„Guten Morgen, Ragazzi“ heißt das neue Erdmöbel Album, und auf ganz neumodische Weise via Zoom erkunden Markus Berges, Ekimas und ich, warum es sich gleichzeitig nostalgisch wie zeitgemäß anfühlt. Ob sich das überhaupt widerspricht. Was für eine Rolle hat Italien dabei gespielt? Und machen Erdmöbel regelmäßig Platten oder doch eher selten?
Es gibt viel zu besprechen. Vier Jahre sind kalendarisch seit dem letzten Erdmöbel Album „Hinweise zum Gebrauch“ vergangen. Eine Pandemie liegt dazwischen, in der wir immer noch mittendrin stecken und trotzdem langsam wieder auftauchen. Wie hat diese Zeit eine Band wie Erdmöbel beeinflusst, die seit Jahrzehnten Musik macht und dabei irgendwie immer gelenkig bleibt, in vielerlei Hinsicht? Wir haben uns schon das ein oder andere Mal getroffen, sonst eher gemeinsam in einem Raum, aber so geht das schon auch, fließt das Gespräch munter vor sich hin. Und als Markus diesen einen Satz sagt, weiß ich sofort, das ist meine Headline hierfür, denn selten wurde die Zeit der Pandemie in so wenigen Worten so knackig auf den Punkt gebracht. Sehnsucht ist der Grund, warum es diese neuen Erdmöbel Songs gibt. Schmerzlich wunderschön ist das!
Ich hatte letztes Jahr gehofft, dass wir uns zur Weihnachtstour sehen würden. Aber das war leider alles ein bisschen komisch.
Ekki: Berlin ist ja als einziges betroffen gewesen. Wir haben die Tournee fast vollständig gespielt, es sind, glaube ich, zwei Sachen ausgefallen. Das war sehr merkwürdig. Und es war ja so, dass Minuten nach der Tour alles wieder zugemacht wurde. Wir haben total Glück gehabt. Natürlich mit weniger Publikum und Masken, aber eigentlich war das ganz toll.
Ich bin sehr froh zu sehen, dass es jetzt weiter geht. Dass sich dadurch beweist, dass Musik immer wichtig sein wird.
Ekki: Die Musik, das ist ja so ein innerer Drang, der einen dazu bringt, das zu machen. Klar träumt man davon, dass einen jemand dabei beobachtet, wie man’s macht. Aber eigentlich will man vor allem Musik machen.
Euer letztes Album „Hinweise zum Gebrauch“ ist jetzt vier Jahre her. Hat durch die Pandemie alles etwas länger gedauert?
Ekki: Wir hatten schon geplant, das während der Pandemie zu machen. Nur dass wir die Pandemie natürlich nicht vorausgesehen haben. Aber in der Zeit sollte das gemacht werden, und wir konnten es fast ungehindert machen. Wir haben ein bisschen mehr über E-Mail gearbeitet, aber ansonsten eigentlich wie immer.
Markus: Ohne Pandemie wäre das Album nicht schneller da gewesen. Für viele Bands ist es wirklich ein Problem gewesen, die mussten ihre Alben schieben oder, noch schlimmer, sie in der Pandemie raus bringen und nicht auf Tour gehen zu können. Wir konnten alles machen, wir konnten viel vorbereiten und viele Videos machen, und jetzt ist das Ding fertig. Das ist natürlich schön. Und vor allem, dass wir jetzt auf Tour gehen können.
Ekki, du meintest vorhin zu mir, ihr würdet ja nicht so oft eine Platte machen. Zum einen kommt mir das gar nicht so vor. Zum anderen frage ich mich, wie wisst ihr, wann der Punkt da ist, an dem ihr wieder etwas zu sagen habt?
Markus: Ekki sagt das. Ich finde eigentlich, dass wir sehr regelmäßig eine Platte machen (lacht). Die Frequenz, wie oft wir Platten machen, hat viel damit zu tun, dass ich ein ziemlich langsamer Songwriter bin. Die Band könnte wahrscheinlich doppelt so viele Platten machen. Wenn der Song-Output da wäre, vielleicht sogar so, dass man ein bisschen was wegschmeißen könnte, dann würden wir bestimmt mehr Platten machen. Aber gleichzeitig weiß man es auch nicht. Es hat sich jetzt schon so lange entwickelt, wie bei uns diese Phasen sind, deswegen ist das ein bisschen eine Perspektivenfrage. Für mich fühlt sich das nicht so lang an, obwohl vier Jahre jetzt keine so geringe Zeit sind.
Ekki: Uns gibt es seit fast 30 Jahren, es fängt auch langsam an, unübersichtlich zu werden in unserem Katalog. Wenn du jetzt als Erdmöbel Fan einsteigst, dann jubeln die einen, dass man immer wieder etwas Neues entdecken kann, alles ganz toll, aber in Wahrheit ist es die totale Überforderung, sich mit unserem kompletten Werk auseinanderzusetzen. Das sind ja über 100 Songs! Das ist schlimm (lacht).
