Esther Abrami hat es sich zum Ziel gemacht, uns die Welt der klassischen Musik zu öffnen und sie uns mit anderen Augen sehen zu lassen. Sie ist nicht nur eine herausragende Violinistin, die erst kürzlich ihr Debütalbum auf Sony Classic veröffentlicht hat, sondern auch eine erfolgreiche Influencerin, die mit ihren Posts auf TikTok und Instagram hunderttausende Menschen erreicht. Darin gibt die 25 jährige Französin Einblicke in ihr Leben als klassische Musikerin, verrät Tipps und Tricks und nimmt ihre Branche auch immer mal wieder charmant aufs Korn. Ebenfalls präsent: ihre Liebe zu Katzen und anderen Tieren und ihr unleugbarer Sinn für Stil und Styling.
Ich gebe zu, ich bin nicht besonders bewandert in klassischer Musik, aber eines meiner größten Interessen ist das Standing von Frauen in der Musikbranche. Esther Abrami hat sich hier bestimmt nicht das einfachste Feld ausgesucht, aber, wie sie mir im Gespräch verrät, begegnet sie den Herausforderungen und gelegentlichen Tücken der klassischen Musikwelt mit einer bewundernswerten Mischung aus Selbstbewusstsein, Scharfsinn, Fingerspitzengefühl und Humor. Und sie wäre nicht dort, wo sie jetzt ist, mit einem frisch erschienen Album und ihrem kürzlich erfolgten Debüt auf der Bühne der Royal Albert Hall im Gepäck, wenn sie nicht umwerfend talentiert und bewundernswert ehrgeizig wäre.
Ich wollte zu Beginn etwas in den Raum werfen. Ich habe einmal mit einem Pianisten gesprochen. Und ich habe ihn gefragt, wie man Kinder dabei unterstützt, dran zu bleiben, wenn sie ein Instrument lernen. Er meinte zu mir: wenn sie nicht dran bleiben, sind sie einfach glückliche Kinder (Esther lacht). Du wirkst nicht unglücklich auf mich.
Das stimmt. Ich bin sehr glücklich.
Aber was hat dir geholfen, an einem so schwierigen Instrument wie der Geige dran zu bleiben?
Ich glaube, das ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Ich persönlich hatte einfach eine sehr starke, sehr schöne Beziehung zu dem Instrument von meiner allerersten Stunde an. Ich erinnere mich genau daran, wie der allererste Ton sich angefühlt hat, den ich auf der Geige erzeugt habe. Ich habe den Ton im Körper gespürt, es hat sich angefühlt, als wäre es meine eigene Stimme, die nach außen kommt. Das hat mich sehr berührt. Von dem Moment an wollte ich Violinistin werden. Ich habe das für mich entschieden und bin nie davon abgekommen. Ich denke, das ist selten und geht nicht vielen Menschen so. Und im allgemeinen, damit Kinder dabei bleiben denke ich, ist es wichtig, dass sie Vorbilder haben. Dass sie die Möglichkeit haben, zu jemandem aufzuschauen, sich selbst in jemandem zu sehen. Ich glaube, in der klassischen Musik fehlt es daran ein wenig. Wenn man nicht eine ganz, ganz enge Bindung zu der Musik selbst hat, kann es schwierig sein, Inspiration zu finden. Deshalb benutze ich Social Media, um zu zeigen, wie es aussieht, klassische Musikerin zu sein, wie mein Leben aussieht. Ich versuche, die verschiedenen Seiten davon zu zeigen. Mir schreiben viele Leute, meine Posts hätten sie inspiriert, die Geige in die Hand zu nehmen. Das macht mich sehr glücklich. Der erste Schritt ist natürlich, zu Konzerten zu gehen und klassische Musik unmittelbar zu erleben. Aber dann ist es besonders wichtig, Vorbilder zu finden, die lebendig sind, die greifbar sind, mit denen man sich identifizieren kann.
Hattest du denn solche Vorbilder, als du aufgewachsen bist?
