Gelesen: Joey Goebel „Irgendwann wird es gut“

Der amerikanische Autor Joey Goebel hat ein Herz für die Außenseiter der Gesellschaft. Für die Zurückgelassenen, die Orientierungslosen, aber auch für die Sucher, Durchbeißer und Stehauf-Männchen. Für „Freaks“ eben, wie auch sein erster Roman hieß. In „Vincent“ zum Beispiel schrieb er über einen Medientycoon, der es sich in seinen letzten Lebensjahren zur Aufgabe macht, die Populärkultur mit tiefsinniger Kunst zu bereichern. Dafür gründet er eine Akademie von Wunderkindern, denen er je einen „Beschützer“ zur Seite stellt, dessen Aufgabe es ist, den jungen Künstlern das Leben so schwer wie möglich zu machen. Denn nur aus Leiden wird wahre Kunst geboren.
Sechs Jahre nach seinem Roman „Ich bin Osbourne“ hat Joey Goebel nun seinen ersten Kurzgeschichtenband „Irgendwann wird es gut“ veröffentlicht. Er ist nur in deutscher Übersetzung im Diogenes Verlag erschienen, da Joey Goebel seit Jahren in seiner Heimat USA keinen Verleger hat. Das ist schwer bis gar nicht nachzuvollziehen, denn eigentlich sollte Joey Goebel, der mit seinen Romanen und Geschichten einen charakterlich ganz eigenes Erzähluniversum kreiert, mit seinen durchdachten, stets besonderen Figuren und seinem scharfsinnigen Blick auf das Leben gerade in Amerika zu den großen Erzählern seiner Generation gehören. Die Seiten flattern nur so vorüber, wenn man einmal anfängt Joey Goebel zu lesen. Und selten hat er es einem dabei so einfach gemacht in seine Welt einzutauchen wie in „Irgendwann wird es gut“.
Die zehn Geschichten spielen alle in Moberly, einer Kleinstadt in Kentucky, aber das ist nicht das einzige Band, das die Protagonisten zart miteinander verknüpft. So gibt es zum Beispiel die lokale Nachrichtensprecherin Olivia Abbott, die in der ersten Geschichte „Unsere Olivia“ Avancen von gleich zwei Verehrern mit Stalking Potential bekommt. Sie taucht immer wieder auf den Fernsehbildschirmen der Bewohner von Moberly auf, als romantische Projektionsfläche und hoffnungsvolle Identifikationsfigur, als Symbol dafür, dass man es auch in Moberly zu etwas bringen kann. In „Herzrhythmusstörungen“ lernen wir sie dann persönlich kennen und erfahren, dass auch sie eine verletzte Seele ist, die versucht ihr Glück zu finden. Highschool Schüler Luke versucht seine Schüchternheit mit Hilfe von Witzchen, dem Schreiben von Songs und seiner Band „Skanky Baby“ zu überwinden. Seine Schwester Carly ist „Das Antikmarktmädchen“, das seine Zeit am liebsten auf dem Antikmarkt seiner Mutter verbringt. Statt mit Gleichaltrigen umgibt sie sich lieber mit Mr Baynham, der ihr großes Idol James Dean zu Lebzeiten persönlich kannte. Die motivierte College-Dozentin Stephanie musste gerade ihren Ehemann Dan wegen Trunkenheit am Steuer zum Antritt seiner Gefängnisstrafe bringen und genießt kurzzeitig die Avancen eines ihrer Studenten. Dan wiederum versucht in „Die Moral von Nerds“ einem Radiomoderator zu erklären, was einen Nerd wirklich ausmacht und kämpft darum, bei seinem Job in einem Second Hand Laden, für den er völlig überqualifiziert ist, seine Würde zu wahren. Jener Radiomoderator kehrt in einer späteren Geschichte wieder und versucht seinem abgeschottet lebenden Stiefvater den Weg zurück ins Leben zu ebnen, indem er ein wenig Amor spielt. Man lauert beim Lesen schon förmlich auf derartige Querverweise und freut sich, wenn man wieder einen Zusammenhang entdeckt hat. Auf diese Weise wird aus „Irgendwann wird es gut“ mehr als eine reine Geschichtensammlung, es entspinnt sich ein kleiner, liebevoll durchdachter Kosmos.
Einsamkeit ist eins der zentralen Themen, das die Figuren und Geschichten miteinander verbindet. Das Gefühl, aus dem Leben gefallen zu sein, dass alle um einen herum ein anderes Spiel spielen als man selbst und man nicht so recht weiß, wie man von der Ersatzbank wieder runter kommen soll. Aber es gibt auch Hoffnung und leisen Humor. Dabei entsteht ein eindrückliches Bild vom oftmals perspektivlosen Leben in der Kleinstadt und gleichzeitig vom Leben in den Neunzigern, als wir alle noch nicht ständig auf digitale Weise miteinander verbunden waren. Und natürlich spielt, wie fast immer bei Joey Goebel, Musik eine wichtige Rolle.
Auf Ironie verzichtet er dabei diesmal komplett, was erstaunlich ist, wenn man mit seinen früheren Werken vertraut ist. Den Abschluss der Sammlung bildet ein Gespräch zwischen ihm und Benedict Wells, selbst Autor bei Diogenes und großer Goebel-Fan, in dem Joey Goebel erklärt, warum es sich bei dem Verzicht auf Ironie und Satire um eine bewusste Entscheidung handelt. Für ihn markiert der Amtsantritt Trumps den Tod der Satire: „Welchen Sinn hätte Satire, wenn das Leben an sich absurder ist als alles, was ich mir ausdenken könnte?“ Auf diese Weise findet er zu einer wunderbar ehrlichen Empathie, und die für ihn so herrlich typische Skurrilität kommt dabei trotzdem nicht zu kurz. Zum Beispiel in der Episode „Bubbles“, in der eine alte Dame eine fragwürdige Beziehung zu ihrem Hund führt und trotzdem daraus ihre eigene Art von Lebensqualität zieht. Sollte die Trump Administration tatsächlich ihren Teil zur Entstehung dieses wunderbaren Werks beigetragen haben? Es wäre unsagbar tröstlich.

Gelesen von: Gabi Rudolph

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