Eigentlich gibt es kaum mehr etwas, das man noch zu Maja Lundes Roman „Die Geschichte der Bienen“ schreiben könnte. Das internationale Romandebüt der norwegischen Autorin katapultiere sich im letzten Jahr in ihrer Heimat direkt auf die Bestsellerlisten und hielt sich dort wochenlang. Auch hierzulande kommt man inzwischen kaum dran vorbei – selten begegnet einem ein Buch so häufig in der Öffentlichkeit wie dieses, in Bussen und Bahnen vertieft man sich gerade ausgiebig in Maja Lundes Jahrzehnte umspannende Familienchronik. Internetrezensenten stürzen sich drauf wie Bienen auf den Honig. Auch die Filmbranche hat das Potential des Romans früh erkannt, bei der diesjährigen Berlinale wurde „Die Geschichte der Bienen“ im Rahmen der „Books at Berlinale“ interessierten Produzenten angeboten. Eine Verfilmung dürfte dementsprechend nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Es ist aber auch wirklich ein dankbarer Stoff, den Maja Lunde mitreißend umgesetzt hat. Eine Geschichte, die Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt und sich bis Ende des 21. Jahrhunderts erstreckt. Das Bindeglied zwischen den Schicksalen der drei Hauptprotagonisten sind die titelgebenden Bienen. 1852 hievt der desillusionierte Biologe und Samenhändler William sich dank der Bienen aus einer tiefen Lebenskrise und widmet sich der Aufgabe, einen neuartigen Bienenstock zu entwickeln, der die Ernte des Honigs ermöglicht, ohne die Larven der Bienen zu zerstören. Aber leider schreitet die Forschung auf diesem Gebiet schnell voran und Williams Idee entpuppt sich als weniger einzigartig als ursprünglich angenommen. Im Jahr 2007 sieht der leidenschaftliche Imker George sich in den USA mit gleich mehreren Problemen konfrontiert. Sein Sohn interessiert sich wenig für die Übernahme des Hofes sondern möchte lieber eine Karriere als Journalist einschlagen. Im Gegensatz zu seinem erfolgreicheren Kollegen weigert er sich, seine Bienen stressigen Befruchtungstouren auszusetzen. Auch aufgrund seiner altmodischen, nach einem sich im Familienbesitz befindenden Bauplan selbst gezimmerten Bienenkisten wird er oft belächelt. Und dann setzt plötzlich das Große Verschwinden der Bienen ein. Die Kisten sind von einem Tag auf den anderen leer.
Aber nicht nur George’ Existenz wird durch den Verlust der Bienen existenziell bedroht. Im Jahr 2098, in dem die Geschichte der chinesischen Arbeiterin Tao spielt, gibt es keine Bienen mehr. Auf den Feldern schuften die Menschen schwer, um die Blüten der Obstbäume von Hand zu befruchten. Als Taos Sohn aufgrund eines mysteriösen Vorfalles erkrankt und verschwindet, begibt sie sich auf die Suche nach ihm und landet in Peking. Die ehemalige Millionenstadt ist dem Verfall preis gegeben, nur wenige Menschen haben den Kollaps der Ökosysteme überlebt, der im Jahr 2007 seinen Anfang nahm. Aber Tao beginnt zu ahnen, dass das, was ihrem Sohn zugestoßen ist, am Ende die ganze Menschheit betreffen könnte und dass sie die Chance hat, selbst auf die Zukunft Einfluss zu nehmen.
Maja Lunde reiht diese drei Erzählstränge in einzelnen Kapiteln aneinander und verwebt so die Geschichte ihrer Protagonisten und ihrer jeweiligen Zeit nach und nach zu einem großen Ganzen, bis die einzelnen Fäden am Ende zusammen kommen. Tatsächlich offenbart sich auch erst dann, obwohl man bis dahin nicht schlecht unterhalten wurde, die tatsächliche Tragweite ihrer Erzählung. Wenn sich herausstellt, dass einst als unwichtig eingestufte Entscheidungen und Taten Jahrhunderte später eine entscheidende Bedeutung erhalten. Das ist wirklich klug gestrickt und berührend – letztendlich ist es doch der Wunsch eines jeden Menschens, etwas zu erreichen, das über das eigene Leben hinaus Bestand hat. Und es ist dieser Kampf, den Maja Lundes Figuren zu kämpfen haben. Dadurch hebt sich „Die Geschichte der Bienen“ inhaltlich vom Niveau der gängigen Familienchroniken angenehm ab. Strukturell steht man als Leser ab und zu vor dem Problem, dass die einzelnen Handlungsstränge sich unterschiedlich spannend lesen. Man möchte an mancher Stelle lieber wissen wie es mit Taos Suche nach ihrem Sohn weiter geht als sich weiter mit Williams Sinnkrise beschäftigen. Aber es lohnt sich wie gesagt durchzuhalten, weil alle drei Teile der Geschichte am Ende ihre gleichberechtigte Bedeutung erhalten.
Die ökologisch/politische Message kommt im Gesamten auch nicht zu kurz. Endzeitvisionen sind aktuell in der Literatur wieder angesagter denn je. Die Gründe für den Untergang der modernen Zivilisation sind dabei vielfältig und stets plausibel. Maja Lunde führt noch einmal kunstvoll vor Augen, wie fragil unser Ökosystem ist und regt ohne erhobenen Zeigefinger zum Nachdenken an. So funktioniert nachhaltig gute Unterhaltung.
Info: Maja Lundes Erfolgsroman „Die Geschichte der Bienen“ ist im btb Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier.
Gelesen von: Gabi Rudolph