Es sind einfache Worte, mit denen der Sklavenfänger Ridgeway den Geist des neuen Kontinents zusammen fasst: „Wenn der rote Mann sein Land behalten sollte, dann besäße er es immer noch. Wenn es dem weißen Mann nicht bestimmt wäre, diese neue Welt in Besitz zu nehmen, dann würde sie ihm jetzt nicht gehören.“ Man nennt es den amerikanischen Imperativ: „…der wahre Große Geist, der göttliche Strang, der alles menschliche Streben miteinander verband…“ Sei es der Kontinent, auf dem man lebt oder der Sklave, der die Arbeit für einen verrichtet: „…wenn du es halten kannst, gehört es dir.“ Es bedarf offensichtlich keine größere ideologische Denkweise, um die Vorherrschaft der weißen Rasse zu rechtfertigen. Die Einfachheit der Theorie erinnert auf gruselige Weise an die simple Rhetorik, mit der jemand wie Donald Trump an seine Gefolgschaft appelliert. Weil ich’s kann! Das lässt sich doch ganz prima auf Baseball Caps sticken.
Der amerikanische Schriftsteller Colson Whitehead schuf mit seinem neuesten Roman „Underground Railroad“ ein modernes Epos über die Zeit der Sklaverei in den Vereinigten Staaten und traf damit, leider so stark wie seit langem nicht mehr, den Zahn der Zeit. Auszeichnungen mit dem National Book Award, dem Pulitzer Preis und dem Ritterschlag der Aufnahme in Oprah’s Book Club folgten. Barack Obama erklärte „Underground Railroad“ zu einem Must-Read, während im weißen Haus ein Präsident sitzt, der sich mit schwammigen Worten an der Verurteilung der ihn zum Held stilisierenden White Supremacy Bewegung vorbei schlawinert und, ganz davon mal abgesehen, selbst erklärt gar keine Bücher liest.
Die Sklaverei wurde in den USA 1865 abgeschafft. Fast 100 Jahre später war es immer noch üblich, dass schwarze Amerikaner eigene Toiletten, Eingänge und Plätze in öffentlichen Verkehrsmitteln nutzen mussten. Besonders da Colson Whitehead sich in „Underground Railroad“, was sein örtliches und zeitliches Setting betrifft, nur begrenzt an Fakten hält, wird sein Roman mehr zu einer Fabel über das Schwarzsein in den USA als zu einem historischen Roman. Und nimmt dadurch an Durchschlagkraft letztendlich nur noch zu.
Der Kampf seiner Figuren ist real. Er beginnt bei der Sklavin Ajarry und führt über deren Tochter Mabel zu ihrer Enkelin Cora, drei Generationen von Sklavinnen auf der Randall Plantage in Georgia. Mabel gilt als die einzige, der je erfolgreich die Flucht gelang, selbst der berüchtigte Sklavenfänger Ridgeway schaffte es nie, sie ausfindig zu machen und ihrem Besitzer zurückzuführen. Als der moderatere der beiden Randall Brüder stirbt und der sadistische Terrance die zuvor aufgeteilte Plantage übernimmt, gelingt es Sklave Caesar, auch Cora zur Flucht zu überreden. Caesar unterhält Kontakte zur Underground Railroad, einem Netzwerk von Abolitionisten, die ihr Leben dafür einsetzen, Sklaven den Weg in die Freiheit zu ermöglichen. Die Aktivisten der Underground Railroad gab es tatsächlich, bei Colson Whitehead wird die Railroad zur bildlichen Realität. Ein Netzwerk von unterirdischen Gleisen, Bahnhöfe unter Farmhäusern, betrieben von skurrilen Bahnhofsvorstehern und Lokomotivführern. Manchmal ist es eine Dampflock mit Anhänger, mal auch nur eine Draisine, die den Weg in die Freiheit verspricht.
Cora und Caesar durchlaufen verschiedene Stationen auf ihrem Weg, aber wahre Freiheit ist schwer zu erreichen. In South Carolina findet Cora Unterkunft und Arbeit, aber die angeblichen Versuche zur Integration entpuppen sich als ein System zur Auslöschung der schwarzen Rasse. Cora wird die Sterilisation nahe gelegt, während sie sich noch wehrt, wird die Operationen an immer mehr Frauen im Wohnheim vorgenommen. Andere verschwinden ganz. Auch in dieser Episode hält Whitehead sich nicht an historische Fakten, ähnlich geartete Zwangssterilisationsprogramme gab es in den USA jedoch tatsächlich, und das, viel erschreckender, noch bis zu Beginn der achtziger Jahre. Es geht nicht um die Vermittlung von Tatsachen, sehr wohl aber um Wahrheiten. Die Dinge, die Cora widerfahren sind exemplarisch und verlieren nichts von ihrer Wahrheit, auch wenn Whitehead sie mit Kuriositäten und Fantastischem vermischt.
Von seiner Struktur her ist „Underground Railroad“ furios, stilistisch schlichtweg brillant. Orte und persönliche Perspektiven wechseln sich ab und wer glaubt zu wissen in welche Richtung es als nächstes geht, wird schnell eines Besseren belehrt. Es ist ein literarischer Trip, auf den Colson Whitehead einen mitnimmt, den Quentin Tarantino sich kongenial für die Leinwand ausgedacht haben könnte. Nur dass Whitehead immer noch einen Schritt weiter geht, indem er selbst den kleinsten Figuren Gesicht und Tiefe verleiht. In den Erzählstruktur lassen sich aber viele Parallelen zu Meister Tarantino finden. Die Brutalität, aber auch die Poesie, das Aufkommen von Hoffnung und die gnadenlose Zerstören derselbigen. Colson Whiteheads Sprache ist schlichtweg bildgewaltig. So kommt selbst der finale Funken Hoffnung als buchstäbliches Licht am Ende des Tunnels daher, dem Cora auf einer Draisine entgegen reitet.
Info: „Undergroudn Railroad“ von Colson Whitehead ist in der deutschen Übersetzung von Nikolaus Stingl im Hanser Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier.
Gelesen von: Gabi Rudolph