aller Höllen.“ Der britische Autor Ray Celestin hat den Originalbrief des Axeman als Ausgangspunkt für seinen Roman „Höllenjazz in New Orleans“ genommen und entspinnt aus den historisch verbrieften Fakten um den Axtmörder eine fiktive, spannende Kriminalgeschichte.
Der Clou seines Romans: er setzt auf die Lösung des Falls nicht eine, sondern drei unabhängig voneinander ermittelnde Parteien an: Der Polizeikommissar Michael Talbot, der ehemalige, frisch aus dem Gefängnis entlassene Polizist Luca sowie die junge Detektei-Assistentin Ida gemeinsam mit ihrem guten Freund, dem Jazztrompeter Lewis Armstrong (jawohl, genau der), versuchen alle aus unterschiedlichen Gründen dem Axeman auf die Schliche zu kommen. Was sie im Laufe der Geschichte auch tun und dabei, ohne es zu wissen, unterschiedlichen Aspekten des Falls aufdecken.
Die Mafia spielt natürlich wie vermutet eine Rolle, aber es geht auch um Prostitution, Kindesmissbrauch, persönliche Rache und um eine Verschwörung, die bis in die höchsten politischen Kreise von New Orleans reicht. Die Stadt ist dann auch die eigentliche Hauptdarstellerin des Buchs – die besonderen Lebensbedingungen in der auf Sumpfgebiet gebauten Region, der Schmelztiegel an dort zusammenkommenden Nationen und die damit einhergehende explosive Stimmung, selbst das Wetter und natürlich die große Bedeutung der Musik für die Bevölkerung, das spielt in Ray Celestins Roman alles eine besondere Rolle und hebt den Krimi automatisch vom klassischen Einheitsbrei des Genres ab. Man merkt, dass Ray Celestin vom Film kommt und vor seinem ersten Roman als Drehbuchautor gearbeitet hat. Viele Szenen, vor allem die titelgebende „Höllenjazz“-Nacht sowie der von einem schweren Sturm begleitete Showdown haben eine starke, bildliche Kraft und muten nahezu filmisch an. Auch die Figuren sind entsprechend gut und vielschichtig gezeichnet und trotz der Fülle an ihnen, mit denen man es im Lauf des Falls zu tun kriegt, bleibt die Geschichte gut strukturiert und übersichtlich. Den Spaß am Thema und am Erzählen an sich merkt man Ray Celestin auf jeder Seite an.
„Höllenjazz in New Orleans“ ist keine klassisch gestrickte „Whodunit“ Geschichte und deswegen nicht nur für Krimifreunde lesenswert. Es ist ein prall gefülltes Lesevergnügen, schmackhaft wie das saftige Cajun-Hühnchen-Sandwich, das man den Ermittlern am liebsten aus der Hand reißen würde.

Info: „Höllenjazz in New Orleans“, der Debütroman von Ray Celestin, ist in deutscher Übersetzung frisch im Piper Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Auf Englisch hat er die Geschichte von Detective Michael Talbot und Ida Davis bereits in seinem zweiten Roman „Dead Man’s Blues“ weiter erzählt. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

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