Meine Großmutter war Geigerin. Sie hat aufgehört zu spielen, als sie geheiratet hat. Ich habe sie also nie wirklich spielen hören. Aber sie hat mir meine erste Geige geschenkt. Ich hatte tatsächlich kein direktes Vorbild. Meine Eltern kommen nicht aus der Musik. Es war immer mehr ein großer Traum für mich. Die Vorbilder, die ich hatte, waren nie jemand, den ich direkt kannte oder getroffen hatte. Ich hatte einfach nur eine große Leidenschaft für die Musik, von Anfang an. Es ist eine meiner großen Eigenschaften, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, gebe ich nie auf, bis ich bekommen habe was ich will (lacht). Ich habe nie aufgegeben, auch wenn es wirklich schwere Zeiten gab. Es ist ein harter Beruf. Besonders wenn man nicht aus einer Musikerfamilie kommt. Meine Eltern haben mich stets sehr unterstützt, aber sie hatten genauso wenig Ahnung wie ich, wie man das Ganze angeht. Sie wussten nicht, wie ich Zugang zu dem bekomme was nötig ist, um tatsächlich einen Beruf daraus zu machen. Wenn du nicht von Anfang an in bestimmten Kreisen bist, ist es sehr schwer, hineinzukommen. Mit 14 bin ich nach England auf die Chetham’s School of Music gekommen, eine internationale Schule. Jeder dort wollte professionelle*r Musiker*in werden. Ich war das einzige Mädchen dort, das von einer kleinen, französischen Dorfschule kam. Sie haben mich aufgenommen, weil sie mein Potential erkannt haben, aber ich hing allen weit hinterher, was Technik anging. Mir wurde erst nach und nach bewusst, was ich alles nachholen musste. Ich habe jeden Tag viele, viele Stunden gearbeitet, um das aufzuholen. Dann war die große Frage: was passiert als nächstes? Ich habe wie verrückt geübt, aber ich hatte keinerlei Kontakte in der Musikindustrie. Ich kannte niemanden und niemand kannte mich. In der klassischen Musik gibt es nicht viele Wege es zu schaffen – zumindest wird uns das erzählt. Entweder gewinnst du einen renommierten Wettbewerb, oder du bist das Protegé eines*r berühmten Lehrer*in. Ich habe meinen eigenen Weg gefunden, aber das war sehr viel Arbeit. Auch das versuche ich zu zeigen. Auch wenn du kein Wunderkind bist und mit 14 Jahren noch keine Konzerte mit vollem Orchester spielst, kannst du deine Träume verwirklichen. Ich habe mein erstes Konzert als Solistin mit 21 Jahren gespielt. Kinder kommen mit 13 Jahren zu mir und fragen mich, ob es schon zu spät für sie ist, ob sie aufgeben sollen, weil sie gerade erst angefangen haben. Nein! Es gibt so viele verschiedene Wege, deine Träume zu verwirklichen.
Man ist tatsächlich alt, wenn man mit 21 sein erstes Konzert spielt?
Oh ja! Zum Glück ändert sich das gerade ein wenig. Man legt mehr Wert auf Originalität und ist offener für unterschiedliche Wege. Ich erlebe das zum Glück um mich herum, wie Menschen ihre eigene Stimme finden und sie ausdrücken. Das ist schön und sehr inspirierend.
Und dann kommt noch dazu, die wenigsten haben die Chance, ihre eigene Musik zu veröffentlichen, so wie du…
Das ist tatsächlich ein Traum, der wahr geworden ist. Das habe ich niemals erwartet, damit habe ich etwas Unglaubliches erreicht, etwas, das jede*r Musiker*in sich wünscht. Ich war immer noch Studentin, als das alles passiert ist. Plötzlich hatte ich neben dem Studium eine Karriere, die ich bewältigen musste, ganz allein. Es hat ganz schön lang gedauert, bis ich wirklich verstanden habe, was da gerade passiert. Ich glaube, ich habe es immer noch nicht ganz verstanden, obwohl mein Album inzwischen erschienen ist (lacht).
Ich mag sehr, wie du die Stücke für dein Album zusammen gestellt hast. Besonders, dass sich das Theme aus „Aristocats“ dazwischen geschlichen hat. Ich weiß, du hast ein Herz für Katzen.