Ich habe immer einen Block auf dem Schreibtisch liegen, auf dem ich mir über den Tag wilde Notizen mache. Und heute steht da als erstes drauf: „Das Gitarrensolo in ‚Guten Morgen‘!!!“. Drei Ausrufezeichen, wohl gemerkt.
Ekki: (lacht) Da haben wir uns wie die Kesselflicker gestritten. Markus wollte das nicht! Ich hatte es da drauf gespielt und dachte, da nimmst du so nen richtig fiesen Verzerrer und machst ein siebziger Jahre Säbelzahn-Solo drauf. Dann kam Markus und meinte: ‚Da ist ja so ein Santana Solo drauf! Das will ich nicht, das ist so ein schöner, einfacher Song.‘ (lacht). Und ich hatte mir natürlich gedacht: Das ist so ein schöner, einfacher Song, den kann ich doch nicht unkommentiert lassen. Das ging lange hin und her, jetzt ist es aber drauf! Ich weiß nicht, wie ich mich durchgesetzt habe.
Markus: Du hast dich durchgesetzt, indem ich überraschend Santana Fan geworden bin.
Ekki: Das Solo ist einfach in jeder Demostufe drauf geblieben, bis er sich dran gewöhnt hatte.
Aber siehst du, ich bin dran hängen geblieben. Ich fand das sehr untypisch für euch.
Ekki: Ja. Nach der ersten Platte haben wir Gitarrensoli eigentlich für eklig erklärt. Aber dann haben wir doch immer wieder eins drauf, was dadurch auffällt, dass es ein bisschen ein Fremdkörper ist. In den Achtziger Jahren habe ich gefühlt eine Million Gitarrensoli gespielt, was letztendlich dazu geführt hat, dass ich vor siebzehn Jahren zum Bass gewechselt habe. Ich konnte es nicht mehr hören.
Dann habe ich mir aufgeschrieben: Ich möchte „Rosa Plastiktüte“ live hören.
Ekki: Da sind wir sehr gespannt drauf was passiert, wenn die Leute das am Schluss singen müssen. Den Teil wollen wir sehr ausweiten, den soll das Publikum singen. So stellen wir uns das vor, wir wissen nur nicht ob der Chor ein bisschen zu schwer ist. Es war schon sehr schwer die Band dazu zu bringen, es korrekt zu singen. Keine Ahnung, aber wir werden es erleben.
Markus: Das weiß man ja nie vorher. Zumal man es vorher einüben muss. Aber die Vorstellung ist natürlich toll.
Zum Thema mitsingen: Ich beschäftige mich gerade sehr intensiv mit dem Singen von Mantras. Und ich glaube sehr fest an die Manifestationskraft der Wiederholung. Und deshalb finde ich es sowohl von meiner yogischen als auch von meiner Herzens-Warte aus sehr überzeugend, dass ihr dieses Mittel für „Lass sie rein“ gewählt habt.
Ekki: Ja, und auch von der musikalischen Warte aus ist das ein ganz wichtiges Element. Du musst Sachen wiederholen, damit sie funktionieren. Bei uns ist das ganz viel drin. Bei „Rosa Plastiktüte“ auch. Der Text ist ja ungefähr zehn Zentimeter lang. So Sachen hatten wir schon auf der ersten Platte drauf, wo wir Sachen immer wiederholt haben, bis zu einer hohen Form der Steigerung.
Gibt es für euch einen roten Faden, der sich durch das Album zieht?
Ekki: Wir haben nicht vorher drüber nachgedacht. Im Nachhinein finde ich, dass das Ganze durchaus einen Zusammenhang hat. Dadurch, dass alles in diesen schwierigen Zeiten gemacht worden ist. Angefangen bei der Pandemie, aber auch andere Sachen, die uns politisiert haben, was wir vor fünfzehn Jahren noch nicht gedacht hätten, dass uns das mal passiert. Gleichzeitig hat die Platte einen fröhlichen Unterton. Das ist interessant, weil das wirklich aus Versehen passiert ist. Wir haben das gar nicht bewusst gemerkt. (Zu Markus) Oder hast du es gemerkt, dass du ganz fröhliche Songs hast?
Markus: Aus einer gewissen Haltung des „Trotzdem“ heraus diese Sachen zu schreiben, das haben wir schon immer gemacht. Insbesondere als wir angefangen haben, sehr viel affirmativere sowohl Texte als auch Musik zu machen. Das ist jetzt eine Tradition mit der wir arbeiten, da ist kein Stachel mehr drin. Und trotzdem hat sich das jetzt nochmal anders angefühlt. Bei dem letzten Album wussten wir auch nicht, was der rote Faden ist. Am Ende haben wir gemerkt, es war keine Rhetorik zu sagen, das ist jetzt unser politischstes Album bislang. Obwohl da jetzt auch nicht so viele ausdrücklich politische Songs drauf sind, aber viele Dinge, die man so deuten kann und die doch eindeutig eine gesellschaftliche und politische Seite haben. Das war jetzt schon sehr viel selbstverständlicher, da mussten wir uns nicht mehr so dran abarbeiten, sondern eher war selbstverständlich, dass es ohne das gar nicht geht. In unserer Situation ist das quasi zum Atmen geworden. Dadurch hat das Album jetzt trotzdem eine gewisse Leichtigkeit bekommen. Es ist nicht verlogen, es ist nicht eskapistisch, es ist aber trotzdem leicht. Das Italien Lied zum Beispiel, das ist ja eher so ein Pizzeria-Lied. Da wird ein Blick auf Rom beschworen, den es so gar nicht gibt. Das wäre für mich der rote Faden, auf musikalischer genauso wie auf textlicher Ebene. Der ist da aber nicht rein gesetzt. Wir gucken ja jetzt selber wo das Album fertig ist: Was ist das? Hören es öfter und spielen es. Und das ist so mein Blick darauf.
