Gelesen: John Green „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“

John Green ist zur Zeit einer der erfolgreichsten Autoren für junge Erwachsene. Mit seinem Bestseller „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, einer Liebesgeschichte zwischen zwei krebskranken Jugendlichen, schaffte er es aber, Leser allen Alters zu Tränen zu rühren. Kaum jemandem gelingt es wie John Green, ernsthafte Themen gleichzeitig mit Humor, Leichtigkeit und Tiefgang zu erzählen. Er schreibt über Liebe, Tod, Verlust, über die Verwirrungen des Erwachsenwerdens, und das stets mit einer starken Empathie für seine jungen Protagonisten.

John Green ist aber nicht nur ein überaus erfolgreicher Autor, der für seine Werke bereits mit zahlreichen Preisen bedacht wurde. Zusammen mit seinem Bruder Hank Green betreibt er außerdem den YouTube Channel „VlogBrothers“, in dem die beiden Brüder sich über alles austauschen, was sie bewegt. Er ist zweifacher Vater und, was vielleicht nicht jeder weiß: er leidet an Depressionen und Zwangsstörungen. Mit seiner Krankheit geht Green jedoch sehr offen um, sowohl in seinen YouTube Videos als auch auf seinen Social Media Kanälen. Er ist ein großer Unterstützer der Mental Health Awareness Bewegung und setzt sich dafür ein, psychische Krankheiten von den immer noch herrschenden öffentlichen Stigmata zu befreien und sie im medizinischen Sinne als Krankheit anzuerkennen. Was besonders in den USA, wo umfassende medizinische Versorgung nicht für jeden zugänglich ist, ein großes Problem ist. Im Nachwort zu seinem neuen Roman „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ dankt er seinen Ärzten und ruft dazu auf, sich zu seinen Probleme zu bekennen und den Mut zu haben, sich Hilfe zu suchen.

Fünf Jahre hat John Green für den Nachfolger zu seinem größten Erfolg „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ gebraucht. Und auch hier macht er öffentlich kein Hehl daraus, wie schwer ihm die Arbeit zum Teil gefallen ist. Man sollte es kaum meinen, wenn man bedenkt, wie charmant und leichtfüßig sein neuer Roman „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ daher kommt. Und das trotz der wieder einmal ernsthaften Thematik. Denn, es scheint nur recht und konsequent, John Green widmet sein neuesten Werk einer Protagonistin, die an den gleichen Dingen leidet wie er.

Aza Holmes kann nicht mit dem Denken aufhören. Es rattert permanent in ihrem Kopf. All die Krankheiten, die man bekommen könnte, all die schlimmen Dinge, die einem zustoßen könnten. Wenn sie wenigstens aufhören könnte, mit dem Fingernagel ihres Daumens die Kuppe ihres rechten Mittelfingers immer wieder aufzupulen, bis sie anfängt zu bluten. Die Wunde hält sie stets mit einem sauberen Pflaster verschlossen, aber nicht auszudenken was sie sich für Infektionen holen könnte, wenn sie die Wundpflege einmal vernachlässigt. Hat sie denn wirklich heute Morgen das Pflaster gewechselt? Klebt da nicht ein bisschen Eiter am Mull? So geht es in einem fort. Azas Gedanken galoppieren von einer Katastrophe zur nächsten. Dementsprechend hat sie eigentlich auch gar keinen Kopf dafür, sich um das mysteriöse Verschwinden des Milliardärs Russell Pickett zu kümmern. Der Unternehmer verschwindet in der Nacht vor einer polizeilichen Hausdurchsuchung aufgrund der gegen ihn vorgebrachten Betrugsermittlungen. Seine minderjährigen Söhne Davis und Noah bleiben alleine zurück in der herrschaftlichen Villa. Auf Hinweise, die zur Wiederauffindung Picketts führen, ist eine Belohnung in Höhe von 100.000 Dollar ausgesetzt, und hier kommen Aza und Azas beste Freundin Daisy ins Spiel. Letztere findet, Aza solle sich durchaus mit diesem Thema beschäftigen, denn Aza kennt Picketts Sohn Davis von früher. Das Anwesen der Picketts liegt auf der anderen Seite des Flusses, direkt gegenüber von Azas weit weniger edlem Zuhause. Der Versuch, sich dort unauffällig umzusehen, führt zur Begegnung zwischen Aza, Daisy, Davis und Noah und schließlich zu einem unerwarteten Deal, den Davis Aza anbietet, wenn sie und Daisy die Nachforschungen zum Verbleib seines Vaters aufgeben.

„Schlaft gut, ihr lieben Gedanken“ ist natürlich eine Liebesgeschichte. Kaum etwas kann John Green besser als das, was er hier tut: die Annäherung zweier verletzter Seelen erzählen. Aza und Davis verbindet mehr, als ihre Lebensumstände es auf den ersten Blick vermuten lassen. Beide mussten den Tod eines Elternteils verkraften, Aza hat ihren Vater verloren, Davis seine Mutter und zuletzt auf diese seltsame Weise auch noch seinen Vater. Davis’ Situation ist symbolisch für die Einsamkeit, die man in diesem Alter fühlen kann. Denn nicht nur er, sondern auch Aza und selbst die lebensfrohe Daisy, alle haben ein Loch in ihrer Seele, mit dessen Befüllung sie am Ende ganz allein da stehen. Auch wenn die Figur der Aza John Green sehr nahe stehen dürfte: es geht ihm nicht nur darum, Mitleid für ihre psychischen Probleme zu generieren. Im Gegenteil, jeder seiner Figuren gesteht er einen gleichberechtigten Umgang mit der Problematik zu. So zum Beispiel auch Daisy, deren Geduld mit ihrer Freundin durchaus an ihre Grenzen stößt und die sich von ihr sogar zu einer nervigen Figur in ihrer geliebten Star Wars Fanfiction inspirieren lässt.

Die Verbindung zwischen Aza und Davis erzählt John Green genauso empathisch wie die zwischen Hazel und Gus in „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. Sie ist nicht ganz so dramatisch, da hier nicht die Bedrohung durch den nahenden Tod in der Waagschale liegt, aber trotzdem nicht weniger traurig. Denn wie will man zueinander finden, wenn man, wie Aza, nicht aufhören kann darüber nachzudenken, wie viele Keime bei einem einzigen Kuss ausgetauscht werden? Oder wie Davis erst einmal damit zurecht kommen muss, dass dem Vater ein seltenes Reptil wichtiger ist als die eigenen Kinder? „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ ist vielleicht John Greens leisestes Buch bisher, aber auch das Schwermütigste. Es liegt eine Düsterheit über den Figuren, die kein großer Knall heilen kann. Wie das Leben nunmal so ist: manchmal kann man einfach nur hoffen, dass es irgendwann besser wird.

Es steckt unglaublich viel Liebe in dem, was John Green schreibt und diese überträgt sich direkt auf seine Leser. Man fühlt sich genauso ernst genommen von ihm wie seine Figuren, deren universellen Nöte in der Pubertät gleichsam aufrütteln und Trost spenden können. So ist auch „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ wieder ein besonderes, wertvolles Buch geworden. Wer John Green liest, ist mit sich und seinen Problemen ein bisschen weniger allein.

Info: „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ von John Green ist im Hanser Verlag in einer besonders schönen Ausgabe erschienen, mit farbigem Schnitt und Wendecover. Es kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph
Foto: Marina Waters

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