Gelesen: Joachim Meyerhoff „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“

Wenn Joachim Meyerhoff sich verliebt, das muss irgendwie speziell sein. So zumindest könnte man den Eindruck bekommen, wenn man seinem autobiografischen Romanzyklus „Alle Toten fliegen hoch“ gelesen hat. Darin schreibt Meyerhoff über sein Leben, ohne Anspruch auf sklavische Faktentreue, aber seinerJugend und frühe Manneszeit liefert so viel skurrilen Stoff, dass es müßig ist darüber zu grübeln, wo die Realität aufhört und die Fiktion beginnt.

Joachim Meyerhoff ist als Sohn eines Arztes und Anstaltsleiters auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik in Schleswig Holstein aufgewachsen, davon erzählt er in seinem zweiten Roman „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“. Im ersten, „Alle Toten fliegen hoch – Amerika“, steht sein Austauschjahr bei einer Gastfamilie in Laramie, Wyoming, im Mittelpunkt und der Unfalltod seines Bruders. Zuletzt durften wir in „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ mit dabei sein, wie Joachim Meyerhoff seine Schauspielausbildung in München absolviert und in dieser Zeit bei seinen Großeltern in deren herrschaftlicher Villa wohnt. Das Leben dieses Mannes strotzt nur so vor Begebenheiten und Menschen, die man sich kaum besser ausdenken könnte.

Da ist es doch nur konsequent, dass wir in seinem neuesten Werk „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ nicht nur Zeuge von seinem Einstieg ins Berufsleben als Schauspieler werden, sondern auch etwas über sein frühmännliches Liebesleben erfahren. Das hat, Meyerhoff wäre nicht Meyerhoff wenn es anders wäre, wenig mit einer klassischen Liebesgeschichte gemein. Gleich drei Frauen sind es, zu denen er äußerst unterschiedliche Beziehungen unterhält, der Versuch, sie alle unter einen Hut zu bringen gestaltet sich zunehmend schwierig. Zum einen wäre da Hanna, wohl eine der kuriosesten Angebeteten, die man jüngst in der Literatur kennenlernen durfte. Eine manisch belesene Germanistikstudentin, mit blondem, kurzem Flusenhaar und zu großen Zähnen, die beim Küssen im Weg sind. Sie wirft mit literarischen Referenzen nur so um sich und spart gegenüber der zarten Seele des Jungschauspielers nicht mit knochenharter Kritik. Auf das wenig freudvolle Erstengagement am Theater Bielefeld folgt das zweite am Schauspielhaus in Dortmund und mit ihm betritt Franka die Bühne, eine langbeinige, wunderschöne Tänzerin, im Vergleich zu Hanna von eher schlichterem Gemüt – aber wer wäre das nicht. Und ehe Meyerhoff sich versieht, ist er mitten drin in der Doppelkiste. In Bielefeld wird gelesen, diskutiert und unbeholfen Liebe gemacht, in Dortmund Sekt auf Eis getrunken, die Nächte durchgetanzt und wild gevögelt. Wie will man da wieder raus kommen, ohne jemandem weh zu tun? Als wäre es nicht schon kompliziert genug, tritt auch noch Ilse auf den Plan, die dicke, altersmäßig schwer einzuschätzende Frau aus der altmodischen Bäckerei an der Ecke. Sie versorgt den inzwischen schon leicht angeschlagenen Doppelliebhaber zu unchristlicher Stunde mit ofenwarmen Schweineohren und entpuppt sich zu einer nicht minder wichtigen Anlaufstelle. Nur, wann soll man neben all dem denn noch am Theater proben, geschweige denn schlafen?

Joachim Meyerhoff ist ein, man muss da mit Superlativen nicht sparen, begnadeter Erzähler. Sein Ideen- und Vokabelreichtum, gepaart mit einem untrüglichen Gefühl für Timing und wohl gesetzten Pointen, das sucht schon seinesgleichen. So fällt es zuerst auch fast gar nicht auf, dass „Die Einsamheit der Einzelgänger“ insgesamt der schwächste Band der Totenreihe geworden ist. Man kann sich immer noch verlieren in dem, was er einem erzählt. Vor allem seine Figurenbeschreibungen sind nach wie vor so ausgefeilt und facettenreich, dass man sich völlig der Illusion hingeben kann, sie zu kennen. Und manchmal ist es schwer seinen Ausführungen (zum Beispiel von den Proben zu einer mißglückten „Die Räuber“ Produktion und dem unerwarteten Einsatz einer Schreckschusspistole) zu folgen, ohne vor Lachen die Contenance zu verlieren. Wenn man etwas kritisieren könnte, dann dass dieser ganz besondere Charme, den man von seinen Kindheitserzählungen gewohnt ist, in dem ganzen Liebeswirrwarr nicht so recht aufkommen will. Es gibt in „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ auch Ausflüge in die Vergangenheit, und irgendwie sind diese Passagen, neben seinen scharfsinnigen Analysen des deutschen Theaterbetriebs, wieder einmal die stärksten. Vielleicht tut man sich als Frau ein wenig schwer mit der Thematik der männlichen Beziehungs-Jonglage. Vielleicht waren die ersten drei Bände aber auch einfach so überragend gut, dass man am Ende an seinen eigenen Erwartungen scheitert. Das wäre dann nicht Meyerhoffs Problem.

Es ging ihm noch nie darum, sich als strahlenden Held zu inszenieren. Das ist letztendlich auch die große, besondere Stärke des Erzählers Joachim Meyerhoff. Wenn einer nur mit seiner Umgebung abrechnen würde, es wäre kaum zu ertragen. Mit sich selber ist er schon immer nicht weniger hart ins Gericht gegangen. In „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ ereilt einen ab und zu das Gefühl, dass auch das letztendlich eine Form von Eitelkeit sein könnte. Er gefällt sich schon sehr gut in der Rolle des erfolglosen Schauspielers, des romantischen Chaoten, der stets die richtige Abzweigung verpasst. Letztendlich hat er sich damit selbst zur Kunstfigur stilisiert – man darf nicht vergessen, im wahren Leben spielt der Mann am Burgtheater und wurde jüngst zum Schauspieler des Jahres 2017 gewählt.

Info: „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“, der vierte Teil von Joachim Meyerhoffs aus einem Theaterprojekt entstandenen Romanreihe „Alle Toten fliegen hoch“, ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

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