Oh, ich liebe Katzen! Ich liebe Tiere überhaupt. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, hatte immer Tiere um mich herum. Ganz in der Nähe verläuft die Autobahn, dort werden leider oft Katzen ausgesetzt, wenn die Leute in Urlaub fahren und nicht wissen, wohin mit ihnen. Vor ein paar Jahren habe ich eine Frau kennengelernt, die ein Heim für Katzen betreibt, und wir haben angefangen, zusammen zu arbeiten. Meine Eltern und ich bieten Übergangsplätze für Katzen an, deshalb haben wir immer welche hier. Ich filme sie immer mal wieder für meine Videos, einige davon sind richtig viral gegangen, was wunderbar ist. Dadurch konnte ich Gelder für das Heim sammeln und Firmen schicken mir Sachen, die man dort für die Katzen gebrauchen kann. „Aristocats“ mit auf das Album zu nehmen war ein kleiner Scherz, den ich mir erlaubt habe, um all die Katzen in meinem Leben zu würdigen.
Okay, ich gebe es zu, ich habe als Kind auch angefangen, Geige zu lernen. Aber ich hatte tatsächlich eine richtige Klischee-Lehrerin, die uns mit dem Bogen auf die Finger gehauen hat, wenn wir die Geige nicht richtig gehalten haben.
Die richtige Lehrerin ist so wichtig, besonders am Anfang. Ich hatte in den ersten Jahren eine Lehrerin, die ich sehr gemocht habe, das hat mir definitiv geholfen. Ich kenne viele, die aufgehört hatten, weil sie die falsche Lehrerin hatten. Womit wir wieder beim Anfang wären. Wenn du möchtest, dass dein Kind dabei bleibt, pass auf, dass es die richtige Lehrerin hat. Und wenn es nicht gut läuft oder es seine Inspiration verliert, wechsle und finde jemanden, der es inspiriert und bei dem es sich auf die Stunde freut. Ich hatte nicht immer Glück, was das angeht, vor allem später. Einige haben nicht verstanden was ich tue und mich nicht darin unterstützt. Das war hart, aber wenn man etwas älter ist, kann man besser damit umgehen, wenn du schon einen inneren Plan für dich selbst hast.
Das ist sehr interessant, wie du das gerade gesagt hast. Dass man nicht daran geglaubt hat, wie du etwas tun willst. Wie hast du diese Sicherheit entwickelt, an deine eigene Intuition zu glauben?
Als Künstler*in hat man eine gute Verbindung zu seinen eigenen Gefühlen. Das hat mir immer geholfen. Manchmal ist es auch schwierig, weil alles, was um mich herum passiert, mich sehr stark berührt. Auf der positiven Seite habe ich dadurch ein sehr gutes Bauchgefühl. Ich wollte schon immer alles ganz genau verstehen. Ich hatte zum Beispiel einen Lehrer, der mir alles nur gezeigt hat und ich sollte es nachmachen. So funktioniert lernen für mich nicht. Er hat nie meine Fragen beantwortet sondern immer gesagt, ich soll einfach machen. Ich hatte immer mal wieder das Gefühl, dass vielleicht ich diejenige bin, die in diesem Fall recht hat. Also bin ich in die Bücherei gegangen und habe mir alle Bücher geholt, die ich über Spieltechnik finden konnte, habe versucht, es genau zu verstehen. Ich habe viele YouTube Tutorials geguckt. Das hat definitiv beeinflusst, wie ich angefangen habe, meine Musik zu teilen. Ich wollte zeigen, dass es verschiedene Wege gibt, wie man etwas machen kann. Das wurde am Anfang von den Menschen um mich herum, den Professoren und so weiter, nicht akzeptiert. Aber ich habe festgestellt, dass ich viel glücklicher bin, wenn ich es so mache, wie es sich für mich richtig anfühlt. Manchmal hat es nicht funktioniert und manchmal war es schwer. Aber wenn du das tust, woran du glaubst, sind selbst die harten Zeiten nicht so schwer zu überwinden. Ich möchte wirklich jeden dazu ermutigen, mehr auf sich selbst zu hören. Die Welt um uns herum versucht oft, das zu unterdrücken. Deshalb gibt es auch so unglaublich viel Konkurrenz in meiner Branche. Alle stellen sich in derselben Schlange an, weil sie denken, es gäbe nur einen Weg. Aber wenn ich das Gefühl habe, ich passe irgendwo nicht hinein, dann ist das nicht mein Problem. Wir haben alle unterschiedliche Stimmen und unterschiedliche Dinge zu sagen.