Ekki: Das Schöne war, dass Markus in Wirklichkeit in Italien war in der Zeit. Drei oder vier Songs hast du da mitgebracht, oder? Er war drei Monate in der Nähe von Rom, hatte ein Literatenstipendium und war dort quasi eingesperrt.
Markus: Genau. Wegen Corona war ich quasi in einem kleinen Palast eingesperrt.
Ekki: Wir haben ganz viele E-Mails hin und her geschickt. Er hatte auch einen guten Sound dort, ein Zimmer mit wenig Möbeln, das hallte total. Ein paar Spuren, die er dort gemacht hat mit seinem ollen Mikrofon, sind auf der Platte gelandet, weil das interessant klang. Das ist wahrscheinlich ein schönes Souvenir von deinem Aufenthalt.
Markus: Das ist ein total schönes Souvenir. Beispielsweise der „Felicita“-Chor, der sich wie ich finde angehört wie ein echt gutes Hallgerät, ist einfach der Raum. Das ist natürlich eine private Sache, aber mich daran zu erinnern, in welchem Raum ich den aufgenommen habe, ist toll. Ich denke öfter dran, wenn ich den Song höre.
Auch Italien ist für mich gerade total ein Thema. Ich habe meine halbe Kindheit in Italien verbracht und war seitdem nie wieder da. Aber verrückter Weise ist da auch etwas an eurem Album, so etwas Beschwingtes, was mich an diese Zeit denken lässt.
Markus: Das ist total interessant, dass du das sagst, weil es für mich ein total gegenwärtiges Album ist. Ich kann das total gut verstehen, das Cover ist natürlich nostalgisch. Aber auch dieses Italien Thema, das ist für mich ein ganz gegenwärtiges Ding. Und trotzdem kann ich das gut verstehen was du sagst, weil das stimmungsmäßig schon da drin ist. Besonders auf der musikalischen Ebene, was zum Beispiel ein Stück wie „Felicita“ musikalisch anbietet, das ist ja kein Zufall.
Ekki: Aber Nostalgie ist doch immer drin. Auch bei einer gegenwärtigen Italien Liebhaberei ist die Nostalgie immer drin. Wie du die alten Hits aufzählst. Es ist einfach so, dass man die fünfziger, sechziger, siebziger Jahre Urlaubsromantik immer mitdenkt. Das ist ja auch das Interessante an dem Klischee, das wir mit dem Titel bemühen. Da kommt sofort bei jedem mit Macht eine ganz lange Tradition von Gefühlen.
Markus: Und trotzdem denke ich, diese Situation, eingesperrt zu sein… selbst in Italien, am Anfang dort eingesperrt zu sein… Und auch danach war ich dort lange noch mehr oder weniger eingesperrt, weil ich erstmal den Ort nicht verlassen durfte. Meine Familie, mit der ich telefoniert habe, war Zuhause eingesperrt. Zum ersten Mal in seinem Leben – seit der Kindheit würde ich sagen – nicht frei zu sein, damit konfrontiert zu sein in verschiedenen Graden eingesperrt zu sein, damit muss man sich auseinandersetzen. Wenn du Songs schreibst, geht es natürlich immer um Fantasien. Ich glaube, ich hatte das Gefühl, ich muss mich diesmal weniger um die Sehnsucht bemühen. Die war einfach da. Alle waren doch total sehnsuchtsgeladen. Scheiße drauf und sehnsuchtsgeladen. Das war irgendwie mein Songmaterial. Jetzt ist es interessant zu hören, was daraus entstanden ist. Dass daraus etwas positives entstanden ist, ist bei Sehnsuchtsgeladenheit vielleicht nicht so überraschend. Deswegen finde ich das jetzt schön zu hören.
Ekki: Das ist glaube ich auch die Stärke der Platte, dass das jeder versteht. Dass der Grund, warum es diese Songs gibt, die Sehnsucht ist.
Markus: Auf jeden Fall ist dieses Album nicht rückwärtsgewandt, auch wenn es in einem solche Sachen auslöst, Erinnerungen auslöst, gute Erinnerungen, Projektionen.
„Guten Morgen, Ragazzi“ erscheint am 20. Mai 2022.
Foto © Ekkimaas