Donna Missal im Interview: „Scheiß auf die Zeit!“

Wenn man Donna Missal singen hört, und auch wenn man sie in ihren Videos und auf Fotos sieht, dann staunt man fast ein wenig, wie klein und zierlich sie ist, wenn sie persönlich vor einem steht. Aber im Gespräch zeigt sich schnell, dass in der jungen Frau genau die Kraft steckt, die sie in ihrer Musik zum Ausdruck bringt. Donna ist in Berlin, wo sie als Support von Durchstarter Lewis Capaldi auf der Bühne stehen wird. Wir sitzen gemütlich auf den Sofas in ihrem Tourbus, als mein Blick auf einen Roman von Haruki Murakami fällt, der aus Donnas Tasche hervorlugt. Und so finden wir ganz automatisch den richtigen Einstieg. 

Was ist dein liebster Murakami?

Hm, das ist eine sehr schwere Frage… „Naokos Lächeln“ hat wahrscheinlich den größten Eindruck auf mich gemacht, weil es mein erster war. Ich habe ihn als Teenager gelesen. Welcher war das mit dem Vogel…? „Mister Aufziehvogel“ war es!

Hast du schon einmal etwas von John Irving gelesen? 

Nein, aber sollte ich, oder? Ich suche nach etwas, das mir eine ähnliche Welt eröffnet wie Hurakami. Aber Moment, ich schreibe es mir auf. Womit sollte ich anfangen?

Ich würde sagen mit „Garp und wie er die Welt sah“. Es ist das bekannteste aber auch eins seiner besten. Er ist über siebzig und schreibt gerade am nächsten.

Ich liebe das! Ich finde es so inspirierend. Kreativität hat einfach kein Ablaufdatum, genauso wenig wie Verspieltheit und der Wille etwas zu erschaffen. Ich liebe es, wenn jemand ein Beispiel dafür vorlebt. Vor allem in der Musik. Es gibt immer noch viel zu wenig repräsentative Frauen, die würdevoll altern und dabei den Prozess des Künstlerin seins durchlaufen. So etwas zu sehen ist für mich und meine eigene Kreativität sehr wichtig. Ich versuche oft mir selbst einzureden, dass ich zu alt bin, dass ich mein Momentum bereits verpasst habe. 

Du, wirklich? Darf ich fragen wie alt du bist?

Ich werde 29 im Dezember. Der kulturelle und gesellschaftliche Druck jünger zu sein ist groß. Ein paar der größten Künstler*innen unserer Zeit sind verdammt nochmal Teenager. Das hat einen Effekt auf meine Psyche und darauf, wie ich Musik mache. Ich muss mich immer wieder davon überzeugen, dass es keine so große Rolle in meinem Leben spielt. Die Medien, Fernsehen, Filme, Musik… sie alle halten die Faszination mit und die Fixierung auf die Jugend aufrecht. Sie erzählen dir wie wichtig es ist, deine Zeit zu nutzen solange du jung bist. Und dass die Jugend ein Teil deines Wertes ist. Das muss ich ständig versuchen auszublenden. Umso schöner ist es, Menschen zu erleben, die ihr Leben leben, sich Wissen aneignen, neue Perspektiven eröffnen und dies in ihrer Kunst zum Ausdruck bringen. Deshalb liebe ich solche Beispiele. Menschen die sagen scheiß drauf, ich bin so wie ich bin und ich werde immer besser, je mehr Zeit ich damit verbringe, das hier zu machen.

Ich habe dafür ein ganz einfaches Mantra: Immer an Meryl Streep denken.

Meryl Streep! Ha! Sie hat den Höhepunkt ihrer Karriere erst in ihren Dreißigern und Vierzigern erreicht. Sie ist so großartig. Ich versuche auch mir viele weibliche Rock-Ikonen anzuhören, da mein zweites Album eher ein Rockalbum werden wird. Ich höre viel Sheryl Crow zum Beispiel. Sheryl Crow ist erst in ihren Dreißigern richtig erfolgreich geworden. Es tut mir so gut zu sehen dass das passiert ist, immer noch passiert und wieder passieren wird. Ich finde nur, wir sehen nicht so viel Repräsentation davon. Man muss ein bisschen Energie rein stecken die Leute zu finden, die das repräsentieren. Für mich ist es wichtig die Kontrolle darüber zu haben wer ich bin und wo in meinem Leben ich stehe. Es hat mich Zeit gekostet da zu sein wo ich jetzt bin. Man muss immer daran glauben, dass man den einen Augenblick in seinem Leben haben wird, dass man ihn nicht verpassen wird. Man muss es selber in die Hand nehmen. Dann stirbst du irgendwann, und auch das ist okay. 