Hast du das Gefühl, dass dir als Frau in der klassischen Musik viele Vorurteile entgegen kommen? Ich bin mehr in der Popmusik bewandert, aber da ist zum Beispiel immer noch oft der Fall, dass man automatisch annimmt, hinter einer erfolgreichen Frau müsse ein Team stecken, im Zweifelsfall ein männliches.
Ich verstehe sehr gut, was du meinst. Ich habe deshalb meine eigene Podcast-Reihe gestartet über Frauen in der klassischen Musik. Ich lade dazu Frauen aus den verschiedensten Gewerken ein, nicht nur Musikerinnen, sondern auch Firmen CEOs, Radiomoderatorinnen etc. Es ist sehr interessant, mit ihnen über die Herausforderungen zu sprechen, mit denen sie sich als Frauen im Business täglich konfrontiert sehen. Das Feedback, das ich immer wieder bekomme ist: es ist so schön, darüber zu reden, einen Ort zu haben, an dem man zusammen kommen und sich darüber austauschen kann. Man behält so vieles für sich selbst und versucht einfach weiterzumachen. Ein Problem, auf das alle sich einigen können ist dieses: „du bist nicht dorthin gekommen, wo du jetzt bist, weil du hart gearbeitet hast. Da muss noch etwas anderes dahinten stecken.“ Damit versucht man dir den Stolz auf deine harte Arbeit zu nehmen. Als hättest du es als Frau leichter gehabt und würdest es nicht verdienen. Und es fängt so früh an. Als ich 15 war und bei einem strengen Lehrer eine gute Note bekommen habe, haben die Jungs in der Klasse gesagt: „Wir wissen schon, warum du die Note bekommen hast.“ Diese Kommentare haben niemanden schockiert, alle haben sie akzeptiert. Heute passiert es noch regelmäßig, dass Kritiker über mich schreiben: „Sie achtet in erster Linie darauf, dass sie gut aussieht, der Rest ergibt sich daraus.“ Wenn es tatsächlich so einfach wäre! (lacht) Die Branche ist, wie die meisten anderen, männlich dominiert. Bis zu meinem Debütalbum habe ich nie ein Stück gespielt, das von einer Frau geschrieben wurde. Ich habe nie mit einem Orchester gespielt, das von einer Frau dirigiert wurde. Als Frau wirst du buchstäblich zur Seite gedrängt, es ist sehr schwer gehört zu werden. Versteh mich nicht falsch, die Welt der klassischen Musik ist wundervoll. Es ist große Kunst, die eine lange Tradition hat. Aber deswegen werden Veränderungen nur schwer akzeptiert. Dein Aussehen wird sehr hart beurteilt. Ich habe schon immer Mode geliebt. Aber ich habe eine zeitlang komplett aufgehört das zu thematisieren, weil man mir sofort nachgesagt hat, ich würde mehr Zeit vor dem Spiegel als mit Üben verbringen. Wo kommt so etwas her? Früher hat man sich über mich lustig gemacht, weil ich immer im Probenraum war, wenn jemand dort vorbeigelaufen ist. Ich habe wirklich hart gearbeitet und tue es immer noch. Es ist frustrierend wenn die Leute dann behaupten, ich hätte es aufgrund meines Aussehens leichter gehabt. Positiv ist, dass ich dadurch andere Frauen anspreche und sich eine Community um mich herum gebildet hat. Und durch die Art, wie wir über Dinge sprechen, können wir sie letztendlich bewegen.
Foto © Charlotte Ellis