Gelesen: Alexa Hennig von Lange „Kampfsterne“

„Es könnte alles so schön sein…“ Mit diesem Spruch ist Alexa Hennig von Langes neuer Roman „Kampfsterne“ bereits perfekt auf den Punkt gebracht. Die Figuren – die Paare Ulla und Rainer, Rita und Georg und ihre jeweiligen Kinder – haben eigentlich alles, was man für ein zufriedenes, gutbürgerliches Leben braucht. Sie leben Mitte der Achtziger Jahre in Deutschland in einer Wohnsiedlung, sie treffen sich zu Gartenparties, versuchen ihre Kinder zu gebildeten, musikalischen Wesen zu erziehen, pflegen Hobbies wie Malerei und Töpferei, richten ihre Häuser ein und kultivieren ihre Gärten. Doch anstatt in diesem gepflegten Miteinander ungestört ihr jeweiliges Leben zu führen, umkreisen sie einander wie Kampfsterne: die Mütter ihre Töchter, die Kinder ihre Eltern, die Männer ihre Frauen, die Frauen einander.
Rita ist eifersüchtig auf ihre Nachbarin Ulla, vor allem auf deren kleine Tochter Lexchen. Die hat vor einer Weile aufgehört zu wachsen und verzaubert, obwohl inzwischen neun Jahre alt, immer noch alle mühelos mit ihren roten Haaren, ihren Sommersprossen und ihrem kleinkindlichen Charme. Ritas Kinder sind nicht niedlich und kriegen weniger Aufmerksamkeit, obwohl sie doch viel mehr leisten, schließlich ist ihre Tochter Klara ein Geigengenie. Und auch ihr Ehemann Georg ist so viel unmännlicher als Ullas Mann Rainer. Alles sehr unbefriedigend für Rita.
Ulla selbst hat ihre ganz eigenen Probleme. Ihr Mann Rainer ist nämlich nicht nur besonders männlich, er schlägt sie auch vor den Kindern. Lexchen hat wie gesagt das Wachsen eingestellt, während die ältere Tochter Cotsch den Kinderschuhen etwas zu stark entwachsen scheint und allen Jungs und Männern in der Siedlung den Kopf verdreht. Als Cotsch von Falk, zu dem die Kinder zum Instrumentalunterricht gehen, vergewaltigt wird, stößt Ulla an ihre Grenzen als Mutter. Muss sie ihrer Tochter jetzt beistehen? Oder sie dafür zurechtweisen, dass sie ihre Reize zu sehr zur Schau trägt?
Rita verachtet ihren Mann Georg, hat aber Gefühle für Ulla, die sie versucht zu katalysieren, in dem sie Ulla demütigt. Und sie will einfach auch so ein Kind wie Lexchen haben – warum dann nicht gleich Lexchen selbst? Die „Kampfsterne“ bewegen sich unaufhaltsam aufeinander zu, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie alle miteinander explodieren.
Dass aus dem richtigen Umfeld nicht automatisch das richtige Leben entsteht, ist kein neues, aber immer wieder ein dankbares Thema. Alexa Hennig von Lange beobachtet ihre Figuren mit Scharfsinn und strukturiert die Geschichte straff in kurzen Kapiteln, in denen jeder der erwachsenen und kindlichen Protagonisten abwechselnd zu Wort kommt. Um mit „Kampfsterne“ warm zu werden, muss man vor allem mit zwei Dingen zurecht kommen: der sprachlichen Künstlichkeit, denn der erzählerische Duktus wechselt nicht von Person zu Person, es geht hier nicht darum, die realistische Sprachwelt einer neunjährigen oder die eines Teenagers abzubilden. Die Distanz die dadurch entsteht hat aber durchaus ihren Reiz, sie passt zu der emotionalen Unterkühltheit, mit der vor allem die erwachsenen Figuren zu kämpfen haben, zu dem mangelnden Verständnis, mit dem sie ihren Kindern gegenüberstehen. Und zum anderen ist es natürlich die alles beherrschende Negativität, mit der man es hier zu tun hat. So richtig will man sich mit keiner der Personen auseinandersetzen, und wie vor allem die Mütter ihre Probleme handhaben, wie sie sich daran abarbeiten, modern und aufgeklärt zu erscheinen und dabei völlig den Draht zu ihren Kindern verlieren, ist streckenweise kaum zu ertragen. Aber damit hat Alexa Hennig von Lange auch genau das erreicht, was offensichtlich ihr Ziel war: uns das Schaudern darüber zu lernen, wieviele Abgründe im Gutbürgerlichen lauern, wie weit gut und gut gemeint voneinander entfernt liegen können. Und dass einem die besten Erziehungs- und Lebenskonzepte nichts nützen, wenn einem der Zugang zu den einfachsten emotionalen Vorgängen fehlt.

Info: Alexa Hennig von Lange, geboren 1973 in Hannover, gilt seit ihrem 1997 erschienenen Debütroman zu einer der wichtigsten Autorinnen ihrer Generation. Ihr neuer Roman „Kampfsterne“ ist im DuMont Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Dort gibt es auch eine Leseprobe. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.dumont-verlag.de