Gelesen: Banana Yoshimoto „Erinnerungen aus der Sackgasse“

So fremd, seltsam und schön ist sie, die Welt von Banana Yoshimoto. Und dabei in ihrer Fremdheit ganz vertraut – wer sich mit dem Werk der japanischen Autorin intensiver auseinandersetzt wird nicht nur ihre charakteristische Erzählweise leicht wieder erkennen, auch bestimmte erzählerische Elemente kehren bei ihr immer wieder: Verlust, Tod, unerfüllte Liebe, geschlechtliche Identität und die Begegnung mit dem Übersinnlichen, die sich bei ihr immer nahtlos in den Alltag einfügt.
Das mag auf den ersten Blick thematisch deprimierend klingen. Tatsächlich ist vor allem Banana Yoshimotos neueste Veröffentlichung (nach ihrem 2016 erschienenen Roman „Lebensgeister“) der Erzählband „Erinnerungen aus der Sackgasse“, nicht unbedingt die locker leichte Sommerlektüre, die man sich mal schnell in den Koffer packt. Und irgendwie dann wieder doch. Denn auch das haben die Geschichten von Banana Yoshimoto stets gemein: diese nahezu mystische Leichtigkeit, mit der sie daher kommen. Bei Banana Yoshimoto ist alles Leben, das Düstere und das Helle, alles hat Facetten, so ist es nunmal.
Im Nachwort schreibt Yoshimoto selbst, dass die Erzählungen in „Erinnerungen aus der Sackgasse“ für sie die persönlichsten und gleichzeitig traurigsten sind, die sie je geschrieben hat. Sie entschuldigt sich nahezu dafür, dem Leser etwas derartig Trauriges zuzumuten und beschreibt gleichzeitig das Gefühl, das sich beim Schreiben bei ihr eingestellt hat: das Gefühl „ein wenig von der Bitterkeit am Grunde meines Herzens weggewaschen zu haben“. Und hofft, dass es einem beim Lesen ebenso ergeht.
Tatsächlich ist dies genau der Effekt, der sich bei „Erinnerungen aus der Sackgasse“ einstellt. Denn es geht hier immer wieder um das Überwinden von Widerständen und Trauer, nicht um das sich darin Suhlen. So zum Beispiel die Titelgeschichte von der unerfahrenen Mimi, die spürt, dass ihr in einer anderen Stadt lebender Verlobter Takanashi sich ihr mehr und mehr entzieht. Als sie sich schließlich entschließt zu ihm zu fahren und für klare Verhältnisse zu sorgen, muss sie feststellen, dass dort das schlimmstmögliche Beziehungsende auf sie wartet. Statt in den sicheren Schoß ihrer Familie zurückzukehren und ihre Wunden zu lecken, bezieht Mimi ein Zimmer über der Kneipe ihres Onkels und freundet sich mit dem dort arbeitenden Nishiyama an. Eine Erfahrung, die trotz des damit verbundenen Schmerzes zu der besten Zeit ihres Lebens wird.
In „Das Geisterhaus“ treffen Setchan und Iwakura aufeinander. Iwakura ist der letzte Mieter in einem fast verfallenen Haus und teilt sich seine Wohnung mit den Geistern des alten Ehepaares, das vor ihm dort gelebt hat. Die friedlichen Geister schaffen eine Verbindung zwischen den beiden jungen Leuten, die entgegen aller Widerstände am Ende zu einem Liebes-Happy-End führt. In „Überhaupt nicht warm“ erinnert die Schriftstellerin Mitsuyo an ihren liebsten Kindheitsfreund Makoto, der ihr durch ein Familiendrama entrissen wird. In „Maamaaa!“ wird eine junge Frau Opfer eines Giftanschlags und wird im Genesungsprozess mit der Erinnerung an ihre Mutter konfrontiert.
Jede der Geschichten ist in ihrer Kürze perfekt auserzählt, bis auf die über „Tomos Glück“. Sie wirkt im Gegensatz zu den anderen eher unfertig und fragmentarisch. Auch entfernt sich Banana Yoshimoto hier von der sonst für sie typischen Ich-Erzählweise, durch die man so besonders leicht in ihre Figuren schlüpft. Insgesamt sind die „Erinnerungen aus der Sackgasse“ aber kleine, runde Erzählperlen, die sich perfekt in das Universum von Banana Yoshimoto einfügen. Und deshalb, wie alles von ihr, im gleichen Maße wunderbar traurig und glücklich machen.

Info: Banana Yoshimoto zählt seit ihrem Debütroman „Kitchen“ zu den erfolgreichsten AutorInnen Japans. Ihr Erzählband „Erinnerungen aus der Sackgasse“ ist im Diogenes Verlag erschienen. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.diogenes.ch