Gemeinsam mit dem New Yorker Rapper 645AR veröffentlichte FKA Twigs diese Woche die Single „Sum Bout U“ nebst Video. Darin präsentiert sie sich als Webcam Girl, während 645AR sie am heimischen Computer in sexy Outfits und Posen beobachtet, mit ihr chattet und für ihre Dienste bezahlt. Die Anspielung zu Anfang des Videos, FKA Twigs habe nun einen „OnlyCam“ Account bezieht sich auf das Social Media Portal „OnlyFans“, auf dem sich User unmittelbar für ihre Inhalte bezahlen lassen, die gerne auch mal erotischer Natur sind. „OnlyFans“ erfreut sich vor allem bei jungen Frauen zunehmender Beliebtheit.
Zusammen mit der Veröffentlichung des Videos teilte FKA Twigs auf ihrem Instagram Account einen Post, in dem sie sich erstmals über ihre Vergangenheit und ihre persönliche Beziehung zur Strip-, Poledance- und Erotik-Kultur äußerte, die in ihrem künstlerischen Schaffen eine große Rolle spielt. Darin erzählt sie, wie sie mit 19 Jahren von einer Stripperin ihre ersten Poledance-Moves lernte, als sie in einem Club als Hostess arbeitete und gegen Geld ihre Zeit, Gespräche und sexuelle Dienstleistungen anbot. Die sehr persönliche Enthüllung verbindet sie mit einer GoFundMe Kampagne, deren Erlös den Organisationen SWARM, Lysistrata und ELSC (East London Stripper Collective) zukommen soll, die direkte finanzielle Unterstützung für Stripper*innen und Sexarbeiter*innen stellen. Damit möchte sie auf die wenig diskutierte Tatsache aufmerksam machen, dass die Existenz zahlloser Beschäftigter in der Erotikbranche aktuell durch die Corona-Krise schwer bedroht ist. Sie selbst eröffnete die Kampagne mit einer Spende von 10.000 Pfund und kündigte außerdem einen Instagram-Takeover durch die drei Institutionen an, um für eine stärkere öffentliche Auseinandersetzung mit der Thematik zu sorgen.
Wie zu erwarten sorgte der Post für Kontroverse, allerdings nicht so, wie man vielleicht denken würde. Der Stein des Anstoßes war für viele nicht die Enthüllung selbst, sondern die Tatsache, dass FKA Twigs sich erst jetzt öffentlich zu ihrer Vergangenheit bekennt. Motive aus der Erotikindustrie wie Poledance, Striptease und entsprechende Kostüme wie Strip-Bikinis und Plateau-Stilettos bilden ein Schlüsselelement in ihrer Kunst. Aktivist*innen aus der Sexarbeiter-Branche beklagen deshalb schon länger, dass sie sich gegenüber der Herkunft ihrer Inspiration zu wenig transparent zeige und so nicht ihre Plattform nutze, um Sexarbeit und der Erotikindustrie ein positives Forum zu bieten. Tatsächlich ist FKA Twigs maßgeblich an dem Hype beteiligt, der in den letzten Jahren um Striptease und Poledance entstanden ist und der dazu führt, dass immer mehr Frauen außerhalb der Sexindustrie die einst umstrittene Kunst als Freizeitsport betreiben und sie damit augenscheinlich aus der Schmuddelecke herausholen. Was auf den ersten Blick positiv wirkt, nutzt den Frauen, die diese Kunst betreiben, um zum Großteil unter harten Umständen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, letztendlich wenig. Im Gegenteil, viele fühlen sich durch diese Form der kulturellen Aneignung noch mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt.
In den sozialen Medien erhöhte sich der Druck auf FKA Twigs mit der Zeit immer mehr. Aktivist*innen warfen ihr vor, den Frauen, von denen sie ihre Tanzkünste gelernt hat, zu wenig Tribut zu zollen, sich die Ästhetik der Sexindustrie anzueignen und sie massentauglich zu machen, sie zu glamourisieren und damit die Lebensrealitäten echter Sexarbeiter*innen zu verleugnen. Auch soll sie kritische Kommentare von Aktivist*innen auf ihren Kanälen gelöscht haben, die sich dadurch zum Schweigen gebracht fühlten.
Die Position der Sexarbeiter*innen wirkt hart und gleichzeitig einleuchtend. In ihrem vollen Ausmaß ist sie mit Sicherheit schwer nachzuvollziehen, wenn man sich nicht selbst in der entsprechenden Lebenslage befindet. Kritisch betrachten sollte man aber auch die Tatsache, dass es sich bei einem derartigen Geständnis um eine sehr persönliche Angelegenheit handelt, die viel Kraft und Mut erfordert und es Außenstehenden schwerlich zusteht, über den richtigen Zeitpunkt zu entscheiden, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. So ließ FKA Twigs in einem Kommentar zu ihrem Post verlauten, dass sie sich dem Druck letztendlich gebeugt habe: „(…) I wasn’t ready, but it’s ok. There is a bigger picture here“, schreibt sie.
Letztendlich kann aus dem Diskurs nur Positives entstehen. Eine Stripperin namens Selena, die FKA Twigs in der Vergangenheit auf ihrem Instagram Account kritisiert hatte, erklärte in der Zwischenzeit, dass sie sich mit ihr im Gespräch befinde. Durch die GoFundMe Kampagne sind bereits über 15.000 Pfund zusammen gekommen. Und nicht zuletzt sprachen viele, auch andere Künstler*innen, FKA Twigs zurecht große Anerkennung für ihre Offenheit aus. Die Existenzbedrohung, die die Corona-Krise unter Sexarbeiter*innen ausgelöst hat, ist ein Thema, das eine breitere Öffentlichkeit verdient. Die Krise sollte aber auch Anlass geben zu einer weiterführenden Auseinandersetzung mit dem Bedürfnis nach Schutz und sozialer Anerkennung von Sexarbeiter*innen. Und FKA Twigs kann jetzt, da sie ihre Kunst verstärkt mit sozialem Engagement paar, noch mehr dazu beitragen.