Gelesen: Kristin Hannah „Liebe und Verderben“

Die Amerikanerin Kristin Hannah ist die aktuelle Autorin der Stunde, wenn es um die ganz großen Gefühle geht. Ihre Geschichten sind der Stoff, aus dem Hollywood Filme gemacht sind: gut gezeichnete Charaktere mit Tiefgang, spannende räumliche wie zeitliche Settings, viel Drama und natürlich, nicht zu vergessen, die Liebe. So ist es entsprechend auch nicht verwunderlich, dass Kristin Hannahs Erfolgsroman „Die Nachtigall“ 2019 in die Kinos kommen wird. Für ihr neuestes Werk, „Liebe und Verderben“, sind die Filmrechte ebenfalls bereits verkauft. Wie in „Die Nachtigall“ spielt in „Liebe und Verderben“ der dramatische Einfluss des Krieges auf das Leben der Hauptcharaktere eine große Rolle, diesmal Mitte der siebziger Jahre in Amerika.

„The Great Alone“ heißt „Liebe und Verderben“ im Original. Ein etwas prägnanterer Titel, da er sich auf den Ort bezieht, an den Kristin Hannah uns entführt: an einen der abgelegensten Zipfel Alaskas. Hierhin verschlägt es die 13 jährige Leni Mitte mit ihrer Familie. Seitdem ihr Vater nach Jahren in Kriegsgefangenschaft aus Vietnam heim gekehrt ist, ist der nicht mehr derselbe, und als er von einem im Krieg verstorbenen Freund ein Grundstück in dem (fiktiven) Ort Kaneq erbt, wittert die Familie die Chance auf einen Neuanfang. Die drei packen ihre sieben Sachen in ihren alten VW Bus, müssen aber, kaum dass sie angekommen sind feststellen, dass sie auf das Leben in Alaska in keiner Weise vorbereitet sind. Denn hier überlebt nur wer sich selbst versorgt, wer weiß wie man jagt, in den wenigen Monaten ohne Schnee Gemüse anbaut und wie man seine Vorräte vor Bären schützt.

Die Einwohner Kaneqs nehmen die Familie Allbright unter ihre Fittiche, allen voran Large Marge, eine ehemalige Staatsanwältin, die den einzigen Gemischtwarenladen im Ort führt. Sie begrüßt Leni und ihre Eltern mit den Worten: „In Alaska darfst du nur einen Fehler machen. Der zweite ist dein Tod.“ Trotz aller Widrigkeiten lernt Leni das raue Leben in Alaska aber zu schätzen, die Natur, die körperliche Arbeit und den Unterricht in der winzigen Schule im Ort. In Matthew, dem Sohn des wohlhabenden Tom Walker, findet sie sogar einen gleichaltrigen Freund. Aber der Winter und damit nicht nur Schnee und Eis, sondern auch die anhaltende Dunkelheit rücken näher. Sie bringt in Lenis Vater Ernt seine düsteren Seiten, vor denen er eigentlich davon laufen wollte, unerbittlich zum Ausdruck. Das Leben mit ihm wird zur Hölle für Leni und ihre Mutter Cora, da mag es ringsherum noch so ursprünglich und paradiesisch sein.

Es geht um den Versuch, als Aussteiger seinem alten Leben zu entfliehen, um Kriegstraumata, Verfolgungswahn, häusliche Gewalt, die Beziehung zwischen Mutter und Tochter und natürlich, nicht zuletzt, die Liebe. Doch auch den Liebenden ist hier nur wenig Glück gegönnt. Cora muss einen langen, schmerzvollen Weg gehen um zu erkennen, wie destruktiv ihre Beziehung zu Ernt ist. Und Leni und Matthew, aus deren Freundschaft natürlich irgendwann Liebe wird, sind ein klassisches Romeo und Julia Paar, da Ernt in seinem zunehmenden Verfolgungswahn Matthews Vater Tom Walker zu seinem Erzfeind auserkoren hat. Klingt alles ganz schön viel, ist es auch. „Liebe und Verderben“ ist bis zu den letzten Seiten voll gepackt mit Wendunden, die meisten von ihnen dramatisch, andere wiederum herzerwärmend. Dass es zwar viel aber, zumindest die meiste Zeit, nicht zu viel wird, liegt an Kristin Hannahs wirklich herausragendem Erzähltalent. Besonders die erste Hälfte, in der sie das Ankommen der Familie Allbright im Alaska der siebziger Jahre erzählt, ist überaus packend und vor allem so realistisch bildhaft erzählt, dass man sich mühelos mittendrin wähnt. Lesepausen macht man hier nur mit viel Disziplin. Zum Ende hin wird die ein oder andere Wendung etwas vorhersehbar, auch drückt es immer mal wieder etwas arg auf die Tränendrüse. Das ist aber alles verzeihlich, vor allem weil Hannahs Charaktere so gut durchdacht und realistisch ausgearbeitet sind.

Spannend wird es vor allem in den Dingen, die sie nicht komplett auserzählt. So lässt sie zum Beispiel im Unklaren, ob Ernt sich tatsächlich durch die Kriegsgefangenschaft so stark verändert hat, oder ob er nicht doch schon früher eine dunkle, aggressive Seite hatte. Auch wenn Cora es stets verneint und sie versucht, Leni in dem Glauben zu lassen, dass er früher ein viel besserer Mensch war, blitzt doch immer wieder durch, dass sich diese Annahme rein auf Coras Wahrnehmung stützt und diese vielleicht nicht wirklich verlässlich ist. Diese Zwischentöne helfen einem zu verstehen, warum die Ablösung von einem derart brutalen Partner am Ende doch so schwer zu sein scheint.

„Liebe und Verderben“ ist ein wuchtiger, hochemotionaler Pageturner, leidenschaftlich erzählt und wohl strukturiert. Genau die Sorte Buch, mit der man sich den beginnenden Herbst über einigeln kann. Und sich dabei freuen kann, dass man seine Wintervorräte bequem im Supermarkt kaufen kann und nicht vor Bären in Sicherheit bringen muss. Wobei, ein bisschen Wehmut gegenüber der Wildnis schwingt beim Lesen durchaus mit. Selten klang harte, körperliche Arbeit so attraktiv wie bei Kristin Hannah, weil sie es schafft, die raue und die romantische Seite von Alaska wunderbar in Einklang miteinander zu bringen. Ein schöner Blick über den Tellerrand. Unsereins fühlt sich ja schon ganz ursprünglich, wenn er für den Winter ein paar Socken strickt.

Info: Kristin Hannah ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der USA. Sie hat bereits mehr als 20 Romane veröffentlicht, viele davon Bestseller. Sie wurde mit diversen Preisen ausgezeichnet, ihr Roman „Die Nachtigall“ ist in über 40 Ländern erschienen. Ihr neuester Roman „Liebe und Verderben“ ist im Aufbau Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph

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