Gehört: Phoebe Bridgers „Punisher“

So ganz deutlich ist es auf Anhieb nicht, in welchen Sphären sich Phoebe Bridgers eigentlich bewegt. Für eine klassische Singer-Songwriterin ist ihr Sound zu ungewöhnlich, für gängigen Pop ihre Songs zu tiefsinnig. Indie ist das was sie macht gewiss auf seine Weise, dabei aber auch sanft und zugänglich. Und emo ist ihre Haltung ganz bestimmt, aber nicht auf die übliche „ach-wie-schwer-ist-das-Leben-doch“ Art. Phoebe Bridgers jammert nicht, sie säuselt und klagt, liebkost einen dabei und lässt dann plötzlich wieder den ihr eigenen, gerne auch mal düsteren Humor aufblitzen. 

Phoebe Bridgers ist gerade mal 25 Jahre alt. Als sie mit Anfang 20 ihr weit beachtetes Debütalbum „Stranger In The Alpes“ veröffentlichte, durfte sie erfahren wie die Industrie versucht, hinter dem Erfolg (und vor allem der unleugbaren kreativen Qualität) einer jungen Künstlerin einen Mann auszumachen, der die Fäden in der Hand hält. Anfang 2019 gehörte sie zu einer Reihe von Musikerinnen, die mithilfe eines Artikels in der New York Times Ryan Adams körperlichen und psychischen Missbrauch vorwarfen. Als „Stranger In The Alpes“ erschien, hatte sie sich aus der toxischen Beziehung bereits befreit, ihre Erfahrung verarbeitete sie unter anderem in dem Song „Motion Sickness“, der sie einem breiterem Publikum zugänglich machte. Phoebe Bridgers braucht keinen männlichen Strippenzieher im Hintergrund, sie hat ihr Leben und ihre außerordentliche Kreativität selbst in der Hand. Sie gehört zu den aktivsten Künstlerinnen unserer Zeit, sie gründete gemeinsam mit Lucy Dacus und Julien Baker die Supergroup boygenius und veröffentlichte gemeinsam mit Conor Oberst ein Album unter dem Projektnamen Better Oblivion Community Center. Und trotzdem bleibt immer noch Raum für mehr, mehr Entwicklung, mehr Kreativität, mehr Freiheit. Ihr neues Album „Punisher“ klingt wie der nächste logische Befreiungsschlag. 

Dass man sich dem Charme ihrer Songs nur schwer entziehen kann, liegt an ihrer Ehrlichkeit, dem Mut zur Verletzlichkeit und dem bei ihr wenig vorhandenen Bestreben, sowohl als Frau als auch als Künstlerin in irgendeiner Weise „glatt“ zu sein. Ihre Songs handeln von Liebe, vermitteln aber kein romantisiertes Weltbild. Auch bleibt stets Raum für Widersprüchlichkeit. In „Kyoto“ erzählt sie von dem Gefühl, sich an einem eigentlich perfekten Ort trotzdem falsch zu fühlen. In „I See You“, das von einer vergangenen Beziehung erzählt, findet sie das vielleicht schönste Bild für das Gefühl, jemandem zu nahe zu stehen: „If you’re a work of art, I am standing too close, I can feel the brush strokes“. Und setzt hinterher: „I hate your mom, I hate it when she opens her mouth“. Hände hoch, wer sich noch nie ähnlich gefühlt hat.

Musikalisch pendelt „Punisher“ zwischen Zurückhaltung, Verspieltheit und sanftem Bombast. Das den Abschluss bildende „I Know The End“ ist vielleicht das größte Stück Musik, das Phoebe Bridgers bisher geschrieben hat, immer hymnischer schraubt es sich in die Höhe. Das Grundtempo des Albums ist ein sanftes, das energetische „Kyoto“ bildet eher eine Ausnahme. Gleichzeitig lässt sie sich stilistisch wenig festlegen, was zum Beispiel „Graceland Too“ beweist, das mit Banjo, Geige und Country-Anleihen überrascht. Insgesamt vermittelt das Album das Bild einer Musikerin, die in jungen Jahren schon unglaublich weit gekommen ist und trotzdem ihr Potential mit Sicherheit noch sehr viel weiter ausschöpfen wird. Hinzu kommt ihr offener Umgang mit dem Thema Mental Health, was mit Sicherheit dazu beiträgt, dass ihre Songs einen auf emotionaler Ebene so stark berühren. Man möchte sie die ganze Zeit in den Arm nehmen, aber weniger um sie zu betütteln, sondern mehr, um ihr für ihre Offenheit und nicht zuletzt für ihre wunderbare Kunst zu danken.

VÖ: 18.06.2020 auf Dead Oceans