Unglaublich, dass Dean Lewis es tatsächlich nach Deutschland geschafft hat. Ich habe dieses Jahr niemanden getroffen, der erfolgreich einen derart weiten Weg zurück gelegt hat, um hier live zu spielen. Als wir uns Mitte November vor seinem Konzert in Berlin treffen, ahnen wir bereits alle, dass das eine ziemlich knappe Kiste war. Unmittelbar bevor die Corona-Richtlinien wieder verschärft wurden, gelang es dem Australier noch, alle seine Shows in Europa zu spielen, ganz reduziert und intim, nur seine Gitarre, ein Klavier, er und seine wirklich auffällig text- und stimmsicheren Fans. Selten habe ich ein so inbrünstig schön mitsingendes Publikum erlebt.
Kurz vorher also sitzen Dean, meine Tochter und ich bei seinem Label auf dem Sofa, direkt neben einem noch nicht fertig geschmückten Tannenbaum. Trotz der mal wieder herrschenden Unsicherheit, wie es diesen Winter weiter gehen wird, ist die Stimmung fröhlich und gelöst. Was auch ganz leicht ist wenn man sich mit Dean Lewis unterhält, der vor Enthusiasmus und guter Laune nur so strahlt. Grund hat er genug, gerade hat er seine neue Single „Looks Like Me“ veröffentlicht, und auch fürs nächste Jahr hat er große Pläne. Und wie das damals war, als er noch bei seiner Oma gewohnt hat, hat er uns auch erzählt.
Ich konnte es kaum glauben, als ich gehört habe, dass du tatsächlich her kommst.
Sobald klar war, dass ich her kommen kann und etwas machen, habe ich mich in den Flieger gesetzt. Ich bin einer der erste internationalen Künstler, der es geschafft hat herzukommen. Wir haben es tatsächlich geschafft, jede einzelne Show zu spielen. Die einzige kurzfristige Änderung die wir hatten war, dass wir in Amsterdam zwei Shows hintereinander spielen mussten, statt wie geplant einer. Es musste Abstand eingehalten werden und die Leute mussten sitzen. Zum Spielen ist das ziemlich brutal, aber es war trotzdem gut.
Ich kann mir vorstellen, dass du in beidem gut bist, sowohl Shows bei denen die Leute tanzen als auch Akustiksets, bei denen man sitzt und zuhört. Das ist in dieser Zeit ein echter Vorteil.
Ja! Das war wirklich ein Vorteil. Ich habe inzwischen so viele verschiedene Shows gespielt. Angefangen habe ich am Klavier. Ich habe so viele Shows nur am Klavier gespielt. Dann kam die Band dazu, auch das waren super viele Konzerte. Ich liebe es, jetzt wieder dahin zurück zu gehen und reduzierte Shows am Klavier zu spielen. Es ist viel emotionaler. Und ich habe das Gefühl, die Leute lieben das mehr, als wenn ich mit der Band spiele. Mir liegt es ehrlich gesagt auch mehr. Aber wenn man Festivals spielen will, braucht man diese Shows mit Band. Am Ende will ich einfach nur spielen, und im Moment ist es so einfacher. Ich nutze jede Gelegenheit um aufzutreten. Und es ist wie gesagt emotionaler und die Leute mögen es lieber, also ist es perfekt so. Und überhaupt, es ist so schön, endlich wieder Gesichter zu sehen!
Oh ja, das ist bestimmt eine sehr intensive Erfahrung, nach der langen Zwangspause…
Ich sag’s dir. Davor war ich vier Jahre non stop auf Tour, und ich war gefühlt nie wirklich anwesend. Ich dachte immer nur an die nächste Sache und die nächste Sache und die nächste Sache… dann kam COVID und ich dachte verdammt, ich hatte diese extrem gute Zeit und habe sie nie richtig wahrgenommen. Jetzt spiele ich „Be Alright“ und jedes Mal wenn ich es singe denke ich, ich weiß nicht, wann ich es das nächste Mal tun werde. Der Song hat mein Leben verändert und ich habe das Gefühl, dass ich ihn jetzt erst richtig zu schätzen weiß.
An welchem Punkt warst du, als Corona los ging? Hat es dich sehr hart getroffen?
