Gelesen: Jardine Libaire „Uns gehört die Nacht“

Jardine Libaires Debütroman „Uns gehört die Nacht“ ist wieder einmal ein Paradebeispiel dafür, dass es nicht nur darauf ankommt was man zu erzählen hat, sondern auch wie man es tut. Die Geschichte von „Uns gehört die Nacht“ lässt sich leicht zusammenfassen und könnte auch einem der vielen Romänchen entstammen, die im Fahrwasser des ohnehin schon unsäglichen „50 Shades of Grey“-Phänomen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind: Millionärsspross und Yale-Student verliebt sich in ein Mädchen ohne Schulbabschluss, Halb-Puertoricanerin aus einfachen bis kriminellen Verhältnissen. Seine Familie, eine einflussreiche Dynastie von Investmentbankern, tut alles in ihrer Macht stehende um die Beziehung zu verhindern. Aber die Verbindung zwischen den beiden ist, vor allem nachdem er seine anfänglichen Ressentiments überwunden hat, zu stark, erst auf sexueller, später auch auf emotionaler Ebene. Und sie scheint von Anfang an dazu verdammt, auf einen Abgrund zuzusteuern.

Wer eine locker flockige Liebesgeschichte mit einem Schuss Erotik und dem nötigen Quäntchen Dramatik erwartet, dürfte von „Uns gehört die Nacht“ eher irritiert sein. Denn Jardine Libaire tut etwas ungewöhnliches – sie erzählt eine Liebesgeschichte, ohne dabei um die Gunst ihrer Leser*innen zu buhlen, weder inhaltlich, noch stilistisch. Es scheint ihr relativ egal, ob man ihre Figuren mag. Das liegt auch daran, dass ihre beiden Hauptcharaktere, die rebellische Elise und der versnobte Jamey, sich beide nie darum geschert haben anderen zu gefallen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Und trotzdem funktioniert es, dass man sich für ihre Entwicklung interessiert und an ihnen dran bleibt. Libaires Sprache strotzt nur so vor Künstlichkeit, und trotzdem findet man hier mehr Authentizität als in den meisten modernen Liebesgeschichten. In den (gar nicht mal so vielen) erotischen Momenten hat man das Gefühl, man habe es mit richtigen Körpern zu tun, die transpirieren und deren Haut Falten wirft. Wenig Hochglanz, aber auch angenehm wenig Schmuddel. Emotional lassen einen Elise’ und Jameys Lebensdilemmata, trotz aller sprachlichen Überhöhung, auch nicht kalt.

Zusätzlich zum Gelingen dieses ungewöhnlichen Romandebüts tragen Atmosphäre und Setting ihren Teil bei. Jardine Libaire lässt ihre Geschichte in New Haven und New York der achtziger Jahre spielen. Die Kapitel sind nach Monaten unterteilt, anderthalb Jahre dürfen wir auf diese Weise Elise‘ und Jameys Amour-Fou beiwohnen. In den Wintermonaten pfeift der Wind und beißt die Kälte, im Sommer tropft der Schweiß mit derartiger Intensität, dass man es fast körperlich spürt. Und auch der Geist der Achtziger schwebt mit einem Hauch von „Pretty in Pink“ über allem, ohne dass Jardine Libaire in die Falle tappt, sich zu sehr mit Beschreibungen von Gegenständen und Outfits aufzuhalten. Das, was sie wie zufällig einfließen lässt, genügt um das Bild zu vervollständigen. Im Original heißt ihr Roman übrigens „White Fur“, was in der Tat ein viel schönerer Titel ist, denn Elise’ weißer Pelzmantel spielt eine immer wiederkehrende Rolle.

Es wäre zu viel zu behaupten, Jardine Libaire definiere mit ihrem Debüt das Genre des erotischen Liebesromans neu. Was sie definitiv von der Masse abhebt, ist ihre gewöhnungsbedürftige, aber außergewöhnliche Sprache und vor allem die glühende Leidenschaft, die nicht nur Elise und Jamey verbindet. Die Bilder, die Jardine Libaire kreiert, die Atmosphäre, wie sie völlig schamlos mit Worten und Metaphern um sich wirft, all das ist lustvoll und leidenschaftlich im gesamten. Und dann passiert noch etwas erstaunliches: die Geschichte mag nicht neu und nicht originell sein, und trotzdem, nachdem man lange genug geglaubt hat zu wissen wie der Hase läuft, weiß Jardine Libaire zum Ende hin plötzlich zu überraschen. Das kann man alles machen, man braucht nur ein entsprechendes erzählerisches Talent dafür. Und davon scheint Jardine Libaire eine Menge zu besitzen.

Info: Jardine Libaire, geboren 1973 in New York, veröffentlichte Kurzgeschichten im „New York Magazine“, der „Los Angeles Review of Books“ und in „Elle“. Sie lebt in Austin, Texas, wo sie ehrenamtlich für Truth Be Told arbeitet, ein Hilfsprogramm für Frauen im Gefängnis. Ihr erster Roman „Uns gehört die Nacht“ ist in deutscher Übersetzung im Diogenes Verlag erschienen. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.jardinelibaire.com

www.diogenes.ch