KT Tunstall hat mir einmal erzählt, dass sie deswegen in die USA gegangen ist. Weil sie es in England noch schwieriger fand einen Platz als Musikerin zu finden, die nicht mehr ganz blutjung ist. Sie sagte, in den USA gäbe es mehr Akzeptanz für Rockmusikerinnen in den mittleren Jahren.

Es ist der Wahnsinn. Das ist so hart für mich zu hören. Ich komme aus den USA, und es fühlt sich dort schon so schwer an, sich für die Industrie wichtig zu fühlen, je älter man wird. Vor allem als Frau. 

Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass das immer noch so ein großes Ding ist.

Ich weiß! Man sollte meinen es wäre eines dieser Dinge, die in dieser Industrie längst verschwunden wären. Aber ich glaube es hat mit dem Aufstieg der Internetkultur zu tun, die es so früher nicht gab, Soundcloud und YouTube. Ich denke es ist großartig, da daraus ein ganz anderes Forum entstanden ist um auf sich aufmerksam zu machen, für Künstler*innen, die Musik in ihrem Schlafzimmer machen, zum Teil schon als Kinder. Sie haben die Möglichkeit, das auf eine sehr organische Art zu teilen, indem sie es einfach online stellen. Das hat innerhalb der Industrie einen Aufstieg der Jugenddominanz begünstigt. Ich denke es ist wichtig, weil es eine Industrie aufrüttelt, die viel zu lang von alten, weißen Männern bestimmt wurde. Das ist sehr cool. Aber die Faszination für die Jugend wird dadurch natürlich immer größer. Daran ist absolut nichts falsch, außer dass es die gleiche Akzeptanz und den gleichen Respekt für die Künstler*innen geben sollte, die auf die übliche, etwas langsamere Weise in ihre Karriere hineingewachsen sind. Wenn wir das erreichen würden, davon wäre ich sehr stolz Teil zu sein. Und ich denke ich werde nicht aufhören zu schreien und um mich zu treten, bis wir das erreicht haben (lacht).

Für mich ist 29 ja immer noch wahnsinnig jung. Ich könnte mir vorstellen dass es vielleicht an der vielen Arbeit liegt, die du in alles hinein steckst, dass die Zeit schneller für dich vergeht. Von außen sieht es ja gerne so aus, als wären du und deine Musik plötzlich da gewesen. 

Ich habe vor zehn Jahren angefangen ernsthaft Musik zu machen. Und ich bin besessen von dem Konzept der Zeit, seitdem ich mit der Musik angefangen habe. Weil ich schon immer das Gefühl hatte, dass sie mir durch die Finger rinnt. Ich habe die letzten zehn Jahre nichts anderes gemacht als Musik, alleine und in Bands. Und du hast recht, dass das meine eigene Zeitwahrnehmung sehr beeinflusst hat. Von außen sieht es dann so aus, als wäre ich plötzlich angekommen. Ich kann dir versichern, es hat sich nicht viel geändert zwischen damals und jetzt. Ankunft – was bedeutet das überhaupt? Es gibt noch so viel mehr, was ich machen möchte. Ich habe mein ganzes erstes Album darüber geschrieben, deshalb habe ich es auch „This Time“ genannt. Ich dachte scheiß drauf. Darum geht es. Das hier, das jetzt, das ist meine Zeit. Wer sagt dir, wieviel Zeit du hast? Und ob Zeit überhaupt relevant ist? Scheiß auf die Zeit! Ich habe einen Wert, ich weiß wer ich bin, und je älter ich werde, desto mehr kann ich zu der Welt um mich herum beitragen. 

Und jetzt bist du hier in Europa…

Ich bin angekommen! (lacht)

Ich finde ja den klassisch buddhistischen Ansatz sehr hilfreich.

Der Weg ist das Ziel! Das ist wirklich ein wichtiges Mantra. Wie entscheidet man denn überhaupt, was das Ziel ist? Das ändert sich doch die ganze Zeit. Ich versuche mich einfach treiben zu lassen. Und es ist großartig, hier in Europa zu sein. Ich meine, das hier ist mein Bus… (lacht) Das ist doch verrückt! Ich habe in New York City in winzigen Coffee Shops für niemanden gespielt. Ich bin zu Venues gekommen und musste mir vom Promoter sagen lassen dass ich nicht spielen werde, weil ich keine zehn Tickets verkauft habe. Und das jahrelang! Ich versuche, genauso dankbar zu sein, wie ich nach mehr hungere. Ich bin hungrig nach Veränderung, danach, realistischere Standards entstehen zu sehen. Dass ich davon überhaupt ein Teil sein darf, dafür bin ich sehr dankbar. 

www.donnamissal.com