Oh, ich hatte ehrlich gesagt ziemliches Glück. Viele Musiker*innen hatten gerade einen Song veröffentlicht und dann boom, alles vorbei. Ich hatte mein erstes Album hinter mir, habe ausgiebig getourt und hatte mir gerade vorgenommen eine Pause zu machen, um neue Songs zu schreiben. Sechs Monate hatte ich geplant, daraus wurden zwei Jahre. Also hatte ich zwei Jahre Zeit Songs zu schreiben. Für mich war es einfach nur geschenkte Zeit. Ich habe um die 30 Songs aufgenommen, in nächster Zeit wird so viel raus kommen! Es war also nicht so schlimm für mich. Ich meine, versteh mich nicht falsch, es war furchtbar. Ich wollte einfach wieder raus gehen und los legen. Aber was das Timing angeht, war es okay. Es hat nichts zerstört.
Und hat diese zusätzliche Zeit auch etwas daran verändert, wie du Songs schreibst? Hast du neue Inspiration gefunden und neue Arbeitswege?
Definitiv. Ich hatte Zeit, mich zu fragen was ich am besten kann und mich dann darauf zu konzentrieren. Mal ganz ehrlich, was Musik angeht bin ich in Vielem ziemlich scheiße (lacht). Aber ich habe immer eine klare Vision von dem, was ich will. Und ich probiere gerne neue Dinge aus. Jetzt hatte ich die Zeit, mir meine drei größten Songs anzuschauen – „Half A Man“, „Waves“ und „Be Alright“ – und mich zu fragen, was genau diese Songs ausmacht. Es ist die Emotion, das Herz. Ich schreibe meistens Songs fürs Herz, aber manchmal versucht man gezielt, Songs fürs Ohr zu schreiben. Ich habe beschlossen, ab sofort meinem Instinkt zu folgen und die Songs zu veröffentlichen, die für mich Herz-Songs sind. Und ich habe gelernt, nicht mehr so viel auf andere Leute zu hören. Früher habe ich auf alle um mich herum gehört, die mir gesagt haben, welche Songs ich veröffentlichen soll. Obwohl ich vom Bauchgefühl her eigentlich wusste, dass ich Recht habe. Ich habe mir vorgenommen, konfrontativer zu werden und klar zu sagen was ich will und was nicht. Ich meine, alle Leute um mich herum sind großartig. Aber ich hatte jetzt ein bisschen Erfolg, und ich denke ich habe herausgefunden, was ihn ausmacht: Songs die vom Herzen kommen und die eine Geschichte erzählen.
Das ist eine wichtige Grenze, die man kennen muss, oder? Wo macht es Sinn auf andere zu hören und wo folgt man rein seinem eigenen Instinkt?
Hundert Prozent. Ich war immer dieser Meinung: ich scheitere lieber mit meinen eigenen Entscheidungen als mit denen, die jemand anderes für mich getroffen hat. Ich habe noch nie einen Song veröffentlicht, hinter dem ich nicht voll und ganz stand. Wenn du als Künstler*in nicht genau weißt wer du bist, läufst du Gefahr, von anderen zu sehr geformt zu werden. Du hast Recht, es ist eine Grenze, die man austarieren muss. Ich höre zum Beispiel immer erst einmal zu. Aber ich habe auch eine sehr starke Meinung, und ich versuche in Zukunft noch stärker zu ihr zu stehen. Ich glaube, dass man nicht unendlich viele Chancen hat, und die die man hat, muss man nutzen.
Wenn wir heute Abend nach Hause gehen, wird meine Tochter nie wieder auf mich hören.
Oh nein! (lacht) Lass mich das klar stellen: es ist wichtig auf seine Eltern zu hören. Meine Mutter hat immer gesagt: zeige niemandem deine Musik, man könnte sie dir stehlen. Mein Vater meinte: Junge, lern erstmal was Ordentliches, das wird doch nichts (lacht). Aber das ist typisch australisch. Wir sind sehr zurückhaltend, wenn es darum geht sich vorzustellen, dass man mit etwas Erfolg haben könnte. Niemand geht zu dir hin und sagt: Du wirst ein Star werden! Nicht dass ich unbedingt ein Star werden wollte. Ich wollte einfach nur sehr gut in etwas sein. Wissen, warum ich hier bin.
Hängt es vielleicht auch damit zusammen, dass Australien so furchtbar weit weg von allem ist?
Oh ja, definitiv. Schrecklich weit weg.
