Gelesen: Neil Smith „Das Leben nach Boo“

Es wird immer die Frage aller Fragen bleiben: was passiert mit uns, wenn wir sterben? Wo gehen wir hin? Ist alles vorbei oder passiert etwas Neues? Da zumindest bis jetzt niemand zurück gekommen ist, von woher auch immer, um sie zu beantworten, bietet sie unerschöpflichen Raum für Spekulation und nie endende literarische Inspiration.
Der Kanadier Neil Smith hat sich in seinem ersten Roman „Das Leben nach Boo“ ein besonders skurriles Szenario ausgedacht: in seiner Nachwelt leben die Menschen (beziehungsweise ihre Seelen) streng aufgeteilt nach Herkunft und Alter zusammen. Und da seine Hauptfigur der 13 jährige, kürzlich verstorbene Amerikaner Oliver Dalrymple ist, ist Oliver, genannt „Boo“, in seinem Nachleben nur von ebenfalls 13 Jahre alten Amerikanern umgeben. Oliver ist zu Lebzeiten eines von den Kids, die wenig Freunde, dafür umso mehr Köpfchen haben. Im Amerika der Siebziger steht er in einem Moment noch an seinem Highschool Spind, im nächsten ist er tot. Wahrscheinlich aufgrund seines angeborenen Herzfehlers, vermutet er. Als er wieder zu sich kommt, findet er sich in einer typisch amerikanischen Stadt wieder, nur dass diese von einer Mauer umgeben ist und in ihr nur Kinder seines Alters wohnen, die auf Fahrrädern durch die Gegend fahren, in Wohnheimen zusammen leben, Halloween feiern und auch sonst ganz normal ihrem Leben nachgehen – außer dass sie äußerlich nie älter werden, Verletzungen rasend schnell verheilen und sie ihr soziales Zusammenleben komplett alleine regeln müssen. Mit dem Lebensnotwendigen versorgt sie ein Gott namens „Zig“, gesehen hat ihn aber noch nie jemand.
„Boo“ findet schnell Freunde, das in den sechziger Jahren von einem Mob gelynchte schwarze Mädchen Thelma und die kleinwüchsige Esther helfen ihm, sich in der neuen Umgebung einzugewöhnen. Aber dann taucht überraschend sein alter Schulkamerad Johnny auf und konfrontiert Boo mit einer erschreckenden Erkenntnis: es war nicht sein Herzfehler, der ihn ins Jenseits befördert hat, er und Johnny wurden in Wirklichkeit von einem Amokläufer erschossen. Als Johnny dann auch noch glaubt, jenen ominösen „Gunboy“ in der Nachwelt entdeckt zu haben, obwohl Zig doch angeblich nur gute Seelen in die Stadt lässt, machen die beiden sich auf, das Rätsel um ihren Tod aufzudecken. Und sie erfahren dabei so einiges. Das Leben nach Boos Tod steckt voller Überraschungen, von denen einige verdrängt waren und sich als schmerzhaft entpuppen.
So verrückt das alles klingen mag, Neil Smith’ Romandebüt versucht nie, bemüht originell daher zu kommen. Im Gegenteil, er erzählt die Geschichte der sich selbst im Jenseits organisierenden Jugendlichen mit charmanter Leichtigkeit, als wäre es völlig unwichtig, wo wir uns nun genau befinden. Boos Suche nach den wahren Gründen für sein Ableben ist nicht nur äußerst unterhaltsam und pointiert geschrieben, sie ist auch voller überraschender Wendungen, die bis zum Schluss immer wieder erstaunliche Haken schlagen. Neil Smith nimmt die Probleme seiner jugendlichen Charaktere angenehm ernst, die sich grundlegend gar nicht so sehr von denen gleichaltriger im Hier und Jetzt unterscheiden. Charmant auch, wie er es schafft immer wieder durchblicken zu lassen, dass seine Figuren nur äußerlich nicht altern. Je näher man sie kennenlernt, umso mehr spürt man die Reife, die ihnen nach einiger Zeit im Jenseits zuteil wird. Die klassische Erzählweise amerikanischer Highschool Geschichten trifft immer wieder auf absurde Referenzen à la „Alice im Wunderland“, wenn zum Beispiel der Zugang zum Gefängnis (ja, auch diese Form der Ordnung muss im Jenseits sein) vom skurrilen Zwillingspärchen Tim und Tom verwaltet wird. Ganz nebenbei zeichnet er auch elegant ein stimmiges Bild vom Leben in den USA der siebziger Jahre.
„Das Leben nach Boo“ funktioniert als Jugendbuch, da natürlich sämtliche agierenden Charaktere im Teenager Alter sind. Aber wenn Johnny und Boo sich am Ende begegnen und ihre Beziehung endgültig entwirren, wenn Boo es am Ende alleine schaffen muss, Frieden mit den Umständen, die zu seinem Tod führten zu machen, das ist alles schon sehr clever, um nicht zu sagen nahezu philosophisch. Es ist eigentlich schwer vorstellbar, dass irgendjemand, egal welchen Alters, nicht Spaß an „Das Leben nach Boo“ haben sollte.

Info: „Das Leben nach Boo“ ist nach dem Erzählband „Bang Crush“ der erste Roman des Kanadiers Neil Smith. Er ist auf Deutsch im Schöffling Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Ein netter Gimmick: Das Buch ist in elf verschiedenen Cover Varianten erhältlich. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph

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