Und hättest du dir vorstellen können, dass du ein paar Jahre später hier in Berlin sitzen würdest?
Nie und nimmer. Ich war 26, als ich endlich einen Plattenvertrag hatte. Die meisten haben in dem Alter schon ein zweites Album draußen. Jedes Mal wenn ich „American Idol“ gucke, staune ich, wieviel Selbstbewusstsein viele junge Menschen haben. Andere brauchen mehr Zuspruch. Sie brauchen Leute um sich herum, die sie unterstützen, die ihnen das Gefühl geben, gut in etwas zu sein. Ich glaube, ich gehöre zu letzteren. Aber ich hatte auch immer diesen naiven Glauben, dass etwas passiert, wenn ich nur hart genug dran bleibe. Trotzdem konnte ich mir als Australier nicht vorstellen, dass sich irgendjemand hier in Deutschland für mich interessieren könnte. Ich habe es nicht geglaubt, aber ich habe es trotzdem geplant. Sobald ich die Möglichkeit hatte, bin ich hierher gekommen. Ich hatte keine Ahnung, ob es funktionieren würde, aber ich wollte es versuchen. Ich hatte nur diesen einen Plan. Es war so: ich war 26 Jahre alt, hatte 5000 australische Dollar auf der Bank und bin bei meiner Oma eingezogen. Richtig cool sah das nicht aus (lacht). Ich habe damals ein Mädchen kennengelernt und habe mich nicht getraut mit ihr auszugehen, weil ich nicht erzählen wollte, dass ich bei meiner Oma lebe. Davor hatte ich einen Job und meine eigene Wohnung. Ich habe immer Ausreden erfunden, weil ich ihr nicht sagen wollte, dass heute Abend meine Oma für mich kocht (lacht). Und dann hatte ich plötzlich einen Plattenvertrag. „Waves“ und „Be Alright“ haben überraschend total eingeschlagen. Das hat mein Leben ganz schön verändert. Ich hatte plötzlich ganz viele Ziele. Manche habe ich erreicht, manche nicht. Gerade ist mein einziges Ziel, wieder so einen großen Song zu schreiben. Das ist wirklich schwierig, finde ich, etwas zu schätzen in dem Moment, in dem es passiert. Und wenn ich zurück blicke, würde ich manches heute anders machen.
Was denn zum Beispiel?
Nach „Be Alright“ dachte ich über jeden Song den ich geschrieben habe, das wird mein nächster richtig großer Song. Aber man braucht auch Zeit um einen Schritt zurück zu treten und sich zu fragen, warum etwas überhaupt funktioniert hat. Und dann genau hinzuschauen, was es war. Heute hinterfrage ich mehr was ich tue und bin nicht mehr so schnell zufrieden.
Aber ist das denn etwas, das man planen kann, einen „großen Song“ zu schreiben?
Okay, ich weiß nicht genau wie man es macht. Ich schreibe jeden Tag. „Be Alright“ habe ich vor sieben Jahren geschrieben und vor zweieinhalb Jahren veröffentlicht. Ich habe ihn immer wieder neu aufgenommen, bis er sich richtig angefühlt hat. Ich wusste aber von Anfang an, dass der Song etwas Besonderes hat, einen Funken, den man schwer beschreiben kann. Und ich glaube, ich habe nie wieder so einen Song geschrieben, bis vor einem Monat in Los Angeles. Da habe ich diesen Song geschrieben, er heißt „Hurt Less“. Er hat genau diesen Funken. Es wird der nächste Song sein, den ich raus bringe. Ich kann nicht sagen ob er ein Hit wird, also ein kommerzieller Erfolg, aber ich weiß, dass die Leute ihn lieben werden. Dass sie eine emotionale Verbindung zu ihm haben werden. Er ist einfach unleugbar gut. Und ich habe schon so viele schlechte Songs geschrieben, dass ich das einschätzen kann (lacht).
Und nun die große Frage: Was sagt Oma heute?
Oh, Oma ist mein größter Fan. Sie ist so stolz. Sie fände es aber auch super, wenn ich wieder bei ihr einziehen würde. Ich weiß nicht. Es gibt keine Klimaanlage und sie hat diese Katze, die sie immer angreift. Kein Witz, sie springt sie an und beißt ihr in die Beine. Mich hat sie auch attackiert. Brutal!